ÜBERLEGUNGEN ZUR STRUKTUR DER SIEDLUNGEN
Bei der Untersuchung von Grabsitten, Grabbau,
Beraubung und Belegungsabfolge fiel immer wieder
eine Zweiteilung des Gräberfeldes in einen westli-
chen und einen östlichen Teil auf.
Im folgenden sei nun der Versuch einer Interpreta-
tion dieses Befundes gewagt. Die Ergebnisse müssen
aber als Hypothese bezeichnet werden, da zum ei-
nen Präzedenzfälle bislang fehlen und zum anderen
sich bei besserem Erforschungsstand des Gräber-
felds das Bild zumindest im Detail noch ändern
kann.
Als These sei postuliert, daß die Unterschiede nicht
auf Zufall beruhen, sondern daß sich zwei Bezirke
abzeichnen, die von unterschiedlichen Bestattungs-
gemeinschaften benutzt wurden. Diese wird man am
ehesten mit zwei Siedlungen gleichsetzen müssen.
Die Bewohner dieser Siedlungen verhielten sich ih-
ren Toten gegenüber unterschiedlich. Kernpunkt
der Überlegungen ist die Vermutung, daß dies Aus-
druck einer unterschiedlichen Zusammensetzung
und Struktur der Siedlungen sein könnte.
Wie oben schon bemerkt, ist der Beginn des westli-
chen Gräberfeldteils geprägt durch Personen und
Einflüsse aus verschiedenen Regionen. Zu einer
thüringisch geprägten Gruppe gelangten westliche
Einflüsse — wobei unklar ist, ob es sich um Personen
oder Importe handelte — sowie süddeutsch-alaman-
nisches. Die Bewohner der dazugehörigen Siedlung
kamen wahrscheinlich mit als erste in die Gegend
des Donautales um Dillingen und das Iller-Lech-
Gebiet nördlich Augsburgs. Der römische Vicus am
Thürlesberg dürfte zu dieser Zeit vielleicht schon
zwei Generationen nicht mehr bestanden haben. In
dieser Umgebung wird man die Siedler als „Pionie-
re" bezeichnen dürfen. In ihrer Siedlungs- und Wirt-
schaftstätigkeit unterlagen sie vorerst keiner räumli-
chen Beschränkung, dies gilt auch für die Belegung
des Friedhofs.
Es ist daher möglich, den ungeordneten Charakter
des Gräberfeldteils mit der Zusammensetzung der
Bevölkerung und ihrem Verhalten untereinander zu
verbinden. Danach (nochmals sei der hypothetische
Charakter der Überlegungen betont) könnte man
einen lockeren Zusammenschluß von Menschen an-
nehmen, die aus verschiedenen Gegenden kamen,
im Donautal zusammentrafen und dort zusammen
siedelten1. Man könnte eine gemeinsame Siedlung
annehmen, aber auch mehrere Einzelhöfe. Gemein-
1) Rein vom chronologischen Standpunkt aus könnte man die Neuansiedlung mit der Niederlage der Alamannen gegen
die Franken 496/97 und der damit verbundenen, angenommenen Abtretung des nördlichen Alamannengebietes in
Zusammenhang bringen. Danach könnten diese Bevölkerungsgruppen in dem wiederum angenommenen, unter
ostgotischer Oberherrschaft stehenden Gebiet zwischen Iller und Lech angesiedelt worden sein, vielleicht auch, um als
Föderaten die Grenze zu den Franken zu sichern. — Daß unter der Anfangsbevölkerung Thüringer waren, braucht
nicht weiter zu verwundern, berichtet doch die Vita Severini (Kap. 27 und 31) von teils einzelnen, teils gemeinsamen
Beutezügen von Alamannen und Thüringern am Ende des 5. Jahrhunderts. Danach war die Mobilität zu dieser Zeit
sehr groß. Zu diesem Thema besonders: K. F. Stroheker, Die Alamannen und das spätrömische Reich. Die
Alamannen in der Frühzeit. Bühl/Baden (1974) 9 ff.; K. Reindel, Staat und Herrschaft in Raetien und Noricum im 5.
und 6. Jahrhundert. Verhandl. Hist. Ver. Oberpfalz 106, 1966, 23 ff.; R. Christlein, Die rätischen Städte Severins.
