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A r r a s

Kleinweber ist schlechterdings nicht in der Lage, die erforderliche Wolle in Brügge
zu erwerben. Noch erbärmlicher geht es dem Bildwirker. Seine Rohprodukte —
Goldfäden, Seide, die teuere englische Wolle — sind noch weit kostspieliger, die Ab-
satzmöglichkeit seiner Ware ist, infolge der Langwierigkeit der von ihm geübten
Arbeitsweise, ohne ausreichenden pekuniären Rückhalt außerordentlich erschwert. Der
Kleinwirker ist und bleibt Lohnarbeiter. Das Grundübel, an dem die Technik krankt,
ist die außerordentliche Langsamkeit. Entweder sucht der Wirker selbständig zu
bleiben und beschränkt sich auf die Anfertigung von Kleinarbeiten, Kissenblätter, Maul-
tierdecken und dergleichen, oder er sinkt im Großbetriebe zum schlecht bezahlten Tage-
löhner herab. Wir finden eine Reihe von Manufakturen, die an dem Grundsatze der
Kleinwirkerei festhalten, wie Valenciennes oder Lille, andere wieder arbeiten im Rahmen
der Großindustrie, wie Arras oder Tournai.

Naturgemäß setzt bereits früh das Bestreben ein, den technischen Vorgang durch
Zuhilfenahme maschineller Vorrichtungen zu einem schnelleren Tempo zu zwingen.
Der hochlitzige Stuhl oder kurz der Hochstuhl wird in den Orten mit Großbetrieb
sehr rasch durch den tieflitzigen ersetzt, der durch die Einschaltung der Pedale ein
wesentlich schnelleres Arbeiten ermöglicht.

Zweifelsohne ist in dem Arras des ausgehenden 14. Jahrhunderts bereits die Mehr-
zahl der Betriebe auf Basselissetechnik eingestellt. Es ist, abgesehen von theoretischen
Erwägungen, technisch ausgeschlossen, Riesenwirkereien, wie sie die burgundischen
Herzöge und fromme Stifter in Arras und Paris in Auftrag geben, in den verlangten
kurzen Zeitspannen herzustellen. Selbst wenn man Stühle von enormen Abmessungen
annimmt, wenn nur erstklassiges Wirkermaterial vorausgesetzt wird, ist bei der gröb-
sten Technik — etwa vier bis fünf Kettfäden auf den Zentimeter —, die die gehäufte
Figurenzeichnung der damaligen Patronen zuläßt, kein Teppich von oO und mehr
Quadratmetern im Laufe von einigen Monaten anzuliefern, wenn nicht die Basselisse-
technik und mit ihr eine bereits stark einsetzende Arbeitsteilung vorausgesetzt wird.
Irreführend sind vielfach die Ausdrücke „hautelissier" und „tapissier sarrazinois", die
in der frühen Pariser Manufaktur eine so bedeutsame Rolle spielen. Wollte man nach
dem Anwachsen der „hautelissiers" die Technik beurteilen, so müßte umgekehrt im
Großbetriebe der hochlitzige den tieflitzigen Stuhl verdrängt haben; eine Annahme, die
schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu halten ist. Erschwert wird die Frage
durch die eigenartig springenden Einheitspreise der in den zeitgenössischen Belegen
erwähnten Wirkereifolgen.

Sofern die «tapissiers sarrazinois" Handwerker sind, die in der schnelleren Basselisse-
technik arbeiten, weshalb stellen sich die Einheitspreise vielfach nicht wesentlich billiger f
Eine genaue Beurteilung ist ausgeschlossen, da man die Kettfadenstärke der angeführten
Wandteppiche nicht mehr kennt. Eine feinkettige ßasselissearbeit ist teurer wie eine
grobkettige Hautelissewirkerei. Was bedeutet überhaupt „sarrazinois", und worauf be-
zieht sich der terminustechnicus? Zunächst hat „sarazenisch" mit den Untertanen Saladins
wenig zu schaffen. Der Ausdruck bezeichnet allgemein ein heidnisches oder fremd-
ländisches Erzeugnis. «D'outremer" oder „sarrazinois" deckt sich im wesentlichen. Wie
Avenig man im 13. oder 14. Jahrhundert an die Sarazenen im ethnographischen Sinne
dachte, zeigen z. B. die zahlreichen Heldengedichte und Prosaromane, die sich mit den
Gestalten aus dem Kreise Karls des Großen befassen. Ob die spanischen Mauren oder
die heidnischen Sachsen in das Reich des Kaisers einbrechen, beide heißen Sara-
zenen. Immerhin muß ein auffallendes Merkmal vorhanden gewesen sein, das die
Gewebe als sarazenisch erkennen läßt. Es ist dies nur hinsichtlich der abweichenden
Art der Technik oder der Farbengebung möglich. Es liegt nahe, die sarazenischen Be-
hänge als Knüpfteppiche anzusprechen. Die Orientalen benutzen für die Herstellung
ihrer Teppiche jedoch nicht den tieflitzigen sondern in der Regel den hochgestellten
Stuhl. Bei dem konservativen Charakter der orientalischen Stämme ist kaum anzu-
nehmen, daß sich seit etwa 1200 eine wesentliche Änderung vollzogen haben sollte.
Fremdländische Teppiche werden zudem in den zeitgenössischen Rechnungsbelegen als

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