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Heilandes die frühchristliche Tischgemeinschaft in dieser Form zu repräsentieren und mit dem Blick
auf die Gläubigen seine liturgischen Funktionen zu erfüllen, während die gewöhnlichen Kleriker den
Hochaltar von der Vorderseite her benutzen.
An dem zweiseitig benutzbaren Altar der Oberkirche von S. Francesco in Assisi ist es sogar nur dem Papst,
dessen Thron sich in der Apsis befindet, gestattet, mit der Richtung zur Gemeinde zu zelebrieren17.
So verbleibt als drittes und am längsten bestehendes Hindernis, das die Aufstellung von Bildern hinaus-
zögert, die Kathedra des Bischofs, deren Bedeutung Braun zumindest für Italien verkennt18, obwohl
gerade er selbst darauf hingewiesen hat, daß der Thron im Dom zu Grado nur ein niedriges Retabel zuließ
(Abb. 72; 1372).
Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Kathedra schon in karolingischer Zeit19 aus der Apsis herausgerückt
wird, behauptet sie in Italien diesen Platz bis ins 14. Jh. und teilweise sogar noch weit darüber hinaus.
In S. Cesareo zu Rom und im Dom zu Anagni (1263)20 treten Konfessioaltar und Kathedra gemeinsam
auf. Das Vorkommen der letzteren, die ihre Erhaltung in den beiden Kirchen nicht unwesentlich der
Eigenart der Mensa verdankt, die nur eine Benutzung von der Apsisseite aus zuläßt, ist keineswegs
an einen bestimmten Altartyp gebunden. Dies hat schon das Beispiel in Bari deutlich werden lassen, dem
wir die nun folgenden anschließen können, deren Entstehungszeit sich bis weit ins 13. Jh. erstreckt:
Venedig, S. Marco (entfernt vor 1534)21; Tuscania, S. Pietro (um 1093)22; Tuscania, S. Maria Maggiore;
Viterbo, S. Giovanni in Zoccoli (in alten Formen erneuert)23; Canosa, Dom (zwischen 1078-1089)24;
Monte S. Angelo (Apulien, zweite Hälfte 12. Jh.)25; Rom, S. Maria in Cosmedin (1123)26; S. Balbina
(Mitte 13. Jh.)27; S. Lorenzo fuori le mura (Eingangsseite der alten Lorenzkirche [13. Jh.])28.
Aus ihnen ersehen wir, daß der Bischofsstuhl in der Apsis nicht nur eine Sache der „wenigen Kathe-
dralen“29, sondern auch der Abteikirchen und darüberhinaus der größeren Gemeindegotteshäuser ist.
Daher ist er neben den Konfessioaltären der Haupthinderungsgrund, welcher der Anordnung von
Bildern auf dem Hochaltar gerade in den Kirchen im Wege steht, die durch ihre Bedeutung für die
Entwicklung zum Retabel in erster Linie in Fiage gekommen wären.
Im alten Dom zu Florenz wird 1286 eine Kathedra in der Apsis des Hochchores erwähnt30. Auf dem nach
1233 entstandenen Relief in der Vorhalle der Kathedrale zu Lucca ist der hl. Martin als bischöflicher
Zelebrant hinter der Mensa stehend dargestellt (Abb. 8)31. Übereinstimmend wird der hl. Donatus auf
einem 1320 datierten Relief wiedergegeben, das sich an der Fassade von S. Donato in Campignalla bei
Florenz erhalten hat32. Hieraus geht hervor, daß in der Toskana, wie im übrigen Italien, die liturgischen
Funktionen des Bischofs eine Schwierigkeit bedeuten, die zumindest in den Kathedralkirchen bis zum
Anfang des Trecento fortbesteht.
Eine grundlegende Änderung bringen erst die umbro-toskanischen Bettelordensbauten, die im Regelfall
auf die Anordnung von Thronsitzen in der Apsis verzichten*). Deshalb ist hier für die Aufstellung von
tafelbildlichem Schmuck auf dem Hauptaltar die Schranke endgültig gefallen, die vor dem Aufkommen
der an die Reformordensarchitektur sich anschließenden Kirchen des Mendikantentums in Italien nur
eine vorübergehende Verbindung mit beweglichen Bildern gestattete.
Eine Parallelerscheinung zu der als Reliquie oder in Zusammenhang mit einer solchen auf dem altare
maggiore ausgesetzten Ikone ist der in ähnlicher Weise das Retabel vorbereitende Brauch, Reliquien-
schreine hinter dem Hochaltar aufzustellen. Schon im 9. Jh. versucht er sich Geltung zu verschaffen und
wird bereits von Leo IV. und dem Konzil vom Reims (867)34 offiziell geduldet, obwohl man ihm zunächst
noch sehr reserviert gegenüberstand. Die Wunder der hl. Gamburga hörten auf, als ihre Reliquien auf
dem Hochaltar deponiert wurden. Den Grund hierfür gab sie selbst an, indem sie einen Priester im Traum
darauf hinwies, daß der Altar allein der Feier des Meßopfers zu dienen habe35. Aber trotz solcher Bedenken
sind diese Bestrebungen, die auch Braun als Wegbereiter des Retabels auf den Hauptaltar hervorhebt,
stark genug, um sich durchsetzen zu können36. In S. Domenico zu Bologna war der schon genannte,
1267 von Fra Guglielmo vollendete Schrein des Ordensgründers, wie in S. Severin zu Köln37 auf Säulen
hinter dem Hochaltar angebracht (heute Capp. di S. Domenico)38. Zwei in der Aufstellung erhaltene
italienische Beispiele stammen erst aus der zweiten Hälfte des 14. Jhs. (Arezzo, Dom, um 137539; Pavia,
S. Pietro in Ciel d’Oro, um 138040). Im rechten Querschiff der Unterkirche von S. Francesco in Assisi
*) Die Kirche S. Francesco in Assisi, die in den Bettelordensbauten durch die Anlehnung an die römischen Märtyrerbasiliken
eine Sonderstellung einnimmt, bildet eine Ausnahme83.

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