II
AUS BRIEFEN DER MALER
PAUL CEZANNE
... Es ist hier wie auf einer Spielkarte. Rote Dächer vor dem
blauen Meer. Wenn das Wetter günstig wird, könnte ich sie
vielleicht bis zu Ende durchführen. So wie die Sachen jetzt
liegen, habe ich noch nichts gemacht. — Doch gibt es Motive,
die eine drei- bis viermonatige Arbeit verlangen würden und
die man wohl finden könnte, da die Vegetation sich nicht
verändert. Es sind vor allem Olivenbäume und Pinien, die
immer ihr Blattwerk behalten. Die Sonne ist liier so gewaltig,
daß mir scheint, als ob alle Gegenstände sich als Silhouette
abhöben, und zwar nicht nur in Schwarz oder Weiß, sondern
in Blau, in Rot, in Braun, in Violett. Ich kann mich täuschen,
doch scheint es mir, als sei dies das Gegenteil von Model-
lierung.
... Mein lieber Freund, zusammenfassend werde ich wie Sie
sagen, daß — da nun einmal eine gemeinsame Tendenz einige
von uns miteinander verbindet ■— wir hoffen wollen, daß die
Notwendigkeit uns zwingen wird, gemeinsam zu handeln,
und daß der Vorteil und der Erfolg das Band zwischen uns
stärken werden, für dessen Festigung der gute Wille allein
nicht ausreichen würde...
Pissarro ist seit etwa anderthalb Monaten nicht mehr in Paris,
er befindet sich in der Bretagne, doch weiß ich, daß er eine
gute Meinung von mir hat, der ich selbst eine sehr gute
Meinung von mir habe. Ich beginne, mich für viel stärker
zu halten als alle, die mich umgeben, und Sie wissen ja, daß
ich mir diese gute Meinung, die ich von mir habe, erst nach
reiflicher Überlegung zulegte. Ich habe immer weiterzu-
arbeiten, doch nicht etwa, um zu jener Vollendung zu gelan-
gen, die die Bewunderung der Dummen erregt. — Denn jene
Vollendung, die man im allgemeinen so schätzt, ist nichts als
das Ergebnis handwerklichen Könnens und macht jedes Werk,
das so entsteht, unkünstlerisch und gewöhnlich. Ich darf nur
zu vollenden suchen, aus dem Wunsche heraus, wahrer und
künstlerischer zu sein. Und glauben Sic mir, daß es immer
eine Stunde gibt, da man sich durchsetzt und sehr viel glühen-
dere und überzeugtere Bewunderer hat als jene, denen nur
von einem äußeren Schein geschmeichelt wird...
... Wenn ich mich nicht irre, schienen Sie recht aufgebracht
gegen mich zu sein. Könnten Sie in mein Inneres sehen,
den inneren Menschen, dann wären Sie es nicht. Sehen Sie
denn nicht, in was für einem traurigen Zustand ich mich
befinde! Nicht Herr meiner selbst, der Mensch, der nicht
existiert, und gerade Sie, der Sie ein Philosoph sein wollen,
wollen mich ganz zur Strecke bringen? Ich verwünsche die
Kerle, die, um einen Artikel für fünfzig Franken zu machen,
die Aufmerksamkeit des Publikums auf mich gelenkt haben.
