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den in den nächsten Kapiteln zu behandelnden kultischen Belangen, wohl ein wesentlicher Grund dafür,
daß das Vita-Retabel viel seltener als die Heiligen-Antependien eine standortmäßige Verbindung mit
dem Hochaltar eingeht.
Auch im übrigen Italien scheint man versucht zu haben, Ikonen mit seitlichen Szenen als Hauptaltar-
bilder zu verwenden. So sind in S. Margherita zu Bisceglie, nach einer Vermutung Salmis95, die genau
gleich großen Tafeln der hl. Margret und des hl. Nikolaus (Garr. 394 und 395; 1,29 x 0,86 m; zweite
Hälfte 13. Jh.), als Diptychon miteinander vereint, das Retabel des noch aus der Gründungszeit der
Kirche (1197) erhaltenen, dreiwandigen und'aus Marmor bestehenden Kastenaltars gewesen (Abb. 224).
Sie können an der dicht hinter der Mensa befindlichen Apsis befestigt gewesen sein, wo in einem der ge-
meinsamen Breite dieser Tafeln von 1,72 m entsprechenden Abstand je zwei bandartig flache Metall-
stifte (die Distanz zwischen den beiden inneren beträgt 1,50 m) mit der Aufstellung der Ikonen in
Zusammenhang zu stehen scheinen. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß sie von einer neueren
Befestigung herrühren oder mit dem „ingombrante tabernacolo di legno“ in Zusammenhang gestanden
haben, unter dem der Altar (Höhe 1,03 m, Breite 1,38 m, Tiefe 0,88 m) bei der von Salmi 1919 beschrie-
benen Restauration der Kirche zum Vorschein gekommen ist.
Die beiden Ikonen, welche die Titelheilige und den Patron des nahegelegenen Bari darstellen, stehen, da
sie infolge der größeren Breitenerstreckung in der Lage sind, die Mensa wie einen Schild zu hinterfangen,
rein formatmäßig in einem sehr viel günstigeren Verhältnis zum Altar als das Retabel in S. Miniato al
Monte. Die Wirkung wird jedoch durch die Zweiteilung stark herabgemindert, die der Entstehung eines
bildlichen Mittelpunktes über dem Altar abträglich ist. Da die sonst bei Diptychen üblichen Verbin-
dungsspuren fehlen bzw. infolge des stark beschädigten und restaurierten Zustandes der Tafeln nicht mehr
festzustellen sind, ist deshalb doch die Möglichkeit im Auge zu behalten, daß, trotz der auffälligen Über-
einstimmung in den Abmessungen, nur eine der Palen - vielleicht die der Schutzheiligen - über der
Mensa angebracht war, während die Ikone des hl. Nikolaus sich an einem seitlichen Aufstellungsort befun-
den hat. Ein zweiter Altar existiert jedoch in dem räumlich sehr beschränkten Gebäude nicht.
Ob als Diptychon oder Einzelikone verwandt, bleibt die Beziehung zum Ort der kultischen Handlung
rein additiv und geht nicht über die in der römischen und byzantinischen Tradition angetroffene Stufe
hinaus, die, im Unterschied zu den apulischen Vita-Ikonen, vom toskanischen Vita-Retabel überwunden
wurde. Allerdings ist auch dessen Anwendungsbereich fast ganz auf den Seitenaltar beschränkt.
Da es auf Grund seiner Struktur eine Angleichung der Richtungsbetonung an die am altare mag-
giore vorliegenden Gegebenheiten nicht vollziehen kann, erschöpft sich seine Rolle in der Altarbildent-
wicklung, trotz der langen Lebensdauer, im wesentlichen auf die Vorbereitung des Hochaltarbildes, das
auf der von den Franzpalen seit 1228 geschaffenen Basis in der zweiten Hälfte des 13. Jhs. aufzubauen
vermag.
Obwohl schon zeitig im 12. Jh. beginnend, hat die erste Form des toskanischen Heiligenbildes die halb-
figurige Ikone, im Gegensatz zu Byzanz und ähnlich wie in Rom, wo die Marientafeln dominieren, nur
eine beschränkte Bedeutung. Sie dient als Devotionsbild, Prozessionstafel und als Retabel eines Seiten-
altars.
Die ganzfigurige Heiligenikone beginnt als hölzernes Tafelbild im römischen Bereich. In Gestalt der
Franzpala dringt sie, die Tradition des Erinnerungsbildes von Subiaco fortsetzend, nach Umbrien und
in die südliche Toskana vor. Unverkennbar sind die Franziskaner die Initiatoren bei der Verbreitung
dieser zunächst ausschließlich auf die Person ihres Ordensgründers konzentrierten Tafeln, die haupt-
sächlich an Pfeilern aufgehängt wurden, dann aber auch - in enger Analogie zu Subiaco - an den Stätten
den Gedanken an den Besuch des Heiligen wachhalten, die durch den ihnen anhaftenden Erinnerungs-
wert zur Aufnahme seiner Ikone in besonderer Weise geeignet erscheinen. Da diese Orte den Charakter
von Kapellen entweder von vornherein besitzen oder zumindest nachträglich angenommen haben, besteht
für die beweglichen Tafeln, über das Vorbild in Subiaco hinausgehend, die Möglichkeit der Verbindung
mit dem Altar. Diese ist insbesondere dort anzunehmen, wo das als Bildträger fungierende Sterbebrett
des hl. Franz die eine solche Aufstellung begünstigende Qualität einer „Reliquie im weiteren Sinne“
besitzt, wie etwa die Sandalen Christi oder der Gürtel Mariens.
Die Palen mit dem hl. Dominikus sind erst seit der zweiten Hälfte des 13. Jhs. erhalten und vergleichs-
weise sehr viel seltener. Von anderen Heiligen ist aus dem 13. Jh. nur die Ikone des Evangelisten Lukas
auf uns gekommen. Im Trecento ändert sich jedoch die Situation schlagartig. Nun gewinnen die Dar-

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