Lille
Meister Peter, den Sohn des Camus, fortgesetzt. Der neue Inhaber scheint es mit
seinen handwerklichen Pflichten nicht sonderlich genau genommen zu haben; er wird
1-476 beschuldigt, verschiedentlich Seide durch Leineneinschlag ersetzt zu haben. Die
Beschwerden werden als berechtigt anerkannt. Meister Peter hat die gerügten Stellen
aus den Wirkereien zu entfernen und ordnungsmäßig herzustellen, er wird ferner zu
zwei Pilgerfahrten verurteilt. Das Vertrauen der Liller Behörden scheint Dujardin
trotz allem weiter besessen zu haben. 1479 tritt der Wirker wieder in den Stadt-
rechnungen in Erscheinung. 1485 wird Jehan Pickart (Picace?) für verschiedene Kissen-
blätter geldlich abgefunden. Zu Ende des 15. Jahrhunderts liefert Jehan Sauvage
„marcheteur" die üblichen Kissen „armoy6s des armes de la ville pour servir en la Halle".
Die schweren Wirren, die der Tod Karls des Kühnen mit sich bringt, die Reaktion
gegen die allzu starke Anspannung der monarchischen Gewalt, gehen an Lille nicht
spurlos vorüber. Die Liller Rechnungskammer und die damit zusammenhängende
vielfach verzweigte Organisation büßen zum Teil ihre Bedeutung ein und erfahren eine
Umgestaltung. Nach 1500 scheinen die meisten Wirkereiateliers erloschen zu sein.
Die Manufaktur Lille kommt im 14. und 15. Jahrhundert nicht über den Kleinbetrieb
hinaus. Die einzige reichere Arbeit ist, abgesehen von dem Ransartschen Teppich (1399),
das 1453 gelieferte Rückenlaken mit den Wappen Frankreichs, Burgunds und St. Pols.
Es besteht keine Hoffnung, die Art der Technik und Farbengebung jetzt noch irgend-
wie feststellen zu können. Kleinwirkereien, wie Kissenblätter, sind dem Verschleiße
in besonderem Maße ausgesetzt; man legte in den damaligen Zeiten, in denen ein
Ersatz leicht zu beschaffen war, wenig Wert auf Ausbesserung älterer Stücke, an ein
pietätvolles Aufbewahren war selbstverständlich nicht zu denken.
Es herrscht in Lille ein auffälliger Mangel an größeren Bildteppichfolgen. Die Stadt
ist genötigt, sich im Bedarfsfalle an auswärtige Manufakturen zu wenden. 1366/68 tritt
der bekannte Wirker Vincent Boursette aus Arras als Lieferant in Erscheinung. Im
März 1368 leiht Gillion (Willaume) de le Haie dem Rate „II dras del oevre de haulte
liehe pourtendus par devant les ferniestres des II loges esquelles eschevin et Ii consaus
furent au behourd pour veoir les joustes^.
Das jeweilige Beschaffen der zu festlichen Veranstaltungen benötigten Wirkereien
kommt die Stadt recht teuer zu stehen; immer mehr bürgert sich, ähnlich wie in Reims
und anderen Orten Nordfrankreichs und des w allonischen Flanderns, der Brauch ein,
sich mit gemalten Tüchern zu behelfen. Nur eine besonders wohlhabende Gemeinde
mit einem reichen und prunkvollen Hofstaate als Rückhalt, vermag die vielen Behänge
aufzutreiben, die das Schaubedürfnis der Masse verlangt. Welche Unmenge von De-
korationen verschlingen allein die an den Kirchen und auf den öffentlichen Plätzen
aufgeführten Mysterienspiele, das damalige Volkstheater im besten Sinne des Wortes.
Die Zahl der Wandbehänge beim Einzüge des Landesherrn geht in die Hunderte.
Nicht allein, daß die Festräume eine würdige Ausstattung aufweisen sollen, auch die
„eschaffauts", die Bühnen, die an jedem Tor und Platz, an dem der Herrscher vorüber-
zieht, sich erheben, verlangen eine der Weihe des Augenblicks entsprechende Aus-
stattung. Man behilft sich mit Textilien aller Art, mit bunten Wollen- und Seiden-
tüchern, vor allem mit den „draps peints", den „riches patrons", den auf Leinwand
gemalten Wirkereikartons. Auch Lille macht einen ausgiebigen Gebrauch dieses
Surrogates. Es handelt sich nach verschiedenen Angaben um „patrons de haute lice".
Wirkereien am hochlitzigen Stuhl werden in Lille nicht gefertigt; die für die Basselisse-
technik bestimmten Kartons sind als Dekorationsmittel nicht zu gebrauchen, da die
Technik ein streifenartiges Zerschneiden bedingt. Aller Wahrscheinlichkeit nach stammen
die „patrons de haute lice" aus den benachbarten Großmanufakturen, aus Arras und
Tournai. Es handelt sich in der Regel um veraltete Modelle, die für die Ateliers keine
Bedeutung mehr besitzen, sich dagegen noch vorzüglich zur Ausschmückung der Schau-
bühnen bei festlichen Gelegenheiten eignen.
