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quellen der frühmittelalterlichen Kunst hingewiesen: Byzanz. Eine
präzise Ableitung wurde aber kaum versucht. Meist verglich man
das Gerokreuz, ein Werk des zehnten Jahrhunderts, mit byzantini-
schen Kreuzigungsdarstellungen des elften oder gar des zwölften
Jahrhunderts, wobei man wie selbstverständlich eine Konstanz des

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byzantinischen Kruzifixtyps voraussetzte .

Auch die mittelbyzantinische Kunst stellt den Gekreuzigten tot
dar - aber wie anders als die ottonische Kunst. Beim Gerokreuz
ist Jesus tot zusammengesunken. In Byzanz wird, wie die Mosaiken
von Daphni und Hosios Lukas (Abb.146,147) lehren, der Tote in
schönlinigen Kurven gleichsam vor dem Kreuze ausgebreitet. Er be-
wahrt "Haltung". Besonders deutlich wird der Unterschied an der
Stellung des Hauptes. In Daphni und Hosios Lukas legt es sich auf
die rechte Schulter, das Gesicht bleibt in der Bildebene. Beim
Gerokreuz ist der Kopf nach vom auf die Brust gesunken.

Das gleiche Thema - der tote Christus am Kreuz - wird durch die
Verschiedenheit der Formung zugleich anders gedeutet. Die byzan-
tinischen Mosaiken lassen noch viel spüren von der Hoheit des
Gottmenschen. Im Gerokreuz wird uns der tote Mensch Jesus vor Au-
gen gestellt.

Der tote Christus am Kreuz ist ein Thema, das die altchristli-
che Kunst, soweit sie uns überliefert ist, noch nicht kennt.

Dort wird der Gekreuzigte, um nur die wichtigsten Beispiele anzu-
führen, in Orantenhaltung am Kreuze stehend (Holztür von S. Sa-
bina) oder hoch aufgereckt gleichsam am Kreuze schwebend (Londo-
ner Passionstäfelchen Abb.119, Kreuzigungsminiatur im Rabulas-
codex Abb.120) dargestellt. Uberall sind die Augen Christi offen -
die altchristliche Kunst zeigt uns den lebenden Herrn am Kreuz,
den Triumphator über den Tod.

Wann und wo kommt die Darstellung des toten Gekreuzigten auf?
Sind die byzantinische und die abendländische Form dieses Typs
unabhängig voneinander entstanden oder wie ist ihr Verhältnis
zueinander zu denken? Welche Gründe hat die Wandlung des Kruzi-
fixbildes? Diese Fragen sind in der bisherigen Literatur zwar
schon gestellt, aber sehr verschieden beantwortet worden.
 
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