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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 3.1938

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Weixlgärtner, Arpad: Geringschätzung der Graphik (Wiener Randbemerkungen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6338#0042
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Verzeichnis fußt sicherlich auf dem Materialismus der vergangenen Epoche, und der ist heute
in den Geisteswissenschaften überwunden und verpönt. In den interessanteren, den selbst-
schöpferischen Perioden sind die einschlägigen Arbeiten der Kupferstichkunde ganz oder
größtenteils getan. Auch ist heute das Interesse der Kunstgelehrten mit Vorliebe dem Mittel-
alter zugekehrt, und die Graphik setzt bekanntlich erst um 1400 ein. Überdies bringt die
wissenschaftliche Arbeit, immer schon karg entlohnt, heute natürlich noch weniger ein als
je. So ist es begreiflich, daß es der Autor gleich dem Verleger vorzieht, wohlfeile Bilderbücher
mit knappem, populärem Text herauszubringen. Diese verkaufen sich besser als jene welt-
fremden, teuren Katalogbände, die immer nur von wenigen benützt und geachtet wurden, und
erfüllen die Forderung der Zeit, daß die Wissenschaft in Fühlung mit dem Volke bleibe.

Das große Publikum hat wohl an alter und an exotischer Graphik Interesse, weniger an
moderner. Vor allem fehlt aber der kauflustige und kaufkräftige Liebhaber, der Sammler.
Wer studiert heute noch die verschiedenen Zustände einer radierten Platte, um sich daran
feinschmeckerisch zu erfreuen? Am Geld gebricht es weniger (man denke bloß an die Summen,
die für Sport, Reisen und Kino ausgegeben werden) als an besinnlicher Muße und an der
nötigen Schulung. Die Zeit ist für derlei in ihrem Kern zu unsicher und zu ruhelos. Wird
schon ein Kunstblatt erworben, so lieber eine Zeichnung als ein Druck, dessen Originalität dem
Laien doch immer irgendwie verdächtig erscheint.

Nicht zu vergessen des ungeheuren Aufschwunges der Photographie. Mit dem Gegenständ-
lichen, das Film und auf photographischer Grundlage illustrierte Bücher und Zeitschriften
bieten, kann der Graphiker nicht mehr Schritt halten. Davon ganz abgesehen, daß heute
schon fast jedermann über seinen eigenen kleinen Momentapparat verfügt. Die Porträtradierung
ist beinahe ganz verschwunden, farbige Landschaftsradierungen werden immerhin noch vom
Ausland gekauft, bescheidenes Leben regt sich noch auf dem beschränkten Gebiet der Ge-
brauchsgraphik, z. B. der Exlibriskunst.

Die Künstler selbst haben sich von der Graphik zurückgezogen. Bei der Radierung ist der
Druck zu umständlich und zu kostspielig. Vom Holzschnitt, der es nach dem Krieg dank der
Billigkeit und der leichten Zugänglichkeit seines Materials zu einer etwas ungesunden Blüte
gebracht hatte, ist man übersättigt. Die Lithographie findet keine Abnehmer; sie verlangt
naturgemäß ein größeres Format, ist wohlfeil und wäre daher (wie es um die Jahrhundert-
wende mit den Blättern der Karlsruher der Fall war) als Wandschmuck geeignet. Teils ist
aber in den kleinen modernen Wohnungen kein Platz, teils halten sich deren Inhaber an das
Gebot der zeitgenössischen Architekten, die Wände leer zu lassen. Wird aber doch ein origi-
nales Werk der gegenwärtigen Kunst an die Wand gehängt, so ist es, wie schon gesagt,
zumeist kein graphisches Blatt, sondern ein Aquarell oder eine Zeichnung. So wirft auch
der Künstler lieber rasch eine Zeichnung aufs Papier, ein Aquarell, als daß er sich der größeren
Mühe unterzöge, die ihm die Herstellung einer Radierung bereitet. In den graphischen Aus-
stellungen der Künstlervereinigungen drängen immer die Handzeichnungen die Graphik in
den Hintergrund.

Natürlich ist das cum grano salis zu verstehen. Noch legen Kupferstichforscher kritische
Oeuvreverzeichnisse an, noch bringen lebende Künstler graphische Werke hervor, noch findet
ein und das andere graphische Blatt einen Liebhaber, der es für sich erwirbt. Aber es läßt
sich nicht leugnen: all diese Tätigkeiten liegen nicht im Zug der Zeit.

Die angedeuteten miteinander vielfach verknüpften und in Wechselwirkung stehenden Ver-
hältnisse, die natürlich leichter festzustellen als zu beheben sind, spiegeln sich auch in dem
Schicksal unserer Zeitschrift und in dem ihrer um so viel jüngeren angelsächsischen Schwester,
The Print Collector's Quarterly, wider. Hüben und drüben strengt man sich an, die Überlieferung

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