Der Wirkereibetrieb Lilles, der nie eine wesentliche Bedeutung erreicht, tritt völlig
zurück gegenüber den verschiedenen Webereiindustrien, die den Reichtum der Stadt
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Meister Peter, den Sohn des Camus, fortgesetzt. Der neue Inhaber scheint es mit
seinen handwerklichen Pflichten nicht sonderlich genau genommen zu haben; er wird
1-476 beschuldigt, verschiedentlich Seide durch Leineneinschlag ersetzt zu haben. Die
Beschwerden werden als berechtigt anerkannt. Meister Peter hat die gerügten Stellen
aus den Wirkereien zu entfernen und ordnungsmäßig herzustellen, er wird ferner zu
zwei Pilgerfahrten verurteilt. Das Vertrauen der Liller Behörden scheint Dujardin
trotz allem weiter besessen zu haben. 1479 tritt der Wirker wieder in den Stadt-
rechnungen in Erscheinung. 1485 wird Jehan Pickart (Picace?) für verschiedene Kissen-
blätter geldlich abgefunden. Zu Ende des 15. Jahrhunderts liefert Jehan Sauvage
„marcheteur" die üblichen Kissen „armoy6s des armes de la ville pour servir en la Halle".
Die schweren Wirren, die der Tod Karls des Kühnen mit sich bringt, die Reaktion
gegen die allzu starke Anspannung der monarchischen Gewalt, gehen an Lille nicht
spurlos vorüber. Die Liller Rechnungskammer und die damit zusammenhängende
vielfach verzweigte Organisation büßen zum Teil ihre Bedeutung ein und erfahren eine
Umgestaltung. Nach 1500 scheinen die meisten Wirkereiateliers erloschen zu sein.
Die Manufaktur Lille kommt im 14. und 15. Jahrhundert nicht über den Kleinbetrieb
hinaus. Die einzige reichere Arbeit ist, abgesehen von dem Ransartschen Teppich (1399),
das 1453 gelieferte Rückenlaken mit den Wappen Frankreichs, Burgunds und St. Pols.
Es besteht keine Hoffnung, die Art der Technik und Farbengebung jetzt noch irgend-
wie feststellen zu können. Kleinwirkereien, wie Kissenblätter, sind dem Verschleiße
in besonderem Maße ausgesetzt; man legte in den damaligen Zeiten, in denen ein
Ersatz leicht zu beschaffen war, wenig Wert auf Ausbesserung älterer Stücke, an ein
pietätvolles Aufbewahren war selbstverständlich nicht zu denken.
Es herrscht in Lille ein auffälliger Mangel an größeren Bildteppichfolgen. Die Stadt
ist genötigt, sich im Bedarfsfalle an auswärtige Manufakturen zu wenden. 1366/68 tritt
der bekannte Wirker Vincent Boursette aus Arras als Lieferant in Erscheinung. Im
März 1368 leiht Gillion (Willaume) de le Haie dem Rate „II dras del oevre de haulte
liehe pourtendus par devant les ferniestres des II loges esquelles eschevin et Ii consaus
furent au behourd pour veoir les joustes^.
Das jeweilige Beschaffen der zu festlichen Veranstaltungen benötigten Wirkereien
kommt die Stadt recht teuer zu stehen; immer mehr bürgert sich, ähnlich wie in Reims
und anderen Orten Nordfrankreichs und des w allonischen Flanderns, der Brauch ein,
sich mit gemalten Tüchern zu behelfen. Nur eine besonders wohlhabende Gemeinde
mit einem reichen und prunkvollen Hofstaate als Rückhalt, vermag die vielen Behänge
aufzutreiben, die das Schaubedürfnis der Masse verlangt. Welche Unmenge von De-
korationen verschlingen allein die an den Kirchen und auf den öffentlichen Plätzen
aufgeführten Mysterienspiele, das damalige Volkstheater im besten Sinne des Wortes.
Die Zahl der Wandbehänge beim Einzüge des Landesherrn geht in die Hunderte.
Nicht allein, daß die Festräume eine würdige Ausstattung aufweisen sollen, auch die
„eschaffauts", die Bühnen, die an jedem Tor und Platz, an dem der Herrscher vorüber-
zieht, sich erheben, verlangen eine der Weihe des Augenblicks entsprechende Aus-
stattung. Man behilft sich mit Textilien aller Art, mit bunten Wollen- und Seiden-
tüchern, vor allem mit den „draps peints", den „riches patrons", den auf Leinwand
gemalten Wirkereikartons. Auch Lille macht einen ausgiebigen Gebrauch dieses
Surrogates. Es handelt sich nach verschiedenen Angaben um „patrons de haute lice".
Wirkereien am hochlitzigen Stuhl werden in Lille nicht gefertigt; die für die Basselisse-
technik bestimmten Kartons sind als Dekorationsmittel nicht zu gebrauchen, da die
Technik ein streifenartiges Zerschneiden bedingt. Aller Wahrscheinlichkeit nach stammen
die „patrons de haute lice" aus den benachbarten Großmanufakturen, aus Arras und
Tournai. Es handelt sich in der Regel um veraltete Modelle, die für die Ateliers keine
Bedeutung mehr besitzen, sich dagegen noch vorzüglich zur Ausschmückung der Schau-
bühnen bei festlichen Gelegenheiten eignen.
Der Wirkereibetrieb Lilles, der nie eine wesentliche Bedeutung erreicht, tritt völlig
zurück gegenüber den verschiedenen Webereiindustrien, die den Reichtum der Stadt
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