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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 3.1938

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Tietze, Hans; Tietze-Conrat, Erica: Tizian-Graphik, [2]: Ein Beitrag zur Geschichte von Tizians Erfindungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.6338#0058
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sich 1516 beim venezianischen Senat um ein
Privileg, um die von ihm erfundene technische
Neuerung des Helldunkelschnittes ungestört
verwerten zu können. Da der Hieronymus den
Vermerk „cum privilegio" nicht trägt — den die
erste Ausgabe des Abrahamsopfers (Exemplar
im Berliner Kupferstichkabinett, abgebildet in
unserem Aufsatz a. a. 0., Abb. 143) schon
zeigt —, wird er vor der Erteilung des Privilegs
entstanden sein. Suida rückt ihn sogar bis
etwa 1512 zurück, Tizian hätte ihn sogleich
nach seiner Rückkehr aus Padua gearbeitet. Uns
scheint er aus stilistischen Gründen besser in
die Zeit zu passen, in der Tizian die Assunta
vorbereitete. Der sitzende Heilige zeigt die
eindrucksvolle Silhouette und ausdrucksvolle
Physiognomie der Apostel dieses Bildes, auch
mit dem der gleichen Zeit angehörenden Phari-
säer des Dresdner Zinsgroschenbildes besteht
eine ausgesprochene Verwandtschaft. Mit Recht
hat Suida die besondere Bedeutung dieses
gesicherten Werks aus Tizians Frühzeit unter-
strichen. Es steht an der Ubergangsstelle von
Tizians giorgioneskerPhase zu der seiner jugend-
lichen Selbständigkeit; während die Zeichen-
weise noch Spuren jener mitführt — und uns
dadurch eine willkommene Bestätigung unserer
Revindikation des Liller Polyphems bietet1 —,
hat die Pose schon teil an dem dramatischen Schwung der frühen Monumentalwerke. Viele
Jahrzehnte später griff Tizian im Sitzmotiv seines Adam im Madrider Sündenfall — gegen-
sinnig, also so, wie wir uns die von Ugo da Carpi geschnittene Vorlage vorzustellen haben —
auf den Hieronymus zurück; daß der Adam auf ein dem Anfang des Jahrhunderts angehöriges
Motiv zurückgehe, hat Hetzer nachdrücklich hervorgehoben,2 der Hieronymusholzschnitt
beweist, daß dieses Motiv der venezianischen Kunst zu Beginn des Cinquecento nicht nur im
allgemeinen bekannt war, sondern daß Tizian selbst es damals schon aufgegriffen hatte. Es
ist unwahrscheinlich, daß er sich damit begnügte, den Gedanken in einer Zeichnung nieder-
zulegen; der abgeschnittene Fuß könnte durch seinen Überraschungseffekt auf eine dahinter-
stehende Wandmalerei schließen lassen.8

Bei mehreren anderen Blättern ist hingegen die Bildvorlage in den Quellen überliefert, aber

1 Unser Aufsatz im Jb. d. kunsth. Sign. p. 174 f. — Man beachte die Art der Schraffenführung und die Model-
lierung der Muskel an den Armen!

2 Studien über Tizians Stil, Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1923, p. 230. Hetzer verweist auf das Vorkommen
des Sitzmotivs in einem dem Giovanni Bellini zugeschriebenen Hieronymusbild der ehemaligen Sammlung Bensoll
und auf einer Plakette des Ulocrino (Planiscig, Estensische Sammlung, Tafel VIII, Nr. 343).

Durch die zeitgenössische Inschrift von 1565 wird ein Porträt des Hochmeisters des Malteserordens Johann
de Valeta für Tizian gesichert, das aber durch die Stecherhand Rotas aller für Tizian sprechenden künstlerischen
Werte entkleidet wurde. Die Stellung erinnert an die des Bildes Franz I. im Louvre; vielleicht ist auch der Por-
trätkopf des Maltesers nach einer Medaille gearbeitet gewesen.

1. Hl. Hieronymus. Clairobscur von Ugo
da Carpi nach Tizian. Wien, Albertina

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