Während meines ganzen Lebens habe ich gearbeitet, um es
so weit zu bringen, mir mein Leben zu verdienen. Ich dachte,
daß man gute Malerei machen könnte, ohne die Aufmerk-
samkeit auf sein Privatleben zu lenken. Sicherlich, ein Künstler
wünscht, sich intellektuell so hoch wie möglich zu erheben,
doch als Mensch sollte er im Dunkel bleiben. Die Freude soll
im Studium bestehen. Wenn es mir gegeben gewesen wäre,
zu realisieren, so wäre ich mit den paar Atelier-Kameraden,
mit denen wir einen Schoppen trinken gingen, in meinem
Winkel gebheben. Ich habe noch einen braven Freund aus
jener Zeit, nun ja, er hat es nicht weit gebracht, was jedoch
nicht hindert, daß er verflucht viel mehr Maler ist als alle
diese Hanswürste mit Medaillen und Orden, daß einem ganz
heiß davon wird; und da wollen Sie, daß ich in meinem Alter
noch an irgend etwas glauben soll;... Was bleibt mir in
meiner Lage noch zu tun, als still dahinzuleben, und wenn
es nicht so gewesen wäre, daß ich die Landschaft meiner
Heimat so ungeheuerlich liebe, so wäre ich nicht liier.
Doch ich habe Sie schon genug damit gelangweilt, und nach-
dem ich Ihnen meine Lage erklärt habe, hoffe ich, daß Sie
mich nicht mehr so ansehen werden, als hätte ich irgendein
Attentat gegen Ihre persönliche Sicherheit begangen.
Ich arbeite hartnäckig, ich sehe das gelobte Land vor mir.
Wird es mir ergehen wie dem großen Führer der Hebräer
oder werde ich es betreten können; Wenn ich Ende Februar
fertig bin, werde ich Ihnen mein Gemälde senden, damit Sie
es einrahmen und irgendeinem gastlichen Hafen zusteuern
können. Ihre Blumen, mit denen ich nicht recht zufrieden
bin, habe ich aufgeben müssen. Ich habe ein großes Atelier
auf dem Lande, arbeite dort und fühle mich besser als in
der Stadt. Ich habe einige Fortschritte gemacht. Warum so
spät und so mühevoll; Sollte die Kunst wirklich ein Priestertum
sein, das reine Menschen erfordert, die ihm ganz angehören;
... Ich würde es begrüßen, wenn der künstlerische Einfluß,
den dieser Meister Monet unfehlbar auf seine nähere und
fernere Umgebung ausübt, sich in genau dem notwendigen
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AUS BRIEFEN DER MALER
PAUL CEZANNE
... Es ist hier wie auf einer Spielkarte. Rote Dächer vor dem
blauen Meer. Wenn das Wetter günstig wird, könnte ich sie
vielleicht bis zu Ende durchführen. So wie die Sachen jetzt
liegen, habe ich noch nichts gemacht. — Doch gibt es Motive,
die eine drei- bis viermonatige Arbeit verlangen würden und
die man wohl finden könnte, da die Vegetation sich nicht
verändert. Es sind vor allem Olivenbäume und Pinien, die
immer ihr Blattwerk behalten. Die Sonne ist liier so gewaltig,
daß mir scheint, als ob alle Gegenstände sich als Silhouette
abhöben, und zwar nicht nur in Schwarz oder Weiß, sondern
in Blau, in Rot, in Braun, in Violett. Ich kann mich täuschen,
doch scheint es mir, als sei dies das Gegenteil von Model-
lierung.
... Mein lieber Freund, zusammenfassend werde ich wie Sie
sagen, daß — da nun einmal eine gemeinsame Tendenz einige
von uns miteinander verbindet ■— wir hoffen wollen, daß die
Notwendigkeit uns zwingen wird, gemeinsam zu handeln,
und daß der Vorteil und der Erfolg das Band zwischen uns
stärken werden, für dessen Festigung der gute Wille allein
nicht ausreichen würde...
