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Die Lokomotive

rVie Geschichte der Entwickelung der Lokomotive ist eins der interessantesten Kapitel des
Maschinenbaues, denn an keiner Haschine war man durch die an sie gestellten Ansprüche
so zu Verbesserungen gezwungen als gerade bei ihr. Wir können uns hier in der Haupt-
sache nur auf eine Schilderung ihrer jetzigen Beschaffenheit einlassen, und an der iiand des
beigegebenen zerlegbaren Modells wird das wesentlich erleichtert.
Wir unterscheiden an jeder Lokomotive drei Hauptteile: den Dampfkessel, die Maschine
und den Wagen oder das Rahmengestell. Kessel und Maschine werden von dem Wagen ge-
tragen und erhalten durch ihn die Fähigkeit zu laufen und die aus dem Kesseldampf ge-
wonnene Kraft durch die Maschine auf die Treibräder zu übertragen. Wir haben uns die
Wirkungsweise der Lokomotive mit kurzen Worten folgendermassen zu erklären:
Der Kesseldampf kann auf zwei Wegen aus dem Kessel entweichen. Einmal durch
die Sicherheitsventile, wenn die Maschine nicht arbeitet und im Kessel ein höherer DampL
druck entsteht als normal bestimmt ist (8,5—10 Atm.) und das andere Mal, wenn die Maschine
arbeitet, durch die Cylinder. In den Cylindern wirkt der Dampf in bekannter Weise auf je
einen Kolben, sobald der Dampf mittelst des im Dampfdom untergebrachten Regulators Ein-
lass in die Cylinder erhält und, je nachdem er vor oder hinter dem Kolben eintritt, diesen
vorwärts oder rückwärts treibt. Bevor aber der Kolben die Endstellung erreicht, schliesst der
Schieber den Dampfeintritt und öffnet den Dampfaustrittskanal, durch den der verbrauchte
Dampf nach dem Schornstein und von hier ins Freie entweicht. — Der ausgestossene Dampf
dient gleichzeitig noch dazu, den ohnedies etwas schwachen Schornsteinzug zu verstärken
und hierdurch eine bessere Ausnutzung des Brennstoffes zu ermöglichen. Es ist das bekannte
Spiel zwischen abwechselndem Vor- und Rückwärtsgang der Schieber und Kolben wie bei
jeder Dampfmaschine. Die Lokomotive ruht auf 6—8 und mehr Rädern, die wir als Lauf-
und Treibräder näher unterscheiden. Die Laufräder bilden meist vorn ein besonderes, um
Zapfen drehbares Vorderwagengestell und sind wesentlich kleiner als die Treibräder. Letztere
liegen in der Mitte und unter dem hinteren Ende der Maschine auf Achsen, die fest und un-
veränderlich gegen seitliche Verschiebung im Rahmengestell gelagert sind. Die Laufräder
dienen nur dazu, die Last der Maschine tragen zu helfen, während die Treibräder, wie schon
ihre Bezeichnung sagt, die Fortbewegung der Maschine auf dem Schienengleis vermitteln.
Die Kolben sind mit den Treibrädern in bekannter Weise durch Kolbenstange und Kreuzkopf
als Zwischenglieder mit der Treibstange verbunden, welche auf eins der Treibräder wirkt, und
die Treibräder sind wieder paarweise durch Kuppelstangen miteinander an den excentrisch an
ersterem angebrachten Kurbelzapfen gekuppelt, so dass sämtliche 4 Treibräder an der Kraft-
übertragung teilnehmen. Bei der Fortbewegung der Lokomotive auf den Schienen bieten diese
den angetriebenen Treibrädern einen Widerstand, den wir als Adhäsion schon näher kennen
lernten, und diese hindert die Räder, sich frei um ihre Achse zu drehen, sie müssen also die
Achse selbst vorwärts treiben, sie rollen also auf den Schienen fort und ziehen die ihnen
angehängte Last nach sich.
Die Zugkraft der Lokomotive ist bei gleichmässiger Geschwindigkeit eines Zuges
gleich dem Widerstand des ganzen Zuges einschliesslich dem der Lokomotive. Der Wider-
stand hängt aber ausserdem noch von der Steigung der Bahnstrecke, von ihren etwaigen

