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Maße fühlbar machte, den er auf einen jungen und arbeits-
willigen Künstler haben kann und soll. Couture hat zu seinen
Schülern gesagt: »Pflegt guten Umgang!«, das heißt: »Geht
in den Louvre! « Doch nachdem man die großen Meister,
die dort ruhen, gesehen hat, sollte man sich beeilen, wieder
herauszukommen und in sich selbst, im Kontakt mit der
Natur, die Instinkte und die künstlerischen Empfindungsmög-
lichkeiten, die in einem stecken, zum Leben zu bringen.

... Um Fortschritte zu machen, gibt es nur eines: die Natur.
Im Kontakt mit ihr wird das Auge erzogen. Es wird kon-
zentriert infolge des vielen Sehens und Arbeitens. Ich will
damit sagen, daß es in einer Orange, einem Apfel, einer Kugel,
einem Kopf einen kulminierenden Punkt gibt, und dieser
Punkt ist — trotz der gewaltigen Wirkung von Licht, Schat-
ten und Farbeindrücken — stets unserem Auge am nächsten.
Die Ränder der Gegenstände fliehen in der Pachtung eines
Punktes, der auf unserem Horizont hegt. Selbst mit einem
geringen Temperament kann man in hohem Grad Maler sein.
Man kann gute Sachen machen, ohne ein ausgesprochener
» Harmonist« noch Kolorist zu sein. Es genügt, einen künst-
lerischen Sinn zu besitzen — und gerade dieser Sinn ist zwei-
fellos das Entsetzen des Spießbürgers. Deshalb können die
Institute, die Pensionen, die Ehren nur für die Kretins, die
Hanswurste und Schelme geschaffen sein. Seien Sie nicht
Kunstkritiker, sondern malen Sie! Darin liegt das Heil...

... Dies jedenfalls ■— ich bin sehr positiv ■— steht unbestreitbar
fest: In unserm Sehorgan bildet sich ein optischer Eindruck,
mit dem wir die durch Farbeindrücke dargestellten Flächen
in Licht, Halbton und Viertelton zu ordnen vermögen. (Das
Licht existiert also nicht für den Maler). Solange wir not-
gedrungen vom Schwarzen zum Weißen übergehen, wobei
die erste dieser Abstraktionen so etwas wie ein Anhaltspunkt
für das Auge sowohl als für den Verstand ist, so lange bleiben
wir stecken und bringen es nicht dazu, uns selbst zu beherr-
schen, uns zu besitzen. Während dieser Periode (ich wieder-
hole mich notgedrungen ein wenig) suchen wir die wunder-
vollen Werke auf, die uns die Jahrhunderte überliefert haben,
und finden dort Stärkung und Stütze wie der Badende an der
Planke...

... Erlauben Sie mir, Ihnen zu wiederholen, was ich Ihnen
schon hier sagte: Man behandle die Natur gemäß Zylinder,
Kugel und Kegel und bringe das Ganze in die richtige Per-
spektive, so daß jede Seite eines Objektes, einer Fläche, nach
einem zentralen Punkt führt: Die mit dem Horizont paraUel
laufenden Linien geben die seitliche Ausdehnung, das heißt
einen Ausschnitt der Natur oder, wenn Ihnen das lieber ist,
des Schauspiels, das der Pater Omnipotens Aeterne Deus vor
unseren Augen ausbreitet. Die zu diesem Horizont senkrecht
verlaufenden Linien ergeben die Tiefe. Nun hegt aber die
Natur für uns Menschen mehr in der Tiefe als in der Fläche,
daher die Notwendigkeit, in unsere durch die roten und gel-
ben Farbtöne wiedergegebenen Lichtvibrationen eine genü-
gende Menge von Blau zu mischen, um die Luft fühlbar zu
machen.