Pissarro ist seit etwa anderthalb Monaten nicht mehr in Paris,
er befindet sich in der Bretagne, doch weiß ich, daß er eine
gute Meinung von mir hat, der ich selbst eine sehr gute
Meinung von mir habe. Ich beginne, mich für viel stärker
zu halten als alle, die mich umgeben, und Sie wissen ja, daß
ich mir diese gute Meinung, die ich von mir habe, erst nach
reiflicher Überlegung zulegte. Ich habe immer weiterzu-
arbeiten, doch nicht etwa, um zu jener Vollendung zu gelan-
gen, die die Bewunderung der Dummen erregt. — Denn jene
Vollendung, die man im allgemeinen so schätzt, ist nichts als
das Ergebnis handwerklichen Könnens und macht jedes Werk,
das so entsteht, unkünstlerisch und gewöhnlich. Ich darf nur
zu vollenden suchen, aus dem Wunsche heraus, wahrer und
künstlerischer zu sein. Und glauben Sic mir, daß es immer
eine Stunde gibt, da man sich durchsetzt und sehr viel glühen-
dere und überzeugtere Bewunderer hat als jene, denen nur
von einem äußeren Schein geschmeichelt wird...
... Wenn ich mich nicht irre, schienen Sie recht aufgebracht
gegen mich zu sein. Könnten Sie in mein Inneres sehen,
den inneren Menschen, dann wären Sie es nicht. Sehen Sie
denn nicht, in was für einem traurigen Zustand ich mich
befinde! Nicht Herr meiner selbst, der Mensch, der nicht
existiert, und gerade Sie, der Sie ein Philosoph sein wollen,
wollen mich ganz zur Strecke bringen? Ich verwünsche die
Kerle, die, um einen Artikel für fünfzig Franken zu machen,
die Aufmerksamkeit des Publikums auf mich gelenkt haben.
Während meines ganzen Lebens habe ich gearbeitet, um es
so weit zu bringen, mir mein Leben zu verdienen. Ich dachte,
daß man gute Malerei machen könnte, ohne die Aufmerk-
samkeit auf sein Privatleben zu lenken. Sicherlich, ein Künstler
wünscht, sich intellektuell so hoch wie möglich zu erheben,
doch als Mensch sollte er im Dunkel bleiben. Die Freude soll
im Studium bestehen. Wenn es mir gegeben gewesen wäre,
zu realisieren, so wäre ich mit den paar Atelier-Kameraden,
mit denen wir einen Schoppen trinken gingen, in meinem
Winkel gebheben. Ich habe noch einen braven Freund aus
jener Zeit, nun ja, er hat es nicht weit gebracht, was jedoch
nicht hindert, daß er verflucht viel mehr Maler ist als alle
diese Hanswürste mit Medaillen und Orden, daß einem ganz
heiß davon wird; und da wollen Sie, daß ich in meinem Alter
noch an irgend etwas glauben soll;... Was bleibt mir in
meiner Lage noch zu tun, als still dahinzuleben, und wenn
es nicht so gewesen wäre, daß ich die Landschaft meiner
Heimat so ungeheuerlich liebe, so wäre ich nicht liier.
Doch ich habe Sie schon genug damit gelangweilt, und nach-
dem ich Ihnen meine Lage erklärt habe, hoffe ich, daß Sie
mich nicht mehr so ansehen werden, als hätte ich irgendein
Attentat gegen Ihre persönliche Sicherheit begangen.
Ich arbeite hartnäckig, ich sehe das gelobte Land vor mir.
Wird es mir ergehen wie dem großen Führer der Hebräer
oder werde ich es betreten können; Wenn ich Ende Februar
fertig bin, werde ich Ihnen mein Gemälde senden, damit Sie
es einrahmen und irgendeinem gastlichen Hafen zusteuern
können. Ihre Blumen, mit denen ich nicht recht zufrieden
bin, habe ich aufgeben müssen. Ich habe ein großes Atelier
auf dem Lande, arbeite dort und fühle mich besser als in
der Stadt. Ich habe einige Fortschritte gemacht. Warum so
spät und so mühevoll; Sollte die Kunst wirklich ein Priestertum
sein, das reine Menschen erfordert, die ihm ganz angehören;
... Ich würde es begrüßen, wenn der künstlerische Einfluß,
den dieser Meister Monet unfehlbar auf seine nähere und
fernere Umgebung ausübt, sich in genau dem notwendigen
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