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darauf an, daß der als Vorbild gewählte Naturgegenstand in seiner charakteristischen
Erscheinung richtig ausgefaßt und lebendig wiedergegeben wird.

Bei der Behandlung dieses Lehrstosfes ist im allgemeinen solgender Weg ein-
zuschlagen:

Nachdem die Schüler einzeln oder gruppenweise mit Vorbildern versehen sind,
werden die für die bildliche Wiedergabe wichtigen Merkmale durch gemeinsame Be-
sprechung sestgestellt. Der Lehrer gibt den Weg der Darstellung an, indem er ihn
an der Schultafel mit klaren, sicheren Strichen entwirst. Es wird zunächst die Ge-
samtform des Vorbildes und die seiner Lauptteile in einfachen Linienzügen entworfen
und erst, nachdem dies geschehen, auf die Einzelformen eingegangen. Äierbei ist be-
sonders darauf zu achten, daß der Schüler nicht flüchtig über charakteristische Formen
hinweggeht, und daß er andererseits nicht pedantisch unwichtige Einzelheiten nach-
zeichnet. Nachdem die Aufgabe vor der Natur gelöst ist, wird sie aus dem Ge-
dächtnis wiederholt."

Das Anterrichtsziel der Mittelstufe.

^^^ls Ziel des Llnterrichts ist ins 2luge zu fassen, daß der Schüler lernt,
selbständig Beobachtungen vor der Natur zu machen . . .

Das setzt voraus, daß der Schüler nach der Natur, d. h. nack dem vor seinen
Augen sich beflndenden Gegenstande zeichne. Darin unterscheidet sich die Aufgabe
der Mittelstufe von derjenigen der vorbereitenden Unterstufe, wo nur typische Vilder
von Gegenständen aus der Erinnerung gezeichnet wurden.

Die Schwierigkeit des Naturzeichnens besteht in der Methode der Beob-
achtung. Man betrachte einen Schmetterling nach Linie, Fläche, Farbe und wird
fillden, daß kaum ein Künstler, geschweige denn ein Kind alle Einzelheiten zu einem
harmonischen Ganzen zu vereinigen imstande ist. 4.lnd dennoch kann man mit dem
zehnten Teile aller Einzelheiten ein Bild erzeugen, welches das Original unzweifelhast
erkennen läßt. Denn die Linien, Flächen, Farbflecke sind für die Ähnlichkeit höchst
ungleichwertig. Welche Einzelheiten kennzeichnend sind, welche sür die Charakteristik
eine geringere oder gar keine Bedeutung haben, und wie sich die ungefähre Stufen-
folge von dem unwesentlichsten bis zu dem charakteristischsten Merkmale gestaltet —
das will durch viele Äbung des Llrteils und Geschmackes gelernt sein. Es ist das
intuitive Sehen, das Sehen mit dem geistigen Auge. Das bloße Sinneswerkzeug
nimmt alle Eindrücke gleichwertig auf; Sinn und Ordnung in die Gesichtswahr-
nehmungen zu bringen, ist die Aufgabe des denkenden Geistes. Vom Sehen in
diesem Sinne spricht Ruskin, wenn er behauptet, daß unter tausend Menschen kaum
einer sei, der es könne. Das ganze Naturstudium der Künstler geht darauf hinaus,
das im künstlerischen Sinne Eharakteristische aus der Natur herauszulesen.

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