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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Mitarb.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (1. HeftTheil 2, 6. Band, 1. Heft): Historische Darstellung der Entwickelung des Baustils — Stuttgart: Arnold Bergsträsser Verlagsbuchhandlung, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.67517#0247
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230

284.
Urfprung.

285.
Wichtigkeit
des
Details.

286.
Bizarre
Richtung.

Es ift nun hier der Platz, das Schickfal diefer beiden Hauptftrömungen in
ihrer ferneren Entwickelung während der verfchiedenen Phafen zu verfolgen. Da-
durch wird das Auseinanderwachfen der Phafen und ihr Zufammenhang klarer vor
Augen treten.
1) Freie Stilftrömungen.
(1594—1660.)
Die freiere Gefchmacksrichtung diefer Zeit fcheint im Wefentlichen aus drei
Quellen hervorzugehen:
1) aus einem theilweifen Weiterleben des Geiftes der fpäten Phafe der erften
Entwickelungsperiode (Carl IX. und Heinrich HIff,
2) aus den durch die Hugenottenkämpfe verfchiedenartig geftärkten freiheit-
lichen Beftrebungen und ihren Folgen, und
3) aus einem Einfluffe des »Unregelmäfsigen« in den fpanifchen Literatur-
ftücken.
Diefer Zeitraum erftreckt fich zwifchen zwei berühmten königlichen Einzügen
(entrees) in Paris: demjenigen Heinrich IV. nach langjährigen Kriegen und dem-
jenigen feines Enkels Ludwig XIV. nach feiner Heirath, ein Jahr vor Beginn feiner
Selbftregierung.
a) Urfprung des Details der freien Strömung.
Seit der Hoch-Renaiffance in Frankreich bilden Detailirung und Ornamentirung
den wefentlichflen Unterfchied zwifchen den verfchiedenen Phafen und geben ihnen
ihre Charakteriftik. Es ift daher von befonderer Wichtigkeit, diefe Seite der Archi-
tektur zu verfolgen.
In den Zeiten, die wir bisher befprochen haben, beruhen Detailbildung, Pro-
filirung und Ornamentik im Wefentlichen auf der Antike und befonders auf ihrer
Interpretation in der Schule Bramante s und deffen »letzter Manier«. Gegen Ende
des XVI. und Anfang des XVII. Jahrhundertes bemerkt man das immer häufigere
Auftreten von Detailbildungen, die einen freieren Charakter und fcheinbar anderen
Urfprung haben. Die Franzofen pflegen letzteren in Flandern zu fuchen. Mir fcheint
diefe Anficht — wenigftens wenn man fie nicht erklärend ergänzt — unrichtig. Die
Vlämen waren vielleicht die Vermittler; der wahre Urfprung hegt aber bei Michel-
angelo und feiner Schule. Es fcheint daher geboten, der Sache an diefer Stelle
näher zu treten und fie möglichft ins Klare zu ftellen.
Innerhalb der Detailbildung der freien Strömung in Italien und Frankreich
glaube ich hier deutlicher auf die Exiftenz zweier Richtungen aufmerkfam machen
zu müffen, die ich der Klarheit halber als die »bizarre« und die »barocke« be-
zeichnen will. Die bizarre Richtung geht aus der ftrengen Schule Bramante s und
Raffael's hervor; die barocke Richtung beginnt mit Michelangelo und entwickelt
fich in feiner Schule weiter. Erftere ift im Wefentlichen in der dritten Phafe der
erften Entwickelungsperiode (Carl IX., Heinrich III.) die herrfchende; die letztere
wird es in der erften Phafe der zweiten Periode (Phafe Ludwig Xllff.
Die bizarre Richtung {genre bizarre) hält an einer fchärferen und feileren Be-
handlung des Details und des Ornaments feft. Die freieren Anordnungen deffelben
befchränken fich mehr darauf, den üblichen kleineren Baugliedern, namentlich dem
Detail, freiere Formen zu geben, ohne die Erinnerung an ihre Grundform zu ver-
 
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