Gent
lieh wie in Antwerpen erachten die Stadtväter das Edikt den städtischen Freiheiten
als zuwiderlaufend und lehnen die Veröffentlichung ab. Das Verfahren hat den Erfolg,
daß verschiedentlich Teppichwirker nach Gent übersiedeln „zoukende meer lyberteit
dan restricten" (2). Noch 1553 ist die Veröffentlichung nicht erfolgt. Hand in Hand
mit diesem scheinbar freiheitlichen Zuge, der in Wirklichkeit lediglich in dem Wider-
streben gegen die Eingriffe der landesherrlichen Gewalt seine Begründung findet, geht
die Angst, die Gesellen könnten aus der Unwirksamkeit des Erlasses gewisse Vorteile
zu Ungunsten des Meisterstandes ziehen. 1553 beginnen die Streitigkeiten zwischen
den Genter Wirkern und den Inhabern der Oudenaarder Betriebe. In erster Linie
richtet sich der Unwille gegen die zu hohe Bezahlung der ständigen Gesellen. „De
meesters gheven zomtijde den zelven cnapen (Gesellen) so vele ghelde op de handt,
dat sij naermaels qualicken maghtich zijn tleve te verdienen oft hemlieden te resti-
tueren: haudende midts de selve cnapen so thaerwaert gheobligiert, dat sij nerghens
en moghen andere meesters zouken" (3) beklagen sich die Genter. Der Passus zeigt
unverhüllt die Angst vor dem kommerziellen Großbetriebe Oudenaardes, der über kurz
oder lang der Genter Manufaktur den Garaus machen muß. Die Auseinandersetzungen
überdauern den Beginn der sechziger Jahre, der weitere Verlauf entbehrt des Interesses.
Von Bedeutung ist der Streit auch insofern, als er mit genügender Klarheit das Vor-
handensein einer umfangreichen Wirkerkolonie in Gent bezeugt. Merkwürdigerweise
sind Genter Bildwirkereien des 16. Jahrhunderts, von dem voraufgegangenen Säkulum
ganz zu schweigen, fast unbekannt. Umso größere Beachtung beansprucht ein Wand-
teppich des Germanischen Nationalmuseums der mit starker Wahrscheinlichkeit Gent
zuzuschreiben ist.
Der Behang schildert das Abendmahl in der italienisierenden Auffassung um 1560
(Abb. 472). Sowohl die Wiedergabe der Bilddarstellung als auch der Bordüre — Bandwerk,
Maskarons und Medaillons mit Löwenköpfen — verraten den zugewanderten Brüsseler
Wirker. Namentlich die Bordüre mit dem gelbem Grunde, den schmalen inneren und
äußeren Einfassungsstreifen mit dem weißen, blau geäugten Flechtbande auf grünlichem
Fond lassen auf eine Manufaktur der Hauptstadt Brabants schließen. Wie vorsichtig
aber immerhin mit der Zuschreibung derartiger Arbeiten zu verfahren ist, zeigt u. a.
der «Tod Sauls", der 1560 von der Hand des Jacob de Carmes in Stuttgart nach den
Kartons des Brüsseler Malers Nikolaus van Orley entstand.
Die Signierung des Nürnberger Teppichs zeigt auf dem blauen Rand unten rechts,
in der Anlehnung an die bekannte Brüsseler Marke BOB, einen Schild mit einem
schwer zu entziffernden Ornament, wohl ein Motiv aus dem Stadtwappen, begleitet
von den Buchstaben G (Gent) und L (Lys) — die Stadt hegt an dem Zusammenfluß
der Scheide und der Lys. Eine Meistermarke ist nicht vorhanden. Welche Motive
den Brüsseler Wirker zur Übersiedelung nach Gent veranlaßten, ob Glaubensgründe
mitspielten — Gent war ein Vorort der kalvinistischen Richtung —, ob größere städtische
Zuschüsse ihn lockten oder rein praktische Erwägungen, in erster Linie die Nicht-
einführung des kaiserlichen Ediktes von 1544, ihn leiteten, muß zunächst dahingestellt
bleiben. Die Arbeit ist jedenfalls technisch und künstlerisch einwandfrei. Der Teppich
(2,90 m X 2,86 m) schmückte wahrscheinlich die Kapelle einer Genter Zunft. Viel-
leicht führt die von Engeln getragene stilisierte Lilie in der oberen und unteren Mittel-
kartusche zur Lösung der Frage. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht für Lukas
de Heere als Patronenmaler, der nach Karel van Mander „veel Tapijten patronen
teyckende" (4). Der Entwurf müßte dann zwischen den Jahren 1560, in dem de Heere
zur reformierten Kirche übertritt, und 1567, der Zeit seiner Flucht aus Gent, ent-
standen sein.
Die Bordüren entstammen zweifelsohne einer anderen Hand. Die Tatsache ist nicht
verwunderlich, die weitestgehende Arbeitsteilung — auch im Entwürfe — war bereits
zu Beginn des 16. Säkulums in den Wirkerstädten Flanderns und Brabants gang und gäbe.
