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Stelle der repräsentativen Figurendarstellung zu setzen und, diese verdrängend, im 15. Jh. zum eigent-
lichen Gegenstand des Tafelbildes zu werden116.
Neben diesem Phänomen ist die Predella das am weitesten in die Zukunft weisende Ereignis, da sie, die
mittelalterlichen Typen überlebend, bis in die späteste Phase der Retabelentwicklung vertreten bleibt.
Als der dem Altargeschehen nächste Teil des Retabels bietet die Predella Gelegenheit zu einer direkten
Bezugnahme auf das Meßopfer. In Übereinstimmung mit den Peruginer Tafeln der Paliottotradition
(Abb. 143 und Garr. 370), in deren unterem Abschnitt wir das Agnus Dei dargestellt fanden, eischeint
in S. Caterina und S. Francesco zu Pisa der Schmerzensmann als die diesem Symbol gleichbedeutende
Versinnbildlichung des sakramentalen Christus.
Die Verwendung von Nebenszenen oder Heiligengestalten in kleinformatigen Feldern ist ein Moment,
das das Polyptychon wieder dem Antependium nahebringt, in dessen Nachfolge es seine Funktion erfüllt.
Die Bindung an die Tradition geht sogar noch weiter zurück und knüpft an die monumentale Dekoration
an, so daß durch den Aufbau, der in drei Zonen den Salvator, die Muttergottes zwischen Heiligen und
einen Szenenstreifen enthält, das Schema der Apsidenausstattung wiederhergestellt erscheint. Da sich
die Proportionen verschoben haben, dominiert aber nicht das der Kalotte entsprechende Haupttympa-
non, sondern die Etage der Madonna. Bei den Salvatordarstellungen im Giebel handelt es sich daher wegen
der Umwertung, die in der „hierarchy of places“ eingetreten ist, mehr um ein additives, durch die
konstruktive Erweiterung des Retabelkörpers ermöglichtes Hinzutreten zum Marienthema, als um eine
Wiederherstellung des alten, auf Majestasmotive zentrierten Systems.
Ganz anders als bei den Stücken der Antependiennachfolge ist das Mendikantentum am Aufschwung der
Giebel- und Polyptychontypen beteiligt. Etwa ein Drittel der uns bekannten Beispiele wurde für Bettel-
ordenskirchen geschaffen.
Entscheidend für die Ausbildung des Polyptychons ist seine Verwendung als Hochaltarbild. Es gelangt
nicht erst, wie das gleich zu behandelnde hochformatige Marien-Retabel, vom Seitenaltar dorthin, sondern
entsteht am Anfang des 8. Jahrzehnts auf dem altare maggiore.
Das Polyptychon ist der einzige Retabeltyp, der den im 14. Jh. zunehmend in die Breite wachsenden
Hochaltären117 durch seine Ausbaufähigkeit, die eine Hinzufügung von weiteren Kompartimenten
gestattet, zu folgen vermochte.
In diesem Prozeß konnte das hölzerne Polyptychon jedoch nur bis zu einer durch das Material gesetzten
Grenze Schritt halten, zumal eine Erweiterung der Breitenerstreckung auch ein proportional entsprechen-
des Wachstum in die Höhe zur Folge hat. Darum steht als selbstverständliche Konsequenz am Ende
dieses Weges das Marmoraltarwerk.
Die auf das Holz angewandten Dekorationsformen der gotischen Architektur werden nun in die Stein-
bauweise zurücktransponiert, aus der sie entlehnt worden waren. Der mit der beweglichen Tafel begin-
nende Altaraufsatz verliert so im Spätstadium der Entwicklung seinen mobilen Charakter und verfestigt
sich zur Retabelarchitektur. Die Übertragung des gotischen Gliederwerks auf die Tafel führt zu einer
immer weitergehenden Auf differenzier ung und damit zur Zersplitterung der Oberfläche. Für diese
Situation ist die von einer Vielzahl mehrfach durchbrochener Giebel besetzte Marmorancona im Dom zu
Arezzo ein kennzeichnendes Beispiel (Abb. 166), auf der die kleinteiligen Szenen über die halbierten
äußeren Seitenfelder bis in die Galeriezone vorgedrungen sind und die Pfeiler durch die überreiche
Figurenbesetzung ihre festen Konturen verloren haben.
Da eine Weiterentwicklung über diese hybride Spätstufe des Polyptychons nicht mehr möglich ist,
ergibt sich die Notwendigkeit einer Reduktion der Schmuck- und Zierglieder mit der Richtung auf die
Herstellung einer möglichst ungebrochenen Bildfläche118.
G. Passavant119 stellt in dem Abschnitt seines Buches über Andrea del Verrocchio als Maler, wo dieses
Problem berührt wird, fest, daß die Überwindung des Marienpolyptychons durch das ungeteilte Altarblatt
erst im zweiten Viertel des 15. Jhs. stattfindet. An der Schwelle dieses Überganges steht der Pisaner Altar
Masaccios, wie aus bisher noch unveröffentlichten Untersuchungen Herbert Siebenhüners hervorgeht,
auf die wir für den angeschnittenen Fragenkomplex verweisen, der nicht mehr zum Aufgabengebiet der
vorliegenden Arbeit gehört.
Das folgende Kapitel wird zeigen, daß die Erreichung des Entwicklungszieles im Quattrocento die
Rückgewinnung einer Errungenschaft bedeutet, über die bereits das Dugento in der fortgeschrittenen
zweiten Hälfte verfügte.

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