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Lille

von Werniers begangenen Weg, er steckt sich hinter den Provinzialintendanten, einen
Herrn von Secheile, und den Gouverneur von Französisch-Flandern, den Prinzen von
Soubise, Karl von Rohan. Das dem erlauchten Herrn überreichte Wirkereiporträt
seiner Hoheit verschafft Meister Bouche den Titel eines «Tapissier de Monseigneur le
Gouverneur". Einem so ausgezeichneten Künstler kann der Liller Rat keinen Korb
geben. Die erneute Subventionseingabe wird genehmigt. Der Magistrat bewilligt auf
die Dauer von drei Jahren eine Unterstützung von je 100 Gulden, die weiterhin bis
1769 läuft. Die Stadt stellt die Bedingung, daß mindestens fünf Stühle im Gange zu
halten sind. 1769 scheint der Rat keine sonderliche Neigung zu verspüren, die schon
langsam eingehende Industrie weiter durchzuhalten. Die Stofftapeten verdrängen die
kostbaren Wandbehänge, Lebens- und Raumanforderungen sind andere geworden.
Bouche wendet sich in Abwesenheit seines alten Gönners, des Prinzen von Soubise,
an den Generalkommandanten von Flandern, deu Grafen de Muy, der ihm bei dem
Liller Magistrate die Weitergewährung eines Zuschusses von 80 Gulden auf die Dauer
von drei Jahren auswirkt. 1773 erlischt die Rente endgültig und mit ihr die nur
künstlich im Gange gehaltene Manufaktur Bouchös. Signierte Erzeugnisse des Ateliers
sind bislang nicht bekannt geworden. Die Bouche zugeschriebenen Arbeiten be-
ruhen auf einer Verwechslung mit dem bekannten Maler Francois Boucher, der für
die Manufaktur Beauvais tätig ist, und dessen Name häufig in der rechten unteren
Ecke der Innendarstellung, bisweilen auch auf der Wirkkante erscheint. Die irrtüm-
liche Zuweisung der Psychefolge von Beauvais an den Liller Meister hat seinen Grund
in der unrichtigen Schreibweise des Namens Francois Boucher. In dem Teppich
„Psyche zeigt ihre Schätze den Schwestern" lautet die Signierung auf der Vorder-
kante des steinernen Podiums, auf dem der mit Kostbarkeiten beladene Tisch steht:
F. BOUCHß. anstatt F. BOUCHER.

Nach der ganzen Art des Betriebes dürfte wenig Aussicht bestehen, daß noch zahl-
reiche Stücke aus der Manufaktur Bouches auftauchen. Der Magistrat scheint mit seiner
Zurückhaltung den größeren Scharfblick bewiesen zu haben. Schwerlich waren je
mehr als zwei oder drei große Stühle, selbst zu Beginn des Unternehmens, im
Gange. Wahrscheinlich beschränkte sich Bouche im wesentlichen auf die Herstellung
von Sofa- und Sesselbezügen. Inwieweit er die Anfertigung der damals beliebten
Wirkereiporträts pflegte, ist mit Sicherheit nicht festzustellen. Das einzige, dem
Atelier zuzuschreibende Porträt des Prinzen von Soubise ist verschollen.

Bouch6 stirbt um 1773. Stephan Deyrolle, der einer bekannten Wirkerfamilie der Gobe-
lins entstammt, eröffnet um 1780 eine neue Manufaktur. Seine Eingaben an die Herren von
Calonne und Duchäteau de Villermont, beides einflußreiche Persönlichkeiten in Französisch-
Flandern, haben den Erfolg, daß der Magistrat von Lille ihm für seine aus zwei hoch-
litzigen Stühlen bestehende Werkstatt eine Subvention von 50 Gulden zusichert, sofern
noch ein weiteres Gezeug in Betrieb kommt. Deyrolle versucht die Bedingung zu er-
füllen; bereits 1782 wird die Rente auf 30 Gulden herabgesetzt, da kaum zwei Stühle
Beschäftigung finden. Die einzige aus seiner Liller Tätigkeit bekannte Wirkerei ist
die „Spinnerin", eine in der späten Gobelintechnik — ohne Schraffen, mit nebenein-
andergesetzten Farbenflecken — durchgeführte Arbeit, die die Signierung „Deyrolle.
LILLE" trägt. Mit Stephan Deyrolles Ausscheiden schließt endgültig die Liller Manu-
faktur ihre Pforten.

Die Frage, inwieweit die Liller Malerschule an der Ausführung der Patronen für
die verschiedenen Wirkereimanufakturen beteiligt ist, erscheint noch wenig geklärt.
Außer Arnould de Wuez (Vuez, geb. 1642, gest. 1720) sind mit Sicherheit nur Parent,
der für Werniers die noch erhaltene Wappentapisserie entwirft und die Vandenburg,
Vater und Sohn, zu erwähnen, die verschiedentlich Verdüren für das Pannemakersche
Atelier zeichnen. Ob Laurent Wamps, der zusammen mit Jouvenet die Folge des
Neuen Testaments für die Gobelins entwirft und der gleichfalls an der Pariser Staats-
manufaktur tätige Jean Baptiste Monnoyer auch für die Liller Betriebe arbeiten, ist zum
mindesten zweifelhaft.

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