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— 204 —

Himmel kristallklar, die heftige Hitze ist gemildert. Licht
und Schatten sind zarter, die Färbung ist reicher und
harmonisch abgetönt; und in dieser Jahreszeit der Stille,
wo das Ohr unbeschäftigt ist oder nur sanft berührt wird,
ist der Sinn des Gesichts ganz besonders empfänglich für
den ihm eigenen Genufs. Jeder, der in einem Lande
wie dieses lebt, wird mir zugeben, dafs ein See unent-
behrlich ist, um die vollkommene Schönheit eines solchen
Tages hervortreten zu lassen; und auch er wird die Er-
fahrung gemacht haben, wie beim Anblick des unbewegten
Wassers, durch seine Hilfe die Einbildungskraft in Tiefen
des Gefühles dringt, die ihm sonst verschlossen sind."
Wie eine Gegenstrophe zu dieser Schilderung klingen die
Verse, die der zweiundsiebzigjährige Dichter mit unver-
änderter Fähigkeit des Genusses und der Liebe zur Natur
in Airey- Förth -Valley,1 einem kleinen Seitenthal von Ulls-
water dichtete, ein zartes Stimmungsbild, das nichts als
eine Naturbeschreibung giebt und sie doch aufs tiefste zu
beseelen weifs.

Man hat mit Eecht öfters auf einen eigentümlichen
Zug in Wordsworths Naturschilclerungen aufmerksam
gemacht: er spricht von einer Wechselwirkung der Kräfte,
die einander unterstützen, um so am vollkommensten zum
Ausdruck zu gelangen. „Die Farbe des Eeihers scheint
ihr Blau von dem Wasser erhalten zu haben." „Jedes
Thal", sagt er an einer anderen Stelle, „hat, so nahe
sie aneinander liegen, seinen besonders ausgezeichneten
Charakter, in einigen Fällen, als wären sie mit absicht-
lichem Kontrast gebildet, in andern mit der Ähnlichkeit
und doch auch wieder der Verschiedenheit eines brüder-

1) Nr. XCIV.
 
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