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Technik

Teiles der Wirkerei. Die Konstruktion ist unschwer verständlich. Der Spannhebel
wird mittels starker Taue gehandhabt; die haltende Schleife schlingt sich um den
verstellbaren eisernen Pflock des Baumes.

Die Methode des Spannens war stets mit Schwierigkeiten verbunden. Abgesehen
von der scharfen körperlichen Anstrengung erschien eine Gefahr für Leib und Leben
nicht ausgeschlossen. Die Schleife konnte von dem Pflock abgleiten, die Nutleiste
herausspringen oder brechen, das Seil reißen; Unfallmöglichkeiten waren zweifelsohne
gegeben. Mehr oder minder schwere Verletzungen der Spanner gehörten nicht zu
den Seltenheiten.

Die nächstliegende Verbesserung bestand darin, die Spannung mittels einer Winde
zu bewirken, die an der gegenüberliegenden Atelierwand befestigt war und mittels
eines Seilzuges den Hebel des Kettenbaumes herabdrückte. War die Operation nach
Wunsch erledigt, wurde der Spannhebel mit den Stützsäulen vertaut. Es erscheint
fraglich, ob die Methode vor der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits Eingang
fand. Behebt war sie anscheinend nicht, vielleicht aus dem Grunde, weil bei unvor-
sichtiger Handhabung leicht ein Überspannen der Kette eintreten konnte. Die modernen
Stühle der Berliner Gobelin-Manufaktur zeigen noch jetzt eine primitive Spannvorrich-
tung. Die Enden des W arenbaumes sind mit Löchern versehen, in die Eisenstäbe ge-
steckt werden, mit deren Hilfe die Drehung vollzogen wird.

Besondere Gewichts- oder Spann-Normen scheinen nicht angewandt zu sein. Gers-
pach und Darcel nehmen auf Grund nachträglicher Messungen etwa 3 kg auf den
Kettfaden an; eine gewaltige Last, wenn man bedenkt, daß auf eine Länge von rund
4 m 2400—3200 Kettfäden — je nach Stärke — kommen, die Spannung also zwischen
7200 und 9600 kg schwankt (6).

Tatsächlich lassen sich sichere Zahlen nicht geben; die erforderliche Spannung ist
abhängig von der Art des verwandten Materials, von der Stärke der Kette und einer
Reihe anderer Faktoren. Meines Wissens arbeitet auch heutzutage kein Atelier an
Hand bestimmter Spann-Normen; die Berliner Gobelin-Manufaktur hat das anfangs
geübte System wieder aufgegeben. Es bleibt der Erfahrung des Wirkers überlassen,
die zweckmäßige Spannung einzustellen.

Abb. 4 zeigt die neue Spann Vorrichtung der Gobelins, angeblich die Erfindung des
Architekten Charles Alexandre Guillaumot, dem 1789 erstmalig die Leitung der Gobelins
übertragen wurde. Fraunberger streitet ihm mit Recht die Ehre dieser Verbesse-
rung ab (7). Die Tatsache, daß die Diderotsche Enzyklopädie bereits die Konstruktion
zeigt, erspart weitere Erörterungen. Es handelt sich im wesentlichen um die sinn-
gemäße Übertragung der Spann Vorrichtung des von Vaucanson 1757 verbesserten tief-
litzigen Stuhles. Mittels eines in die Stützsäulen eingelassenen Zwischenstückes wird
mit Hilfe von Schraubengewinden die Entfernung der beiden Bäume je nach Wunsch
verringert oder erweitert, das Kettfach also gelockert oder gespannt. Der Waren-
baum ist beiderseits in die bewegliche Wange verzapft, die in den Nuten der ge-
teilten Stützsäulen läuft. Wesentlich bei der Operation ist das gleichmäßige Hand-
haben der Kurbeln, da leicht ein Welligwerden des fertiggestellten, aufzurollenden
Teiles des Behanges, ja ein Reißen der Kettfäden eintreten kann. Die Einzelheiten
der Konstruktion sind von untergeordnetem Interesse.

Die enorme Länge des Kettenbaumes, die im Lichten, d. h. zwischen den Stand-
säulen, bisweilen 6,5 m erreicht, und die gewaltige Spannung des Kettfaches erklären
unschwer eine Eigenart, die sich bei so manchen umfangreichen Wandteppichen
unangenehm bemerkbar macht, die Abweichung vom Viereck, die Einbeulung der
Seitenmitten.

„Ledict ouvrage se fera et delibura trouver de tele haulteur et profondeur au my-
temps, qu'aux deux cornez et bout d'icelluy" verfügt die bekannte Verordnung Kaiser
Karls V. vom 16. Mai 1544. Ehe die endgültige Abnahme durch die Innungsgeschwo-
renen und damit die Freigabe zum Verkauf ausgesprochen wurde, war der Wirker
verpflichtet, vor den Augen der Prüfer durch Zusammenlegen des Teppichs den Nach-

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