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ZUSAMMENFASSENDE BETRACHTUNGEN ZUR
SIEDLUNGSGESCHICHTE

War es möglich, das Gräberfeld in die Bestattungs-
areale zweier Siedlungen zu untergliedern, so steht
zu untersuchen, in welchem Verhältnis beide zuein-
ander gestanden haben und wie sie sich gegenseitig
beeinflußten.
Erste Siedler am Ort waren die Benutzer des West-
friedhofs. Zu Beginn der Belegung finden sich dort
mehrere Gräber mit guter bis sehr guter Ausstat-
tung, wie etwa die Gräber 198 und 214. Wenn auch
von einer horizontalstratigraphisch interpretierba-
ren Belegungsrichtung nicht gesprochen werden
kann, so scheint sich doch der Schwerpunkt nach
Südosten zu verlagern. Es ist eine ungebrochene Ent-
wicklung mit gleichbleibendem Wohlstand und
gleichbleibender Ausbreitungsrichtung des Fried-
hofs bis in Stufe 2 zu bemerken.
In Stufe 2 beginnt die Belegung des Ostfriedhofs
(Taf. 120,1). Von diesem Zeitpunkt an fehlen
reichere Gräber im Westfriedhof. Es sind weder
Bügel- noch Scheibenfibeln oder Spathen aus Grä-
bern der Stufe 3 des Westfriedhofs bekannt gewor-
den. Die Bestattungen, die sich in Belegungsrich-
tung an jene der Stufe 2 anschließen, enthielten
meist nur Schnalle und Messer.
Im Ostfriedhof wurden die Bestattungen der Stufe 3
in geraden Reihen angelegt. Ausbreitungsrichtung
ist Norden. Fast ausnahmslos handelt es sich um gut
ausgestattete Gräber.
Im Verlauf der Stufe 3 (Taf. 120,2) berühren sich
Ost- und Westfriedhof. Für den Ostfriedhof kann
aus Indizien erschlossen werden, daß sich weder die
Anlageform des Gräberfeldes (Reihung) noch die
Belegungsrichtung änderten. Die Bestattungen der
Stufe 4 auf dem Westfriedhof nahmen dagegen wie-
der das Areal des früheren und mittleren 6. Jahrhun-
derts ein, um sich von hier aus bis zum frühen 8.
Jahrhundert nur zögernd auszubreiten. Im wesentli-
chen benutzt man aber während des gesamten 6. und
7. Jahrhunderts dasselbe Areal. Deutlich nimmt
man Rücksicht auf das Gebiet des Ostfriedhofs.
In Stufe 4 beginnt mit dem Saxgrab 25 wieder die
Waffenbeigabe im Westfriedhof. Erst aus Stufe 5
(Grab 211; vielleicht Stufe 4—5: Grab 104) ist wie-
der eine Spatha belegt. Keine nennenswerten Unter-
schiede können im Beigabenniveau der Spätzeit aus-

gemacht werden. Allerdings sind auch hier die zur
Verfügung stehenden Gräberfeldausschnitte sehr
klein.
Aus dem Dargestellten läßt sich als Schlußfolgerung
folgendes Bild entwerfen, wobei aber überliefe-
rungsbedingte Unsicherheitsfaktoren mit einkalku-
liert werden müssen. An der Wende vom 5. zum 6.
Jahrhundert kommt eine größtenteils thüringisch ge-
prägte, kleinere Bevölkerungsgruppe an die Zusam
und gründet eine vielleicht nur aus einem lockeren
Verband bestehende Siedlung. Darunter befinden
sich Personen von größerem Wohlstand, der auf
Grund guter Wirtschaftsbedingungen (guter Boden,
Anbindung an das Verkehrssystem, ausreichend
Platz) zunächst auch gehalten werden kann. Noch
vor der Mitte des 6. Jahrhunderts siedelt eine zwei-
te, fest gefügte, eher fränkisch geprägte Bevölke-
rungsgruppe in der Nähe des Friedhofs. Höchst-
wahrscheinlich als Reaktion auf diese Neuansied-
lung sinkt der Wohlstand der schon Ansässigen rapi-
de ab, während jener der Neuankömmlinge kon-
stant bleibt. Im späten 6. Jahrhundert zwingt die
Anlageform des Ostfriedhofs die Benutzer des
Westfriedhofs, ihr schon einmal belegtes Gräber-
feldareal erneut zu benutzen anstatt, wie es tech-
nisch ebensogut möglich gewesen wäre, den Ost-
friedhof zu überlagern. Dies kann man wohl nur so
interpretieren, daß die Machtverhältnisse — seien
sie nun wirtschaftlicher, rechtlicher oder politischer
Natur (s. S. 211 f.) — eindeutig zugunsten der Be-
nutzer des Ostfriedhofs sprachen. Ergäbe eine
schlichte Teilung des Wirtschaftsraumes, sofern man
überhaupt als Ansässiger genötigt war, dies zuzulas-
sen, einen einander entsprechenden, niedrigeren
Wohlstand, so bietet sich hier ein anderes Bild. Die
wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich durch die
Teilung des Landes auf zwei Gruppen ergaben, gin-
gen ganz zu Lasten der schon ansässigen Bevölke-
rungsgruppe. Erst in der Mitte des 7. Jahrhunderts
scheinen sich die Unterschiede in wirtschaftlicher
Hinsicht ausgeglichen zu haben, die Zweiteilung des
Gräberfeldes und somit der Siedlungen blieb aber
bestehen.
Eine der Siedlungen wird man sicher mit Unterthür-
heim in Zusammenhang bringen dürfen. Ob die

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