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Suleika spricht:

Der Spiegel sagt mir, ich bin schön,

Ihr sagt: zu altern sei auch mein Geschick.

Vor Gott muß alles ewig steh'n,

In mir liebt ihn, für diesen Augenblick.

Goethe.

Viertes Kapitel

„DER MENSCH VOR DEM SPIEGEL" IM ABBILD
DER MALEREI

Wir haben uns mit Wesen und Wert des Spiegels beschäftigt, haben weiter
gefragt, welche Gestalten er im Laufe der Zeit angenommen hat und wie die
Kunst daran beteiligt war. Jetzt wenden wir uns der Wiedergabe zu, die
unser Gerät in den Darstellungen der bildenden Kunst gefunden hat, und
der typischen Rolle, welche es in gewissen thematischen Zusammenhängen
spielt. Zunächst dürften dadurch unsere Umrisse zur Geschichte des Spie
gels mit mehr Anschauung erfüllt werden, zumal ja manche Formen uns
nur in Abbildungen erhalten sind. Ferner kann man die allgemeinen gei'
stes' und kulturgeschichtlichen Funktionen unseres Gerätes, von denen im
Anfang des Buches die Rede war, aus den Illustrationen in der Malerei,
Graphik und Plastik noch besser verstehen. Vor allem aber werden wir er*-
kennen, daß mit dem Spiegel von jeher gewisse typische, konkrete und synv
bolische Bildmotive verbunden gewesen sind, deren Ikonographie bedeute
sam ist, und daß die Wiedergabe des Spiegelbildes in der Malerei ein
wichtiges künstlerisches Thema darstellt, dessen Sinn und dessen Entwick-
lung zu verfolgen sich lohnt.

Das Wichtigste von jenen Bildmotiven wollen wir zuerst untersuchen. Es
ist die Darstellung des Menschen, der sich im Spiegel betrachtet; wobei der
Nachdruck vom Künstler nicht daraufgelegt ist, daß uns, den Beschauern,
das Spiegelbild gezeigt wird, sondern daß und wie, mit welchem Ausdruck
und Gebaren die geschilderte Person sich selber sieht. Eine Ursituation!
Vor allem des Weibes, wie man heute meinen wird, da der Gedanke an den
sich im Spiegel betrachtenden Mann uns mehr oder weniger peinlich ist I '.
(soweit es sich nicht um ganz sachliche Anlässe handelt — etwa beim Bar«'
bier usw.). Aber die älteste Spiegelbegegnung, von der eine griechische
Sage erzählt, handelt von einem Manne. Und auch sonst hat das antike
Bewußtsein den Mann nicht so weitgehend von dem Spiegel distanziert,
 
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