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Vorwort.

Vor mehr denn einem Jahrzehnte begann ich mit den Vorarbeiten, eine Veröffent-
lichung meiner Studien lag mir zunächst fern.

Der Wandteppich erschließt sich in all seiner Schönheit, seinem geheimnisvoll stillen
Leben, nur dem, der ihn liebt, der ihn erfassen lernt, der mit ihm verwächst. Ich
wurde zum Diener des Bildteppichs. Mit der wachsenden Erkenntnis der Eigenart
dieser köstlichsten Blüte niederländischen Kunstfleißes, erstarkte in mir der Wunsch,
dem Werden und Vergehen der Bildwirkerei in vielfach verzweigten Gängen nachzu-
spüren, die geistige und künstlerische Umgebung zu finden, die dem Wandteppich
das Leben schenkte, die sein Erlöschen zur Folge hatte. Jedes Kunstwerk ist nur zu
verstehen im Gedankengange der Zeit, die es schuf. Es ist sinnlos, Namen auf Namen
zu häufen, Teppichfolgen nach Teppichfolgen zu benennen, wenn nicht die Erkenntnis
tagt, worin die Eigenart, das Gepräge der alten Manufakturen beruht, welche Gedanken-
gänge, welches künstlerische Empfinden und Erleben die Meister gewisser Ateliergruppen
zwangen, in ganz bestimmten Bahnen ihr Können der Menschheit zur Verfügung zu
stellen. Der Bildwirker ist Kunsthandwerker, er ist abhängig von vielfältigen Einflüssen.
Die Langsamkeit und Schwierigkeit der Technik, deren Erkenntnis den ersten Grund-
stein bildet, die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Zeitumstände, die geistigen
Strömungen, die die Großen der Erde bei ihren Aufträgen in hohem Maße bestimmten,
kurz eine Unsumme von Umständen verschiedenster Art, bedingten die Entwicklung
der Manufakturen der Niederlande. Aus dem Dunkel des Mittelalters, das den Bild-
wirker zugunsten des Großhändlers zurücktreten läßt, erwächst der selbstbewußte
Meister Brüssels, dem seltsam heterogen der ewig unzufriedene Lohnarbeiter Ouden-
aardes, der genügsame Handwerker der kleinen holländischen Ateliers gegenübersteht.
Die Bildwirkerei ist nicht von rein künstlerischen Gesichtspunkten aus zu erfassen.
Ohne eingehende geschichtliche, wirtschaftliche und literarische Studien bleibt jede
Forschung kümmerliches Stückwerk. Die Erkenntnis schuf die Gliederung des Stoffes.
Der Technik folgt die Deutung des Bildteppichs. Ich habe versucht, den Einfluß zu
klären, den das damalige Schriftwesen, das im engsten Zusammenhange mit den Panto-
mimen, den Mysterienspielen, den Intermedien, dem Theater, kurz mit allem, was den
Menschen erfreute und über das Grau des Alltags erhob, auf den Entwerfer der Skizzen,
den Patronenmaler und den Wirker übte. Ich habe versucht, dem Künstler und Menschen
nahe zu kommen. Auf der gleichen Grundlage bewegt sich die Behandlung der Einzel-
manufakturen, die nach den Grafschaften des ehemaligen Herzogtums Burgund gegliedert
sind. Innerhalb des Rahmens baut sich jedes Atelier als abgeschlossenes Ganzes auf,
eine Trennung den Zeitabschnitten nach habe ich nach Möglichkeit vermieden, die
Häufung der Meisternamen, die allzu farblos das Bild zerreißen, ist in den Anhang
(Literatur) verwiesen. Ein Markenverzeichnis schließt den Text.

Der erste Teil naht sich in der Drucklegung dem Ende. Ich beginne mit dem
Index. Wie vieles erscheint mir bei der nochmaligen Durchsicht ungeklärt, einer
neuen, eingehenden Bearbeitung würdig. Wie manche Lösung blieb mir bei dem
besten Willen versagt, wie eine eherne Mauer erhoben sich die Schwierigkeiten der
Kriegs- und Nachkriegszeit. Ich habe recht oft erfahren müssen, daß Liebe zur Wissen-
schaft und zum Schönen durchaus nicht Allgemeingut sind, daß politische Grenzen

IX
 
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