Krünimungen, der Fahrgeschwindigkeit, der Bauart der einzelnen Eahrzeuge und der Witterung
(Winddruck) ab. All diese Nebenumstände hat der Lokomotivführer im Auge zu behalten,
um die Zugkraft jeweilig richtig zu regulieren. Diesem Zwecke dient die an den Lokomotiven
angebrachte Coulissensteuerung, mit deren Hilfe nicht nur in einfachster Weise der
Füllungsgrad der Cylinder (d. h. die stärkere oder schwächere Versorgung derselben mit ge-
spanntem Kesseldampf) und hierdurch eine Änderung der Zugkraft ermöglicht wird, sondern
auch das Vor- und Rückwärtsfahren kann durch sie der Lokomotivführer je nach Bedarf jeder-
zeit bewirken.
Aus der Mechanik wissen wir, dass die Reibung eines Körpers auf einem anderen
im Zustand der Ruhe grösser ist als in dem der Bewegung. Es ist deshalb auch der Wider-
stand, den eine stillstehende Lokomotive auf den Schienen findet, grösser, als wenn sie sich
bereits in Bewegung befindet. Danach gehört zum Anziehen, also zum Übergang aus der
Ruhe in die Bewegung, stets eine grössere Zugkraft als während der vollen Fahrt, und diesem
Maximalwert müssen die Abmessungen der Cylinder, Kolben, Dampf- und Schieberwege ent-
sprechen. Die Reibung zwischen Schienen und Treibrädern muss aber mindestens ebenso-
gross sein als die Zugkraft der Lokomotive. Ist die Reibung geringer, so drehen sich die
Räder, auf einer Stelle verharrend, schnell um ihre Achse, ohne die Maschine fortzubewegen.
Man sagt dann, die Maschine „gleitet“ oder „schleudert“, und tritt diese Erscheinung oft ein,
wenn die Schienen feucht sind. Durch sofortiges Schliessen des Regulators wird in diesem
Fall der Dampfzufluss zu dem Cylinder abgesperrt, und der Eührer Iässt Sand aus dem Streu-
apparat unter die Räder auf die Schienen laufen. Öffnet er dann langsam und vorsichtig
den Regulator wieder, so greifen die Räder infolge der vermehrten Adhäsion (Rauheit) auf der
Fläche der Schienen und die Maschine beginnt zu fahren. Unter mittleren Verhältnissen be-
trägt die Reibung auf den Schienen 1 /e bis a/7 des gesamten Raddruckes einer Achse. Es
ist deshalb vorteilhaft, die Treibachsen stark zu belasten, doch darf dies auch nur bis zu
gewissen Grenzen geschehen, denn es darf einerseits der Druck auf die Flächeneinheit des
Rad' und Schienenmaterials nicht zu gross sein, damit es nicht zerdrückt wird und hierdurch
seine Festigkeit verliert. Andererseits gestattet aber auch die Tragfähigkeit der Schienen-
stösse und Brücken eine Überschreitung eines bestimmten Raddruckes nicht. Bei uns in
Deutschland waren bisher 7000 kg Raddruck zulässig und bei neuen Strecken mit stärkerem
Oberbau (Gleis) ist seit 1898 8000 kg Radbeiastung gestattet. In England, das sehr kräftigen
Oberbau auf seinen Bahnen hat, geht man bis zu 9500 kg, und in Amerika hat man in
einzelnen Fällen sogar 10 000 kg Raddruck gestattet.
Wie schon gesagt, müssen die Abmessungen der Maschine, der zulässige Dampfdruck
und der Laufkreis - Durchmesser der Treibräder der aus der Achsbelastung bestimmbaren
Adhäsionszugkraft entsprechen. Eine Treibachse leistet an einer deutschen Lokomotive eine
Maximalanzugskraft von 2154 bis 2462 kg (bei neueren Maschinen). Ist das Zuggewicht
klein, so ist auch der Bewegungswiderstand geringer, und es genügt eine Maschine zur Fort-
bewegung. Ist hingegen das Zuggewicht grösser, so müssen zwei Maschinen vorgespannt
werden. Bei einer der grössten Lastzugmaschinen der preussischen Staatsbahnen, die nament-
lich ftir gebirgiges Gelände bestimmt ist, haben wir 8 gekuppelte Treibräder und 2 Laufräder.

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