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Deutung

semös d'estoiles*. Die Lösung, die die Tugenden als lebende Bilder dem architekto-
nischen Rahmen des Baues einfügt, erinnert wiederum lebhaft an das spätere Reimser
„Thöätre". Mit „korallenem" Munde künden die guten Genien des Menschen die
Weisheit des Lebens. Die Auffassung ist im wesentlichen in «La Fe" beibehalten.
Auf dem Thronsitze herrscht Fides — Glaube —, in der Linken das kleine Kirchen-
modell, in der Rechten die Gesetzestafeln und die Kerze. Die Symbole sind der fran-
zösischen Tugenden-Ikonographie entnommen (123).

Auch der zu Füßen der allegorischen Frauengestalt hingestreckte „Mahumetus"
(Mohammed) ist ein ebenso beliebtes, wie bekanntes Attribut des siegenden Glaubens.
Die Idee — ein an und für sich Petrarcascher Gedanke — gewinnt im 14 Jahr-
hundert in Frankreich und den flämischen Grenzgebieten Raum (124); sie findet
später in den gedruckten Heures des Simon Vostre schnelle Verbreitung. Ähnlich
werden die übrigen sechs Tugenden durch den niedergeworfenen Gegner, der
der Herrin als Fußschemel dient, identifiziert. Judas ist der Besiegte der Hoff-
nung, Herodes der der Liebe, Sardanapal liegt zu Füßen der Klugheit, Tarquinius
wird von der Mäßigkeit beherrscht, Nero von der Gerechtigkeit, Holofernes von der
Stärke.

Die Gruppe der Fides mit dem unterlegenen Mohammed ist architektonisch besonders
wirkungsvoll gefaßt, ein sarazenisches «Drap d'or" mit eingestickten arabischen Schrift-
zeichen dient als Rückwand des Thronsitzes.

Um die Herrscherin gruppieren sich Hoffnung, Mäßigkeit, Liebe und Gerechtigkeit,
ihnen zu Füßen winden sich die besiegten Gegner, von denen nur Judas mit einem
besonderen Attribute, dem Sack mit dem Blutgeld, ausgestattet ist. In jedem Falle
schließen die beigefügten Namen — abgesehen davon, daß die betreffenden Tugenden
ihre nicht mißzuverstehenden Symbole tragen — Irrtümer aus. Prudentia mit dem
Spiegel und Fortitudo mit Turm und Drachen stehen, den Angaben des „Temple
d'Honneur" entsprechend, auf halbhohen Sockeln rechts und links von dem Haupt-
trakte. Observantia und Religio schließen den Reigen. In der Mitte der Vorderszene
halten zwei geflügelte Putten einen Korb mit Weintrauben, das bekannte Symbol des
Blutes Jesu-Christi.

Helden und Heldinnen der Vergangenheit strömen in den Tempel der Tugenden.
In bunten Reihen wechseln die Gestalten. Links kniet Karl der Große, Scipio Afri-
canus trägt die Turnierlanze mit dem Banner, in ähnlicher Haltung verharrt rechts die
prächtig gewappnete Thomiris. Die gerecht befundenen Heroen wandeln, die Palme
des Sieges in der Hand, über breite Stufen in den Saal der Ehren. Durch beigesetzte
Namen sind die meisten Gestalten unschwer erkennbar, unter den Frauen finden wir
«Claudia Vestaiis", „Sibilla Cumana", Virginia und Susanna, die Keusche. In „El Honor"
spinnt sich die Erzählung unmittelbar fort. Die Ehrentreppe in der rechten Ecke von
„La Fe" entspricht in Architektur und Steigungsverhältnis dem Aufgange zu dem Ehren-
saal in der äußersten Linken des Ehrenteppichs.

Die Seligen empfangen am Eingange des Saales die Weihe, den Kranz der Tugend
und des Lebens. Die Halle der Ehren erschließt sich, ähnlich wie Jean Leinaire den
Temple d'Honneur Auroren zeigt, den Blicken des Beschauers; Heroldsgestalten ziehen
die Vorhänge zurück. Den Thronsitz nimmt Honor ein — eine Gestalt, die lebhaft an
den Typ des „Gott-Sohnes" erinnert —; zwei Viktorien halten den Lebenskranz über
dem gekrönten Haupte (125). Zu Füßen des Herrschers bilden „Hoheit" und „Verehrung",
allegorische Frauen gestalten in langen wallenden Gewändern, eine Art Ehrenwache. Im
Halbkreise öffnet sich der gewaltige Gerichtssaal (Abb. 88). Auf reichem Gestühle thronen
die rühm gekrönten, in allen Tugenden bewährten Kämpfer und Kämpferinnen des
Lebens. Wappenschilde im zweiten Range des theaterartig gelösten Raumes verkünden
Würde und Stand der in den Logen weilenden Großen im Reiche der Ehre. Wir
finden u. a. David, Josias (Josua), Hektor, Kato, Gideon, Scipio, Fabricius, Camillus,
Octavian, Judas Makkabäus, Augustus, Trajan, König Artur, Konstantin, Carolus Magnus,
den heiligen Ludwig von Frankreich, Gottfried von Bouillon, Alexander d. Gr. und

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