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X. DIE NACHFOLGER
DES DEZENNALIENBILDNISSES
Der Kopf in Avignon und der Opferbildtypus

Die Wiener Büste und ihre Verwandten hatten den ersten Schritt vom
Dezennalientypus weg getan, indem sie die Doppelgruppe von Locken über
dem rechten äußeren Augenwinkel aufzuheben begannen. Von dort führt der
eine Weg zum Typus des Kopfes in Oslo. Ein zweiter Weg führt zu einem
Typus, der bisher nur in einem einzigen Exemplar bekannt ist, dem 1828 in
Carpentras gefundenen, etwa lebensgroßen Kopf, der sich heute in Avignon
befindet (6z). Auch hier ist die Zweiergruppe verschwunden, die Locken haben Taf. 29, c-d
sich vereinigt und schwingen nun in der entgegengesetzten Richtung wie die
Mittelgruppe, so daß hier wie beim Kopf Oslo eine winkelförmige Eiaarlücke
entsteht. Da nun die Haare über der rechten Schläfe in der gleichen Richtung
liegen wie die Mittelgruppe, d. h. also einwärts gestrichen sind, entsteht durch
die beiden widerstrebenden Strähnen, die sich zu einer größeren Locke
zusammengefunden haben, zwischen beiden Gruppen eine Art Zange, die jedoch
nicht zur vollen Ausbildung gelangt ist. Über der Hauptschicht der Haare
liegen auf dem ganzen Kopf weitere Locken, die in der jeweils entgegen-
gesetzten Richtung schwingen wie die unter ihnen liegenden. Ein zweite Ver-
änderung gegenüber der Wiener Büste bereitet sich über dem linken Auge vor.
Beim Dezennalienbildnis wie bei der Wiener Büste waren die Haare über der
linken Schläfe in der entgegengesetzten Richtung verlaufen wie die Mittel-
gruppe, doch waren beide Gruppen so eng miteinander verbunden, daß der
Unterschied nicht durch Ausbildung eines besonderen Motivs auffällig wurde.
Bei dem Kopf in Avignon beginnt der Richtungswechsel schon über dem linken
Auge; von dort bis zum Ohr sind die Locken einwärts (zur Nase hin)
gestrichen. An dem Punkt, wo nun diese Richtung mit der der Mittelgruppe
zusammenstößt, ergeben die widersprechenden Kurven der Locken eine Lücke
in Gestalt einer nach unten geöffneten Zange, die für die Gesamtwirkung des
Kopfes von hoher Bedeutung ist. Denn nun ist wieder die gegenseitige Ent-
sprechung der seitlichen Haarmassen betont, welche die Mittelgruppe zwischen
sich verklammern und dem ganzen Oberkopf dadurch eine bedeutsame Pestig-
keit verleihen.
In der beschriebenen Lorm findet sich diese Haaranordnung, wie gesagt, nur
an dem einen Kopf in Avignon, der nach seinen Lormen wohl in die letzten
Lebensjahre Traians gehört. Sein Alter ist deutlich gekennzeichnet, die kräftigen
Palten um die Mundwinkel zeigen die schlaffe Struktur der dicken Wangen.
Der Mund ist schön bewegt, er zeigt die für Traian charakteristische Lorm: die
Unterlippe springt nicht so weit vor wie die Oberlippe, sie ist in einem großen
ruhigen Bogen geführt, während die Oberlippe eine doppelte Kurve beschreibt,
indem sie in der Mitte eingezogen ist. Die Brauen sind plastisch angegeben, die
Augen ruhen weich in ihrer Umgebung, die Übergänge in die Wangen sind

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