Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Brüssel

gering zu wertenden Verdienst. Der Kleinwirker ist in gewissem Sinne auf die Fron
des ihm zur Ausbildung Übergebenen angewiesen, steht er doch selbst, nach der Art
des Bildteppichvertriebes, in den meisten Fällen in ständiger Abhängigkeit von dem
ihn mit Rohstoffen und Geldvorschüssen beliefernden Kaufmann.

In Brüssel ist der Meister selbständiger geworden, die völlige Tinabhängigkeit von
dem vermittelnden Zwischenhändler ist zwar noch nicht ganz erreicht, der Stolz des
selbstbewußten Handwerkers, der sein Geschick in die eigenen Hände nimmt, jedoch
erwacht. Der Nachdruck liegt nicht mehr auf der Länge der Lehrzeit, die in Brüssel
nach drei Jahren beendet ist, sondern auf einem ständigen Herausheben der Meister-
söhne, die eine Kaste für sich bilden, die versuchen, fremde Elemente fern zu halten,
zum mindesten sie nicht hoch kommen zu lassen.

Die übrigen Lehrbestimmungen ähneln stark den frühen Pariser Vorschriften. Hier
wie dort spricht der persönliche und geltliche Vorteil des Meisters das entscheidende
Wort. In Paris wie in Brüssel soll lediglich ein Lehrling ausgebildet werden, erst im
letzten Lehrjahre darf in Paris ein Neuling eintreten. Die Konkurrenzbekämpfimg wird
im 13. Jahrhundert durch die Eigenart der gesamtenLebens- und W irtschaftsanschauungen
erklärt,zu Ende des 15. Säkulums dient sie als bewußte Waffe gegen den gefürchteten
Kapitalismus. Die Erkenntnis, wie falsch derartige Maßnahmen sind, tagt erst ein halbes
Jahrhundert später, ohne allerdings der Bildwirkerei, dem ausgeprägten Luxusbetriebe,
sonderlich schaden zu können. Noch 1496 versucht der Magistrat zu Courtrai die Not-
lage der Weber nicht durch eine neue, zweckmäßige Umschaltung der veralteten
Technik zu beleben, er verfügt vielmehr, daß jedem Zunftgenossen nur noch ein einziger
Webstuhl zur Arbeit zu belassen sei (8).

In Brüssel macht der Meistersohn auch in der Art der Zulassung wieder die bewußte
Ausnahme. Seine Lehrausbildung ist erlaubt, unabhängig davon, ob ein fremder Lehr-
ling im Betriebe beschäftigt wird oder nicht. Die ursprüngliche Vorschrift, daß neben
einem fremden Lehrling nur ein eigenes Kind mitlernen darf, wird bald auf weitere
Familienangehörige ausgedehnt. Je mehr Söhne der Meister zur Verfügung hat, um
so glänzender geht 'sein Atelier, um so günstiger werden seine Lebensbedingungen.
Die Vorschriften, die in Brabant auf eine Sicherung der Einzelmanufakturen hinstreben,
die ein Heraustreten Einzelner verhindern wollen, schaffen zugleich ein für die Bild-
wirkerei außerordentlich glückliches Moment; sie legen den Grund zur Bildung von
Wirkerdynastien, zu Betrieben, die von dem Ahn über Sohn und Enkel auf die Ur-
enkel sich vererben. Ein derartiges Fortpflanzen technischer Kenntnisse und künst-
lerischer Fähigkeiten ist bei der Bildwirkerei nicht hoch genug anzuschlagen. Die
Tradition bildet geradezu die Vorbedingung hochwertiger Leistungen. Der Wirker
des 15., 16. und 17. Jahrhunderts ist kein Kopist, der lediglich, unter sorgfältiger Be-
achtung der Farbentöne, seine Vorlagen in Wolle und Seide überträgt, er ist selb-
ständig schaffender Künstler, der erst die flüchtig hingesetzten Farbenangaben einer
korrekt gezeichneten Patrone in warme, lebendige, zugleich der kleinen ihm zur Ver-
fügung stehenden Farbenpalette angepaßte Töne übersetzt. Er arbeitet in einer ganz
bestimmten Technik, die mit Hilfe zweckmäßig und geschickt verwandter Schraffen,
Mitteltöne und Übergangsschattierungen erzielt. Ein derart auf künstlerisches und
technisches Können eingestellter Betrieb kann nicht in der dreijährigen Lehr- und der
anschließenden Gesellenzeit erfaßt werden, es müssen traditionell überlieferte Fähigkeiten
vorhanden sein.

Die Zeitgenossen verstanden sehr wohl den Wert alteingesessener Wirkerfamilien
zu würdigen. Nur von diesem Gesichtspunkte aus sind die Niederlassungsversuche
abwandernder Brüsseler, Oudenaarder oder anderer flämischer und Brabanter Wirker
zu verstehen, die immer und immer wieder betonen, ihre Familie sei seit der und der
Zeit bereits in der alten Heimat ansäßig, man komme mit so und soviel Söhnen und
Töchtern, die gründlich das Handwerk verständen. Nicht in der Zahl der Stühle, dem
Gezeug, liegt der Reichtum des Wirkers, die Arbeitskraft der eigenen Familienan-

297
 
Annotationen