Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — N.F. 4.1939

DOI Artikel:
Bodmer, Heinrich: Die Entwicklung der Stechkunst des Agostino Carracci, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6339#0126
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
werden, wenn man sich von den Stileinflüssen eine Vorstellung machen will, welche auf die
bolognesische Kunst zu der Zeit Domenicos einen Einfluß ausübten. Aber es war Tibaldi
nicht gegeben, sich von diesen Stiltendenzen zu befreien und sich zu einer starken persön-
lichen Kunst durchzuringen. Seine Arbeiten wirken trotz der schwülstigen Formensprache
und der prunkvollen Bildgliederung matt und konventionell. Er ist in Auffassung wie in der
Behandlung des menschlichen Körpers der typische Vertreter des bolognesischen Manieris-
mus, der in der Kunst des Lorenzo Sabattini und Orazio Samacchini sein Vorbild besaß.
Domenico Tibaldi ist sich Zeit seines Lebens als Stecher annähernd gleich geblieben. Erst
gegen Ende seiner Laufbahn macht sich ein gewisser Fortschritt geltend, der aber schon auf
die Einwirkung Agostinos zurückzuführen ist. Zu dieser Zeit entsteht sein bestes Blatt, ein
Stich nach der „Madonna della Rosa" von Parmigianino (Abb. 1).

Die Ausbildung, welche Agostino bei Tibaldi genoß, und die jahrelange enge Zusammen-
arbeit der beiden Künstler im gleichen Atelier haben bei Agostino gewisse Spuren zurück-
gelassen. Von Domenico, der ein sehr gewissenhafter und sorgfältiger Stecher war, hat er
die gründliche und umsichtige Arbeitsmethode übernommen, die zeitlebens ein Charakterzug
seiner Kunst bleiben sollte. Ihm verdankt er aber auch die strenge zeichnerische Disziplin
und die ruhige, überlegte Führung des Grabstichels. In den langen Jahren der Tätigkeit bei
dem älteren Meister, der auch wirtschaftlich für den jüngeren Künstler sorgte, lernte er die
Selbstzucht und Selbstbescheidung, die ihm früher in den Jahren der Unabhängigkeit geman-
gelt hatte und die die unumgängliche Voraussetzung für seinen späteren Erfolg bildete.

Domenico war nicht der Mann, um die Aspirationen Agostinos nach einer vollkommeneren
Ausdrucksform und nach einem höheren Flug des Geistes zu befriedigen. Den Führer aber,
dessen er bedurfte, um seinen Weg zu machen, fand er in Cornelius Cort, einem nach Italien
übergesiedelten und dort zu Ansehen und Ruhm gelangten Niederländer. Dieser Agostino im
Charakter und in der Begabung verwandte Künstler ist denn auch für seine Entwicklung
von größter Bedeutung gewesen. Über die Beziehungen Agostinos zu Cort weiß Malvasia
manches zu berichten, welches für uns von Interesse ist. Er sagt: „Einige behaupten, daß
Agostino eine Zeitlang unter Cort gearbeitet habe und sein Schüler gewesen sei, denn in vielen
Kupfern dieses Meisters erscheint der Charakter des Schülers . . . als Cort aber eifersüchtig
wurde, jagte ihn der Meister aus seiner Werkstatt fort, worauf Agostino aus Ärger und um
sich zu rächen anfing, Werke, die Cort zu stechen unternommen hatte, nachzuarbeiten." Ob
freilich Agostino bei Cort wirklich gearbeitet habe, ist ungewiß. Zunächst einmal hielt sich
Cort während der Jahre, in welche die Entwicklung Agostinos fiel, nicht in Bologna, sondern
nach 1565 in Venedig und seit 1571 in Rom auf. Dort ist er dann auch im Jahre 1578 gestor-
ben. Will man also eine Lehrzeit Agostinos bei Cort annehmen, so ist man gezwungen, sie
in die Zeit vor dem Jahre 1578 zu verlegen. Dies würde auch damit übereinstimmen, daß
der Einfluß Corts auf den jungen Künstler sich schon seit den Jahren 1575 und 1576 geltend
macht. Um diese Zeit muß eine Berührung stattgefunden haben, ohne daß freilich gesagt
werden kann, ob Agostino wirklich in Rom war oder nicht. Später kam es zu einem Zerwürfnis
der beiden Künstler. Es wurden heftige Briefe gewechselt, in denen es bis zu Drohungen kam.
Eines dieser Schreiben ist später Malvasia zu Gesicht gekommen.

Welches ist nun die Stellung Corts in der italienischen Stechkunst und wie hat sich der
Einfluß dieses Meisters auf Agostino geltend gemacht ? In Honn in Holland geboren, arbeitete
Cort bis zu seinem 35. Lebensjahre meist in Antwerpen, wo er sich an die Vertreter der älteren
Kunst, Hieronymus Cock und die Brüder Wierix, anschloß. Seine damals entstandenen Stich-
serien mythologischen und allegorischen Inhalts sind in einem wenig ausdrucksfälligen,
trockenen Stil ausgeführt, der die spätere glänzende Entwicklung noch nicht ahnen läßt. Der

122
 
Annotationen