Brüssel
Patrone — an Stelle des Mittelbildes, das die Abendmahlsszene bringt, treten die vier
Kirchenväter, umgeben von dem knienden Klerus, unter Vortritt von St, Gregor, der
das Ciborium hält — den Behang, der nach der ganzen Schilderung wä la tabernacle"
gedacht ist, zum Wintermarkte 1477 in Bergen-op-Zoom abzuliefern. Der Einheits-
preis wird mit 6 Tournaiser Schillingen für die Quadratelle festgesetzt. Die Unkosten
für die neu zu entwerfende und in Naturgröße aufzutragende Mitteldarstellung fallen
dem Wirker zur Last.
Am 7. April 1451 erscheinen zum erstenmal Statuten der neuen Jegwerkersam-
bacht", die zwar noch nicht wesentlich von ihren älteren Vorbildern abweichen,
immerhin für die Charakteristik des Brüsseler Teppichwirkerbetriebes nicht ohne Be-
lang sind. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß um die Mitte des 15. Jahrhunderts
die alten Zunftordnungen mit ihren, lediglich auf das Interesse eines bestimmten
Klassenmonopols gerichteten Bestrebungen starken Angriffen ausgesetzt sind. Natur-
gemäß setzt der Umschwung bei rein industriell eingestellten Betrieben, die rasch
Ware erzeugen und umsetzen müssen, wesentlich heftiger ein, wie bei einer ausge-
sprochenen Luxusindustrie, die zwar auch mit einem abgekürzten Betriebsverfahren
zu rechnen beginnt, letzten Endes aber auf schnelle Fertigstellung erst in zweiter
Linie Wert legen darf, wenn das Erzeugnis qualitativ auf der Höhe bleiben soll. Der
neue kapitalistische Zug wirkt in Brüssel nicht in dem Maße zersetzend auf die alte
Zunftorganisation, wie z. B. in Oudenaarde. Die Zeit, die die ersten Brüsseler Wirker-
Statuten gebiert, zeigt eine merkwürdige Zerrissenheit; einzelne Zünfte — in erster Linie
die schwerbedrängten Tuchmacher — werden durch die Not gezwungen, soziale Zu-
geständnisse zu machen; andere wieder schrauben in starrem Konservatismus und in
Verkennung der Sachlage die wirtschaftlichen Grundbedingungen zurück.
Beginnen wir mit der Stellung des Lehrlings. „Item dat nyemant voortaen voer
leerknape ontfangen en sal moegen werdden int voirs ambacht hij en zij volcomelijc
8 jaer out", besagt die Ordonnantie vom 10. Juni 1475. Die Meistersöhne haben den
Vorteil — weniger für die eigene Person, wie für den väterlichen oder einen be-
freundeten Betrieb — ein Jahr früher, also mit dem vollendeten siebenten Lebens-
jahre, eintreten zu dürfen. Ziehen wir die Ordnung der Pariser „Tapissiers sarra-
zinois" vom Jahre 1258 zum Vergleiche heran, so zeigt sich, daß im Laufe von mehr
als zwei Jahrhunderten das Verständnis für soziale und hygienische Jugendpflege noch
keinen Schritt weiter gekommen ist, ttli mestre ne puet ne ne doit prendre autre aprentiz
devant que Ii VIII anz en soient enterrinement (entierment) acompliz". Hier wie
dort wird ein ordnungsmäßig beglaubigter Lehrvertrag errichtet, von den Geschwo-
renen der Innung bestätigt oder zum mindesten der Form entsprechend dem Vor-
stande zur Kenntnis überreicht. In beiden Fällen werden nicht unbeträchtliche Auf-
nahmegelder erhoben, das beste Mittel, ungenügend fundierte Elemente auszuscheiden
und einer Überfüllung des Handwerkes, d. h. unangenehm werdender Konkurrenz,
rechtzeitig vorzubeugen. Ließ die Pariser Ordnung noch die Möglichkeit zu, auch
ohne Barmittel in den erwünschten Beruf zu gelangen — die fehlenden 100 Sous
wurden durch eine um zwei Jahre verlängerte Lehrzeit ersetzt —, so schrauben die
Brüsseler Ordonnantien die Aufnahmegebühren ständig in die Höhe. Die Verordnung
vom 7. April 1451 begnügt sich noch mit UII güldenen riders'* und einem Lot Rhein-
wein; die Ordonnantie vom 10. Juni 1475 trägt dem anscheinend gesteigerten Durste
der Geschworenen Rechnung und fügt ein zweites Lot W ein hinzu. Eine Ausnahme
machen in Brüssel wieder die Meistersöhne. Der Fortschritt zwischen der Pariser
und der brabantischen Ordnung liegt in der Abkürzung der Lehrzeit. Das Regle-
ment von 1258 bzw. 1277 sieht eine Lehrzeit vor von nicht weniger als acht Jahren,
die sich bei Nichteinzahlung des Lehrgeldes auf zehn Jahre erhöht. Die lange Spanne
wird nicht allein durch die Schwierigkeit des Berufes begründet, sie ermöglicht vor
allem die stärkste Ausnutzung der Arbeitskraft des Lernenden, die naturgemäß in stei-
gender Progression mit der Länge der Lehrjahre wächst. In Paris verschafft die lange
Lehrepoche dem Meister billige und fügsame Gehilfen und zugleich mühelosen, nicht
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Patrone — an Stelle des Mittelbildes, das die Abendmahlsszene bringt, treten die vier
Kirchenväter, umgeben von dem knienden Klerus, unter Vortritt von St, Gregor, der
das Ciborium hält — den Behang, der nach der ganzen Schilderung wä la tabernacle"
gedacht ist, zum Wintermarkte 1477 in Bergen-op-Zoom abzuliefern. Der Einheits-
preis wird mit 6 Tournaiser Schillingen für die Quadratelle festgesetzt. Die Unkosten
für die neu zu entwerfende und in Naturgröße aufzutragende Mitteldarstellung fallen
dem Wirker zur Last.