... Nun aber ist die zu lösende Aufgabe — welches auch immer
unser Temperament oder unsere Kraft angesichts der Natur
sei — das Abbild der Dinge, die wir sehen, zu geben und
dabei alles zu vergessen, was vor uns dagewesen ist. Das,
glaube ich, muß dem Künstler erlauben, seine ganze Persön-
lichkeit zu geben, sei sie nun groß oder klein. ■— Doch da
ich nun alt bin — fast siebzig Jahre — sind die Farbeindrücke,
die das Licht hervorbringen, die Ursache von Abstraktionen,

die mir weder erlauben, meine Leinwand ganz zu bedecken
noch die Abgrenzung der Objekte zu verfolgen, wenn die
Berührungsstellen fein und zart sind; daraus ersribt sich, daß
mein Abbild oder Gemälde unvollständig ist. Andererseits
fallen die Flächen übereinander, woraus der Neoimpressionis-
mus hervorgegangen ist, der die Konturen mit einem schwar-
zen Strich umzieht, ein Fehler, der mit aller Kraft bekämpft
werden muß. Nun gibt uns aber die Natur, wenn wir sie zu
Rate ziehen, die Mittel, dieses Ziel zu erreichen...

GUSTAVE COURBET

... Gesessen hat mir bereits (zum Begräbnis von Omans 1850):
Der Bürgermeister, der 400 Pfund wiegt, der Pfarrer, der
Friedensrichter, der Kreuzträger, der Notar, der Adjunkt
Marlet, meine Freunde, mein Vater, die Chorknaben, der
Totengräber, zwei Alte aus der Revolution von 93 in ihrer
Tracht aus der Zeit, ein Hund, die Leiche und ihre Träger,
die Küster (der eine Küster hat eine Nase wie eine Kirsche,
aber verhältnismäßig stark und 5 Zoll lang), meine Schwe-
stern, auch andere Frauen usw. Nur glaubte ich, die beiden
Kantoren des Kirchspiels entbehren zu können. Es war nicht
möglich. Man kam mir zu sagen, daß sie wütend sind, weil
sie die einzigen von der ganzen Kirche seien, die ich nicht
» aufgenommen « hätte! Sie beklagten sich bitter, sie sagten,
daß sie mir doch nie etwas getan hätten und daß sie eine sol-
che Schmach nicht verdienten. — Man muß schon ganz toll
auf die Arbeit sein, um unter diesen Verhältnissen hier zu
arbeiten. Ich arbeite blindlings. Ich habe gar keinen Raum
zum Zurücktreten. Werde ich denn niemals so untergebracht
sein, wie ich es mir denke? Mit einem Wort, ich bin au-
genblicklich im Begriff, fünfzig Personen in Lebensgröße mit
Landschaft und Himmel als Hintergrund fertigzumachen, auf
einer 20 Fuß breiten und 10 Fuß hohen Leinwand. Das
ist, um aus der Haut zu fahren. Sie können sich denken, daß
ich die Augen ordentlich aufmachen muß...

... Es ist schwer, recht zu tun, und man kann seltsam belohnt
werden, wenn man Ehrbarkeit, Aufopferung und Uneigen-
nützigkeit dem selbstsüchtigen Gange der Gesellschaft ent-
gegensetzt. Man hat mich geplündert, ruiniert, verleumdet,
durch die Straßen von Paris, von Versailles geschleppt, gehöhnt
mit Gemeinheiten und Schmähungen. Ich verkam in den
Zellengefängnissen, in denen man den Verstand und die Kör-
perkräfte verliert. Ich habe auf dem Erdboden geschlafen,
aufgestapelt mit der Kanaille im Ungeziefer, hin und her
transportiert von Gefängnis zu Gefängnis, in Hospitälern, mit
Sterbenden um mich herum, in Zellenwagen, in Abteilungen,
wo man den Körper nicht hineinzwängen kann, das Gewehr
oder den Revolver auf der Brust, vier Monate lang... Um
das Elend voll zu machen, gehen wir in diesem Augenblick
aus den Händen der Republikaner vom 4. September in die
der rachedürstenden Bonapartisten über, die sich heimlich der
Gewalt bemächtigen. Mit einem Wort ist es unmöglich zu
beschreiben, was vorgeht. Ich weiß nicht, ob Frankreich noch
einmal die Schmach einer neuen Napoleonischen Herrschaft
erleiden wird. Das wäre, um aus dem Lande zu gehen und
Schweizer zu werden.

Ja, lieber Freund, ich hoffe mein Leben lang meiner Kunst
zu leben, ohne mich je auch nur um einen Strich von meinen
Grundsätzen entfernt zu haben, ohne einen einzigen Augen-
blick an meinem Gewissen zum Lügner geworden zu sein,
sogar ohne auch nur so viel, wie man mit einer Hand zudek-
ken kann, gemalt zu haben, irgend jemandem zu Liebe, oder

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