Wie lang die Genter Bildteppichmanufaktur bestand, ob sie die Einnahme der Stadt
(September 1584) überdauerte, harrt noch der Klärung. Die zugestandene zweijährige
504
lieh wie in Antwerpen erachten die Stadtväter das Edikt den städtischen Freiheiten
als zuwiderlaufend und lehnen die Veröffentlichung ab. Das Verfahren hat den Erfolg,
daß verschiedentlich Teppichwirker nach Gent übersiedeln „zoukende meer lyberteit
dan restricten" (2). Noch 1553 ist die Veröffentlichung nicht erfolgt. Hand in Hand
mit diesem scheinbar freiheitlichen Zuge, der in Wirklichkeit lediglich in dem Wider-
streben gegen die Eingriffe der landesherrlichen Gewalt seine Begründung findet, geht
die Angst, die Gesellen könnten aus der Unwirksamkeit des Erlasses gewisse Vorteile
zu Ungunsten des Meisterstandes ziehen. 1553 beginnen die Streitigkeiten zwischen
den Genter Wirkern und den Inhabern der Oudenaarder Betriebe. In erster Linie
richtet sich der Unwille gegen die zu hohe Bezahlung der ständigen Gesellen. „De
meesters gheven zomtijde den zelven cnapen (Gesellen) so vele ghelde op de handt,
dat sij naermaels qualicken maghtich zijn tleve te verdienen oft hemlieden te resti-
tueren: haudende midts de selve cnapen so thaerwaert gheobligiert, dat sij nerghens
en moghen andere meesters zouken" (3) beklagen sich die Genter. Der Passus zeigt
unverhüllt die Angst vor dem kommerziellen Großbetriebe Oudenaardes, der über kurz
oder lang der Genter Manufaktur den Garaus machen muß. Die Auseinandersetzungen
überdauern den Beginn der sechziger Jahre, der weitere Verlauf entbehrt des Interesses.
Von Bedeutung ist der Streit auch insofern, als er mit genügender Klarheit das Vor-
handensein einer umfangreichen Wirkerkolonie in Gent bezeugt. Merkwürdigerweise
sind Genter Bildwirkereien des 16. Jahrhunderts, von dem voraufgegangenen Säkulum
ganz zu schweigen, fast unbekannt. Umso größere Beachtung beansprucht ein Wand-
teppich des Germanischen Nationalmuseums der mit starker Wahrscheinlichkeit Gent
zuzuschreiben ist.
Der Behang schildert das Abendmahl in der italienisierenden Auffassung um 1560
(Abb. 472). Sowohl die Wiedergabe der Bilddarstellung als auch der Bordüre — Bandwerk,
Maskarons und Medaillons mit Löwenköpfen — verraten den zugewanderten Brüsseler
Wirker. Namentlich die Bordüre mit dem gelbem Grunde, den schmalen inneren und
äußeren Einfassungsstreifen mit dem weißen, blau geäugten Flechtbande auf grünlichem
Fond lassen auf eine Manufaktur der Hauptstadt Brabants schließen. Wie vorsichtig
aber immerhin mit der Zuschreibung derartiger Arbeiten zu verfahren ist, zeigt u. a.
der «Tod Sauls", der 1560 von der Hand des Jacob de Carmes in Stuttgart nach den
Kartons des Brüsseler Malers Nikolaus van Orley entstand.
Die Signierung des Nürnberger Teppichs zeigt auf dem blauen Rand unten rechts,
in der Anlehnung an die bekannte Brüsseler Marke BOB, einen Schild mit einem
schwer zu entziffernden Ornament, wohl ein Motiv aus dem Stadtwappen, begleitet
von den Buchstaben G (Gent) und L (Lys) — die Stadt hegt an dem Zusammenfluß
der Scheide und der Lys. Eine Meistermarke ist nicht vorhanden. Welche Motive
den Brüsseler Wirker zur Übersiedelung nach Gent veranlaßten, ob Glaubensgründe
mitspielten — Gent war ein Vorort der kalvinistischen Richtung —, ob größere städtische
Zuschüsse ihn lockten oder rein praktische Erwägungen, in erster Linie die Nicht-
einführung des kaiserlichen Ediktes von 1544, ihn leiteten, muß zunächst dahingestellt
bleiben. Die Arbeit ist jedenfalls technisch und künstlerisch einwandfrei. Der Teppich
(2,90 m X 2,86 m) schmückte wahrscheinlich die Kapelle einer Genter Zunft. Viel-
leicht führt die von Engeln getragene stilisierte Lilie in der oberen und unteren Mittel-
kartusche zur Lösung der Frage. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht für Lukas
de Heere als Patronenmaler, der nach Karel van Mander „veel Tapijten patronen
teyckende" (4). Der Entwurf müßte dann zwischen den Jahren 1560, in dem de Heere
zur reformierten Kirche übertritt, und 1567, der Zeit seiner Flucht aus Gent, ent-
standen sein.
Die Bordüren entstammen zweifelsohne einer anderen Hand. Die Tatsache ist nicht
verwunderlich, die weitestgehende Arbeitsteilung — auch im Entwürfe — war bereits
zu Beginn des 16. Säkulums in den Wirkerstädten Flanderns und Brabants gang und gäbe.
Wie lang die Genter Bildteppichmanufaktur bestand, ob sie die Einnahme der Stadt
(September 1584) überdauerte, harrt noch der Klärung. Die zugestandene zweijährige
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