Quintanis, Batavis und Boiotro und ihr Umland aus archäologischer Sicht. Severin zwischen Römerzeit und Völker-
wanderung. Enns (1982) 217 ff.; G. Ulbert, Zur Grenze zwischen den römischen Provinzen Norikum und Raetien am
Inn. Bayer. Vorgeschbl. 36, 1971, 101 ff. — Sowohl die allgemeine Unsicherheit der historischen Daten als auch noch
mehr der geringe Umfang des zur Verfügung stehenden archäologischen Materials lassen aber eine direkte Verknüp-
fung der Siedlungsgründung mit den historischen Daten vermessen erscheinen. Die obigen Ausführungen seien daher
nur als theoretisches Gedankenspiel vorgestellt. — Nicht eingegangen werden soll in diesem Zusammenhang auch auf
die mögliche Verbindung des Ortsnamens Thürheim mit Thüringen. Der Normalfall wäre die Bildung eines Ortsna-
mens aus einem Personennamen mit dem suffix -heim (s. S. 13 ff.), dies wird man auch für Thürheim annehmen dürfen.
Denkbar wäre selbstverständlich, daß dieser Personenname Hinweis auf die Herkunft des Namensgebers böte. So
erwähnt Dertsch, Mittelschwaben 321 für Oberthürheim 1593 den Familiennamen „Thüringer", ohne daß dem eine
weitergehende Bedeutung zugemessen werden dürfte. — Ebenfalls nicht untersucht werden kann die Stellung von
Thürheim bzw. seiner Bewohner zu dem seit dem 9. Jahrhundert mehrfach erwähnten „Duriagau". Hierzu vor allem:
J. Schnetz, Flußnamen des Bayerischen Schwabens in ihrer Bedeutung für die Namenkunde, Geschichte und
- 211 -
Bei der Untersuchung von Grabsitten, Grabbau,
Beraubung und Belegungsabfolge fiel immer wieder
eine Zweiteilung des Gräberfeldes in einen westli-
chen und einen östlichen Teil auf.
Im folgenden sei nun der Versuch einer Interpreta-
tion dieses Befundes gewagt. Die Ergebnisse müssen
aber als Hypothese bezeichnet werden, da zum ei-
nen Präzedenzfälle bislang fehlen und zum anderen
sich bei besserem Erforschungsstand des Gräber-
felds das Bild zumindest im Detail noch ändern
kann.
Als These sei postuliert, daß die Unterschiede nicht
auf Zufall beruhen, sondern daß sich zwei Bezirke
abzeichnen, die von unterschiedlichen Bestattungs-
gemeinschaften benutzt wurden. Diese wird man am
ehesten mit zwei Siedlungen gleichsetzen müssen.
Die Bewohner dieser Siedlungen verhielten sich ih-
ren Toten gegenüber unterschiedlich. Kernpunkt
der Überlegungen ist die Vermutung, daß dies Aus-
druck einer unterschiedlichen Zusammensetzung
und Struktur der Siedlungen sein könnte.
Wie oben schon bemerkt, ist der Beginn des westli-
chen Gräberfeldteils geprägt durch Personen und
Einflüsse aus verschiedenen Regionen. Zu einer
thüringisch geprägten Gruppe gelangten westliche
Einflüsse — wobei unklar ist, ob es sich um Personen
oder Importe handelte — sowie süddeutsch-alaman-
nisches. Die Bewohner der dazugehörigen Siedlung
kamen wahrscheinlich mit als erste in die Gegend
des Donautales um Dillingen und das Iller-Lech-
Gebiet nördlich Augsburgs. Der römische Vicus am
Thürlesberg dürfte zu dieser Zeit vielleicht schon
zwei Generationen nicht mehr bestanden haben. In
dieser Umgebung wird man die Siedler als „Pionie-
re" bezeichnen dürfen. In ihrer Siedlungs- und Wirt-
schaftstätigkeit unterlagen sie vorerst keiner räumli-
chen Beschränkung, dies gilt auch für die Belegung
des Friedhofs.
