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Vorlagen jeweder Art sind hier wie überhaupt ausgeschloffen. Bei der
Behandlung des oben angegebenen Lehrstosses ist im allgemeinen folgender Weg
einzuschlagen:

Der Lehrer läßt den darzustellenden Gegenstand von den Schülern aus
dem Gedächtnis zeichnen. An der Äand dieser Zeichnungen stellt er mit den
Schülern zusammen die Äauptmerkmale des Gegenstandes, der dabei nicht un-
bedingt vorgesührt werden muß, fest. Alsdann wird dieser von mehreren
Schülern an die Wandtaseln gezeichnet. Äierbei sich ergebende Fehler werden
berichtigt. Alle Schüler zeichnen sodann den Gegenstand auf das Papier."

Siernach ist der erste Llnterricht ein propädeutischer; er soll anbahnen.

Dem propädeutischen Charakter der ersten Äbungen entspricht die Art des Zeichnens.
Ein sechsjähriges Kind zeichnet erfahrungsgemäß nicht nach der Natur, es hat kein
Zntereffe daran, einen Gegenstand, den es vor Augen hat, nachzubilden, zumal ihm
diese Nachbildung nur selten gelingt. Die eigentlich künstlerische Absicht, ein „Bild"
nach einem gegenwärtigen Dinge herzustellen, liegt ihm zunächst noch fern. Die
kindliche Zeichnung hat nur einen graphischen Charakter, ist ein Ausdrucksmittel
wie die Sprache, eine besondere Form der Schrift. Diese Schrift nimmt ihre Vo-
kabeln unmittelbar aus der Natur und ist darum überall verständlich. Sie ist die
Llrschrift aller Völker der Erde schlechthin. Die Schriftbilder der alten Kulturvölker
am Euphrat und anr Nil enthalten nur die typischen Merkmale eines Gegenstandes,
ffe sind hingeschrieben aus der Erinnerung an den Typus Baum, Vogel, Löwe,
Tisch, nicht nachgeahmt einem bestimmten Zndividuum. Genau so zeichnet ein Kind.
Wenn daher der Lehrplan für die Anterstufe Zeichnen aus dem Gedächtnis fordert,
so tut er dieses auf Grund einer nicht in Abrede zu stellenden psychologischen Tatsache.

Wir wollen aber unterscheiden zwischen dem Gedächtniszeichnen auf der Llnter-
stufe und dem auf späterer Stufe. Der Llnterschied ist groß. Das Zeichnen „aus
dem Kopfe" auf der Vorbereitungsstufe sollte Typen-Gedächtniszeichnen heißen.
Es wird nur der Typus „Tisch" „Löffel" usw. gezeichnet, nicht ein ganz bestimmter
Tisch, Löffel usw. Die Kinder werden in den allerwenigsten Fällen Zeichnungen
fertig bringen, die sie bestimmt mit einmal gesehenen Dingen identifizieren können.
Sie enthalten vielmehr nur die typischen Merkmale. Dahinein mischen sich allerdings
individuelle Züge als Produkte der erfindenden Phantasie und des Zufalls; denn
wo das Gedächtnis aufhört, setzt die Ersindung ein, den angefangenen Faden fortzu-
spinnen. Llnd wie gern üben unsere Kinder die Erfindung! Zst doch ihr ganzes Spiel
ein Werk der Phantasie! Wenn daher von der modernen Pädagogik gefordert wird,
daß der erste Llnterricht beim kindlichen Spiel anknüpfen müsse, so haben wir es im
ersten Zeichenunterricht leicht, dieser Forderung nachzukommen. Beiläufig treten wir
der weitverbreiteten falschen Auffassung entgegen, daß das Zeichnen von den Kindern
keine Anstrengung fordern dürfe, weil es eine Kunst und als solche ein freies Spiel
der Kräfte sei. Äier ist der Begriff „Spiel" falsch verstanden, indem er als das
Gegenteil von Anstrengung, Mühe, Schweiß aufgefaßt wird; wir wissen doch, daß
ein Kind nichts ernster treibt als sein Spiel.

Aber die freie Betätigung der erfindenden Phantasie ist das Merkmal
des Spiels, nicht die Mühelosigkeit der Arbeit. Zn diesem Sinne sollen auch die
ersten Zeichenversuche ein Spiel sein. Das Darstellen aus dem Gedächtnis — das
Erfinden von typischen Bildern — hat auf der Elementarstufe sein volles, auf der
Kindesnatur beruhendes Recht. — Das auf späterer Stufe zu übende Gedächtnis-
zeichnen ist wesentlich anderer Art. Äier soll ein bestimmter Gegenstand unter
 
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