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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0236
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2 19

trieb. Längs der Pyrenäen, in den Niederlanden und in der Picardie, in der Frei-
graffchaft und in Burgund drangen fpanifche Befltzungen in Frankreich ein; hierzu
kam noch die Stellung, die Spanien in Italien hatte, hinzu. Die Ankunft der
fpanifchen Armee unter dem Herzog von Parma hatte 1590 allein den Fall von
Paris verhindert. Von 1591—94 hatte Paris eine fpanifche Garnifon.
»Der politifche Einflufs Spaniens in Frankreich während der Liguefchreibt
Henri Martin, »war ein überwiegender; aber fein literarifcher Einflufs dauert im
XVII. Jahrhundert fort. Während dreifsig Jahren herrfchte die Nachahmung des
Spanifchen. Diefe Invaflon des Spanifchen hatte den Geift der Renaiffance in
Frankreich etwas irre gemacht (deconcerte). Als Richelieu die anti-fpanifche Politik
durchfetzte, nahm die Renaiffance von Neuem die Offenflve, im Namen des Ari-
ftoteles und Horaz, gegen die unregelmäfsigen Stücke, die aus Spanien importirt
waren.«
Wir fehen ferner durch die Vermittelung des Hofes und durch feinen jetzt
immer gröfser werdenden Einflufs das fpanifche Element auf die franzöflfche Kunft
einwirken. »Die von Heinrich III. 1574 eingeführte neue Hofetiquette,« fagt Henri
Martin, »ftrebt an, die Grofsen, den Adel, die Unterthanen fern zu halten. Sie
foll die Zurückhaltung und erhabene Steife des fpanifchen und englifchen Ceremoniells
an Stelle der den Franzofen fo lieben Familiarität und des leichten Zutrittes bei
dem König fetzen.«
»Mochten unfere Franzofen,« fagt Lemonnier 450), »noch fo fehr über Einzelnes
am Hofe von Madrid fleh luftig machen, fo brachten fie von einer Gefandtfchaft
jenfeits der Pyrenäen eine ,gewiße Luft mit fleh zurück“, die fie dort eingeathmet
hatten. Niemals waren die Botfchaften fo zahlreich, als zwifchen 1600 und 1630.
Unter der Regentfchaft der Maria von Medici ging man truppenweife: unfere
diplomates de parade hatten zuweilen ein Gefolge von 100 bis 200 Edelleuten, be-
gierig ihren Luxus zu zeigen und die fchönen Spanierinnen zu fehen.«
Hierzu kommt nun der Einflufs der beiden fpanifchen Königstöchter, die nun-
mehr nach einander auf den Thron Frankreichs fteigen: Ludwig XIII. heirathet
1615 Anna von Oefterreich, Tochter Philipp HL, und 1659 Ludwig XIV. Maria
Therefia, ToMtex Philipp IV. '»Ludwig XIV.,« fagt Henri Martin, »bildet 1661—72
die edle und ernfte Galanterie, deren Gefchmack und Gewohnheiten er von feiner
fpanifchen Mutter, Anne d'Autriche, empfangen hatte, zu einem Syftem aus« 451).
Bedenkt man, dafs der Stil Louis XV. eine wirkliche Reaction des echt franko-
gallifchen Geiftes gegen das ganze Syftem Ludwig XIV. bedeutet, fo wird es immer
wahrfcheinlicher, dafs in der Geiftesrichtung des Grand Roi und feiner Zeit mehr
erzwungene fpanifche Würde, fpanifches Ceremoniell und gravite caftillane verbunden
waren, als fonft dem franzöflfchen Geifte eigen ift. Die Folge hiervon ift ohne
Zweifel ein fühlbarer Einflufs auf den Charakter des Hofes. Durch die mafsgebende
Rolle des letzteren wurde er auf die Kunft übertragen und brachte mindeftens zwei
wichtige Erfcheinungen hervor: er half den Charakter des Schweren, wie wir fehen
werden, betonen und brachte die fog. Pofe hervor452).
«o) A. a. o., S. 63.
I51) Die Etiquette, ohne die extravaganten Hinderniffe anzunehmen, welche am fpanifchen Hofe herrfchen und die
der franzöflfche Geift nicht geduldet hätte, nimmt im Verhältnifs der Zunahme der königlichen Pracht eine unbekannte Aus-
dehnung. . . . Sie ift berechnet, der Monarchie auf Koften der Ariftokratie zu dienen. Die Unterfchiede zwifchen den Claffen
werden vermindert; die Unterfchiede aber zwifchen allen diefen und dem König werden vermehrt.
^52) £)ie »Pofe« ift wie ein fremder Geift und Gaft, der fich neben dem natürlichen Menfchen einftellt, und in welche
diefer hineinfehlüpft, um fich in den Augen der Welt {de 1a. cour, du ■monde'} den Schein zu geben, er fei geiftig und materiell

258.
Einflufs
auf den
Hof.
 
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