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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0237
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2) Spanifch-vlämifcher Einflufs.
Sp'Xi- Vom rein fPanifchen, eben fo vom rein vlämifchen Einfluffe ift die Wir-
viämifcher kung der Mifchung beider in den fpanifchen Befitzungen in Belgien zu unter-
Emflufs. fcheiden. Das katholifche Frankreich hatte feine Blicke fortwährend nach den
Niederlanden gerichtet. Seit Carl V. und Philipp II. war dort die Hauptbafis der
fpanifchen Unternehmungen gegen Frankreich. Von dort waren Farnefe und Mans-
feld der Ligue zu Hilfe gekommen. In diefer Weife mochten felbft die Spanier
ein Mittel werden, um auch dem rein niederländifch-vlämifchen Element Einflufs
zu verleihen.
Aber auch vom Einfluffe der fpanifch-vlämifchen Mifchung glauben wir Bei-
fpiele anführen zu können.
Die Kirchen-Fagade von Ste.-Marie zu Nevers, mit dem kräftigen Relief ihrer
vorgefetzten Säulen, den fchweren, gefuchten Verdachungen der Fenfter, Thüren
und Nifchen, dem vereinfachten, aber um fo breiter und kräftiger behandelten Detail
der Confolen und Hermen u. f. w., zeigt viel mehr den Charakter der vlämifch-
fpanifchen Kunft, als der ängftlicheren, mäfsigeren franzöfifchen Architektur.
An der eigenthümlichen Fagade der Klofterruine von St.-Amand bei Valen-
ciennes (am Thurm 1633 datirt) fcheint mir in der Decoration, in den riefigen ver-
fchlungenen Bändern und am eigenthümlichen Ornamente eine fpanifche oder beinahe
fpanifch-mexikanifche Beeinfluffung des Vlämifchen zu liegen.
Es würde fich ferner lohnen, nachzuforfchen, ob dasjenige, was man nördlich
von den Alpen als Jefuitenftil zu bezeichnen pflegt, nicht ebenfalls die fpanifch-
vlämifche Entwickelung des italienifchen Typus ift, den Vignola am Gefü in Rom
aufgeftellt hat. In Frankreich fcheint man fleh eher an die italienifchen Vorbilder
gehalten und den fpeciell jefuitifchen fpanifch-vlämifchen Schwulft vermieden zu haben.

3) Viämifcher Einflufs.
26°- Gedenkt man einerfeits der wunderbaren Leiftungen der franzöfifchen Gothik
lefremdendes
in feinem und der unglaublichen Meifterfchaft in der Compofition, fo wie in der Entwickelung
Auftreten. jer Gliederungen, die fie bis an das Ende bewahrte; gedenkt man andererfeits des
unerfchöpflichen Zaubers der italienifchen Renaiffance und der Meifterwerke jedes
Ranges, den fie auf allen Gebieten entwickelte — fo hat das Auftreten eines vlämi-
fchen Einflußes auf die franzöfifche Kunft zwifchen 1600 und 1660 zuerft etwas
aufserordentlich Befremdendes.
261. Man fragt fleh, wie diefe Erfcheinung möglich geworden fei, nachdem Frank-
^rfü^ reich bereits während hundert Jahren fich immer mehr mit der italienifchen Kunft
verbunden hatte. Die Thatfache wird von allen Franzofen zugegeben; Wenige aber
fcheinen die Gründe diefer Erfcheinung zu verliehen. Deftailleur fagte mir mehr-
mals, er habe keine Erklärung hierfür finden können. Lemonnier führt einige Punkte
an, die richtig find. Eine vollftändige Aufklärung fand ich jedoch erft in einer der
zahlreichen Einzelftudien von Ccncrajod. Zum befferen Verftändnifs führen wir einige
mehr, gröfser und beffer, als er wirklich ift. In keinem der Länder, in denen ich gelebt habe, ift fie mir fo aufgefallen, wie
in Frankreich. Dem gothifchen Frankreich, fo wie dem des XVI. Jahrhundertes, dem grofsen Urmenfchen Heinrich IVf war
die Pofe gänzlich unbekannt. Sie beginnt unter Ludwig XIII., thront unter dem Grand Roi von der Fufsftellung bis zum
Perriickenfcheitel, nimmt vielleicht unter LudwigXV. etwas ab, blüht, unter dem Schein des Antiken, mit der erften Republik
und dem Empire wieder gewaltig auf, um erft im letzten Viertel des XIX. Jahrhundertes, hoffentlich auf immer, aus der
franzöfifchen Kunft zu fchwinden.
 
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