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G e n l

Gent.

Die Geschichte der noch wenig geklärten Wirkereimanufaktur ist aufs engste mit
dem politischen und wirtschaftlichen Leben der Stadt verknüpft. Die Anfänge der
Tapijtweveregilde gehen scheinbar bis in die Tage Jakobs van Artevelde zurück. Eine
genauere Durchsicht der noch erhaltenen Zunftsatzungen der „goeden Liede van den
Tapijtambochte" vom Jahre 1350 bringt eine Enttäuschung. Die Urkunde ist insofern
jedoch außerordentlich lehrreich, als sie uns zeigt, mit welcher Vorsicht Ausdrücke
wie „tapijtwevere" und „legwerker" zu behandeln sind. Das Manuskript im Genter
historischen Museum enthält außer den Satzungen die Namen der Meister, Lehrlinge
und der sonstigen Angehörigen der Innung vom Jahre 1461 (1467) bis 1597. Auch das
Wappenschild der „TapijtwTevere" wird wiedergegeben: ein grünes Tuch mit der
silbernen Lilie, von goldenen Löwen gehalten.

Die Tapijtwevergilde umfaßte drei Kategorien von Betrieben: die „Sargiemakers",
die Hersteller der Serge genannten Tücher, die „Dobbel werkers", die Verfertiger
von gewebten Teppichen und Uberdecken und schließlich die «Legwerkers", im
flandrischen Sprachgebrauche die Teppichwirker und zwar die Klasse der Basselissiers,
die an dem tiefschäftigen (leg = tief) Gezeuge ihre Kunst übten.

Das Leitmotiv, das wie ein roter Faden die Verordnung durchzieht, identifiziert sich
mit dem sozialen und wirtschaftlichen Grundsatze, der die Genter Politik bis zum Aus-
gange des 16. Jahrhunderts beherrscht: ein zähes, unentwegtes Festhalten an den alten
Zunfttraditionen, den „Freiheiten", ein hartnäckiges Anstemmen gegen die erstarkende
Macht des Kapitalismus. Man wacht mit eifersüchtigem Auge, daß kein Betrieb den
andern überflügelt, kein Meister die vorgeschriebene Zahl der Gesellen, Lehrlinge und
Stühle (ghetauwe) überschreitet.

Schon die beiden ersten Absätze der Tapijtwevere-Ordnung zeigen zur Genüge, daß
Tapetenwirker nicht in Frage kommen. Absatz 2 besagt: „Item, dat negheen man
werken en sal elf vierendeele breet ende daer boven, en wäre up dbreede ghetauwe,
het en wäre bi den consente van der ghemeenre neeringhen"- Die Vorschrift bezieht
sich auf einen Stoffweber, für den Wirker ist sie sinnlos. Meines Erachtens handelt
es sich um gewebte Bank-, Truhen- und Tischtücher, etwa in der Art der späteren
holländischen und umbrischen Damastwebereien, die figürliche Szenen, Wappenmotive
und dergleichen verarbeiten. Man darf nicht vergessen, daß die Weber um 1350
noch die ausschlaggebende und mächtigste Zunft der Stadt darstellen. Die unter dem
Begriff „tapijtwevere" zusammengeschlossenen Betriebe beschäftigen sowohl gewöhn-
liche Stoffweber als auch Kunsthandwerker, die sich mit der Herstellung der viel be-
gehrten feineren Arbeiten für den Haushalt des hochstehenden, reichen Mannes befassen.

Die übrigen Absätze behandeln die Lehrlingsfrage und bringen mehrfach technische
Vorschriften, z. B.: 12. Item, dat negheen man wercken en sal XI vierendeele breet,
noch drye eilen, noch XI III vierendeele, noch HII eilen smaelre dan de mate van der
neeringhe bewijst." Nur 45—46 beschäftigt sich mit den „legwerkers". Einige kurze
Proben genügen. 45. „Item, dit sijn de boeten van den legwerkers. Eerstwarven van
saergen van VI eilen breet ende VII eilen lanc, te curt sijnde, up. IUI groten, ende
waer sy mate te curt dat wäre de boete van VIH groten etc."

46. „. . . Item, van banccleedren van VIII eilen lanc sijnde, waren sy de curt 1 en
x/2 groten, ende waer sy mate te curt, dat wäre III groten....." (1).

Also auch die Legwerker sind keine Teppichwirker in unserem Sinne, sie entsprechen
den Hautelissiers von Tournai und Valenciennes. Mit dem Beginne des 15. Jahrhunderts
scheint die irreführende Bezeichnung „Legwerker" verschwunden zu sein, die Meister
nennen sich Hautelissiers. Ein ausschlaggebender Beweis, daß tatsächlich in der Zeit
von etwa 1350—1475 in Gent Teppichwirker gearbeitet haben, ist zunächst nicht zu

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