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Gent

Bedenkzeit, die den Kalvinisten die Rückkehr zur katholischen Kirche oder die Aus-
wanderung als Wahl ließ, zeitigte eine starke Entvölkerung der Stadt als Folge-
erscheinung. Wenn man der «Chronycke van Ghendt" des Yan den Vivere Glauben
schenken darf, wurden nicht weniger als 9000 Geleitbriefe ausgestellt, ein Drittel der
Häuser verlor seine Bewohner. Die wirtschaftliche Not war so groß, daß die Unbemittelten
in den Abfällen der Kehrichthaufen, den widerlichen Resten ausgeweideter Fische, ihre
Nahrung suchten. Hand in Hand mit der ständig zunehmenden Verteuerung der not-
wendigsten Lebensmittel ging die Vernachlässigung der städtischen Betriebe, das Er-
löschen jeder Arbeitsgelegenheit. Daß derartige Wirtschaftsbedingungen von vorn-
herein eine im wesentlichen auf das Luxusbedürfnis eingestellte Industrie unterbinden
mußten, bedarf keiner längeren Ausführung. Es gehörte ein starker finanzieller und
behördlicher Rückhalt dazu, die Wirkereimanufakturen über derart schwierige Zeiten
hin wegzubringen. Ob er in Gent vorhanden war?

Erst ein halbes Jahrhundert später hören wir wieder von einem Genter Tapisserie-
betrieb. Die zahlreichen Kontributionen, vor allem die drückenden Lasten der militäri-
schen Belegung, die schreienden Mißstände, die sich in Oudenaarde durch das Zu-
sammenrotten der zügellosen Soldateska mit den arbeitslosen Gesellen — es fehlt auch
nicht an Wirkern — ergeben, veranlassen verschiedene größere Manufakturen zur Ab-
wanderung. Der Genter Rat zeigt sich rührig, er knüpft mit Franz de Moor Verbin-
dungen an und macht nicht unwesentliche Zusagen; unter anderem stellt er eine jähr-
liche Subvention von 200 Gulden in Aussicht. 1655 weilt de Moor bereits in Gent,
andere Inhaber Oudenaarder Betriebe wie Jan d'Olieslaegher und Daniel Coppenolle
folgen. Bereits im darauffolgenden Jahre ist de Moor mit einer Folge für die Abtei zu
Baudeloo beschäftigt. Es handelt sich um vier Wirkereien — Landschaften im Stile
Claude Lorrains —, die dem Meister mit 53 <£ 11 sch. vergütet werden. Die Teppiche
sind noch vorhanden, sie besitzen bei 4 m Höhe, Längenabmessungen von 4,10 m, 4,72 m,
4,72 m und 1,78 m. Das letzte Stück ist beschnitten und stark verkleinert (5). Wir
finden die üblichen Landschaften mit kleinen Figuren — der eine Wandbehang zeigt
die Vorbereitung zu einem Opferfeste —, zu denen augenscheinlich Brüsseler Manufak-
turen die Vorbilder lieferten.

Die neue Genter Wirkerkolonie wird verstärkt durch neuen Zuzug aus der Stadt
Oudenaarde, der nach der Beschießung vom März 1684, die etwa 450 Häuser in Schutt
und Asche legt, zahlreiche größere und kleinere Betriebe den Rücken kehren. Ludwig
Blommaert, Jan Baert, der Wirker und Maler Macaire Gimbercy ziehen nach Gent,
Ob Gimbercy dauernd in der Stadt ansässig bleibt oder nur vorübergehend sein Atelier
aufschlägt, wie Franz van der Stichelen, Georg Blommaert (vor 1676) und der
später nach Tournai übersiedelnde Baert, läßt sich zur Zeit mit Sicherheit nicht fest-
stellen. Pinchart schreibt der Genter Manufaktur van der Stichelens eine V. ST.
signierte Landschaftsfolge (6 Behänge) nach Kartons van Lodewyk de Vadder, ferner
eine Paradiesesreihe (Adam und Eva) mit sechs Teppichen und fünf Episoden aus
den Ovidschen Metamorphosen zu, sämtlich für das Brüsseler Stadtschloß des Mar-
quis de Herzelles gearbeitet. Eine Nachprüfung des Beleges war nicht möglich.
Van der Stichelen gehört zu den unruhigen, wanderlustigen Wirkern seiner Zeit.
Seine Tätigkeit in Gent ist bereits vor 1676 bezeugt, gemeinsam mit Joris Blommaert
betreibt er vorübergehend in Lille ein Atelier, das trotz des Entgegenkommens der
städtischen Behörden kein sonderliches Ergebnis zeitigt.

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