Am 7. April 1451 erscheinen zum erstenmal Statuten der neuen Jegwerkersam-
bacht", die zwar noch nicht wesentlich von ihren älteren Vorbildern abweichen,
immerhin für die Charakteristik des Brüsseler Teppichwirkerbetriebes nicht ohne Be-
lang sind. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß um die Mitte des 15. Jahrhunderts
die alten Zunftordnungen mit ihren, lediglich auf das Interesse eines bestimmten
Klassenmonopols gerichteten Bestrebungen starken Angriffen ausgesetzt sind. Natur-
gemäß setzt der Umschwung bei rein industriell eingestellten Betrieben, die rasch
Ware erzeugen und umsetzen müssen, wesentlich heftiger ein, wie bei einer ausge-
sprochenen Luxusindustrie, die zwar auch mit einem abgekürzten Betriebsverfahren
zu rechnen beginnt, letzten Endes aber auf schnelle Fertigstellung erst in zweiter
Linie Wert legen darf, wenn das Erzeugnis qualitativ auf der Höhe bleiben soll. Der
neue kapitalistische Zug wirkt in Brüssel nicht in dem Maße zersetzend auf die alte
Zunftorganisation, wie z. B. in Oudenaarde. Die Zeit, die die ersten Brüsseler Wirker-
Statuten gebiert, zeigt eine merkwürdige Zerrissenheit; einzelne Zünfte — in erster Linie
die schwerbedrängten Tuchmacher — werden durch die Not gezwungen, soziale Zu-
geständnisse zu machen; andere wieder schrauben in starrem Konservatismus und in
Verkennung der Sachlage die wirtschaftlichen Grundbedingungen zurück.
Beginnen wir mit der Stellung des Lehrlings. „Item dat nyemant voortaen voer
leerknape ontfangen en sal moegen werdden int voirs ambacht hij en zij volcomelijc
8 jaer out", besagt die Ordonnantie vom 10. Juni 1475. Die Meistersöhne haben den
Vorteil — weniger für die eigene Person, wie für den väterlichen oder einen be-
freundeten Betrieb — ein Jahr früher, also mit dem vollendeten siebenten Lebens-
jahre, eintreten zu dürfen. Ziehen wir die Ordnung der Pariser „Tapissiers sarra-
zinois" vom Jahre 1258 zum Vergleiche heran, so zeigt sich, daß im Laufe von mehr
als zwei Jahrhunderten das Verständnis für soziale und hygienische Jugendpflege noch
keinen Schritt weiter gekommen ist, ttli mestre ne puet ne ne doit prendre autre aprentiz
devant que Ii VIII anz en soient enterrinement (entierment) acompliz". Hier wie
dort wird ein ordnungsmäßig beglaubigter Lehrvertrag errichtet, von den Geschwo-
renen der Innung bestätigt oder zum mindesten der Form entsprechend dem Vor-
stande zur Kenntnis überreicht. In beiden Fällen werden nicht unbeträchtliche Auf-
nahmegelder erhoben, das beste Mittel, ungenügend fundierte Elemente auszuscheiden
und einer Überfüllung des Handwerkes, d. h. unangenehm werdender Konkurrenz,
rechtzeitig vorzubeugen. Ließ die Pariser Ordnung noch die Möglichkeit zu, auch
ohne Barmittel in den erwünschten Beruf zu gelangen — die fehlenden 100 Sous
wurden durch eine um zwei Jahre verlängerte Lehrzeit ersetzt —, so schrauben die
Brüsseler Ordonnantien die Aufnahmegebühren ständig in die Höhe. Die Verordnung
vom 7. April 1451 begnügt sich noch mit UII güldenen riders'* und einem Lot Rhein-
wein; die Ordonnantie vom 10. Juni 1475 trägt dem anscheinend gesteigerten Durste
der Geschworenen Rechnung und fügt ein zweites Lot W ein hinzu. Eine Ausnahme
machen in Brüssel wieder die Meistersöhne. Der Fortschritt zwischen der Pariser
und der brabantischen Ordnung liegt in der Abkürzung der Lehrzeit. Das Regle-
ment von 1258 bzw. 1277 sieht eine Lehrzeit vor von nicht weniger als acht Jahren,
die sich bei Nichteinzahlung des Lehrgeldes auf zehn Jahre erhöht. Die lange Spanne
wird nicht allein durch die Schwierigkeit des Berufes begründet, sie ermöglicht vor
allem die stärkste Ausnutzung der Arbeitskraft des Lernenden, die naturgemäß in stei-
gender Progression mit der Länge der Lehrjahre wächst. In Paris verschafft die lange
Lehrepoche dem Meister billige und fügsame Gehilfen und zugleich mühelosen, nicht
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