Es ist daher möglich, den ungeordneten Charakter
des Gräberfeldteils mit der Zusammensetzung der
Bevölkerung und ihrem Verhalten untereinander zu
verbinden. Danach (nochmals sei der hypothetische
Charakter der Überlegungen betont) könnte man
einen lockeren Zusammenschluß von Menschen an-
nehmen, die aus verschiedenen Gegenden kamen,
im Donautal zusammentrafen und dort zusammen
siedelten1. Man könnte eine gemeinsame Siedlung
annehmen, aber auch mehrere Einzelhöfe. Gemein-
1) Rein vom chronologischen Standpunkt aus könnte man die Neuansiedlung mit der Niederlage der Alamannen gegen
die Franken 496/97 und der damit verbundenen, angenommenen Abtretung des nördlichen Alamannengebietes in
Zusammenhang bringen. Danach könnten diese Bevölkerungsgruppen in dem wiederum angenommenen, unter
ostgotischer Oberherrschaft stehenden Gebiet zwischen Iller und Lech angesiedelt worden sein, vielleicht auch, um als
Föderaten die Grenze zu den Franken zu sichern. — Daß unter der Anfangsbevölkerung Thüringer waren, braucht
nicht weiter zu verwundern, berichtet doch die Vita Severini (Kap. 27 und 31) von teils einzelnen, teils gemeinsamen
Beutezügen von Alamannen und Thüringern am Ende des 5. Jahrhunderts. Danach war die Mobilität zu dieser Zeit
sehr groß. Zu diesem Thema besonders: K. F. Stroheker, Die Alamannen und das spätrömische Reich. Die
Alamannen in der Frühzeit. Bühl/Baden (1974) 9 ff.; K. Reindel, Staat und Herrschaft in Raetien und Noricum im 5.
und 6. Jahrhundert. Verhandl. Hist. Ver. Oberpfalz 106, 1966, 23 ff.; R. Christlein, Die rätischen Städte Severins.
Quintanis, Batavis und Boiotro und ihr Umland aus archäologischer Sicht. Severin zwischen Römerzeit und Völker-
wanderung. Enns (1982) 217 ff.; G. Ulbert, Zur Grenze zwischen den römischen Provinzen Norikum und Raetien am
Inn. Bayer. Vorgeschbl. 36, 1971, 101 ff. — Sowohl die allgemeine Unsicherheit der historischen Daten als auch noch
mehr der geringe Umfang des zur Verfügung stehenden archäologischen Materials lassen aber eine direkte Verknüp-
fung der Siedlungsgründung mit den historischen Daten vermessen erscheinen. Die obigen Ausführungen seien daher
nur als theoretisches Gedankenspiel vorgestellt. — Nicht eingegangen werden soll in diesem Zusammenhang auch auf
die mögliche Verbindung des Ortsnamens Thürheim mit Thüringen. Der Normalfall wäre die Bildung eines Ortsna-
mens aus einem Personennamen mit dem suffix -heim (s. S. 13 ff.), dies wird man auch für Thürheim annehmen dürfen.
Denkbar wäre selbstverständlich, daß dieser Personenname Hinweis auf die Herkunft des Namensgebers böte. So
erwähnt Dertsch, Mittelschwaben 321 für Oberthürheim 1593 den Familiennamen „Thüringer", ohne daß dem eine
weitergehende Bedeutung zugemessen werden dürfte. — Ebenfalls nicht untersucht werden kann die Stellung von
Thürheim bzw. seiner Bewohner zu dem seit dem 9. Jahrhundert mehrfach erwähnten „Duriagau". Hierzu vor allem:
J. Schnetz, Flußnamen des Bayerischen Schwabens in ihrer Bedeutung für die Namenkunde, Geschichte und
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