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154 Spielhagen: Faust und Nathan.
der Kupplerin Martha zieht? Verschiedenheiten finden wir S. 13
trefflich angedeutet, nirgends aber eine auch nur scheinbare Ueber-
einstimmung.
Komisch ist die Zusammenstellung des Patriarchen und
des Mephistopheles. Dass zwischen einem Geistlichen vom
Kaliber des Patriarchen und dem Teufel des Volksglaubens Aehn-
lichkeit vorhanden ist, wird nicht bezweifelt werden können. Allein
auch hier wird die Aehnlichkeit wohl nicht anders sein, als wie
sie sich zwischen der Personifikation des bösen Princips und schlech-
ten Charakteren auch in anderen Stücken, wie in Franz Moor,
Richard III. u. s. w. nachweisen lässt. Das Charakteristische fehlt
auch hier.
Wenn es sich mit den die Helden der beiden Dramen um-
gebenden Personen so verhält, ist vielleicht die Uebereinstimmung
zwischen den beiden Helden selbst eine mehr kennzeichnende ? Auch
hier ist der Herr Verf. glücklicher in der Entwicklung der Unter-
schiede, als der Berührungspunkte, die, wie die Unterschiede,
charakteristisch d. h. wesentlich von allen andern Dichtungen unter-
scheidend sein müssen. Wenn der Herr Verf. »im ganzen Umfange
derPoösie« nur diese zwei Gestalten, Nathan und Faust findet,
welche ein »so gleicher, bestrickender Zauber umfliesst«, so ist ein
aus subjectiver Stimmung, aus dem Eindruck einer Dichtung her-
vorgegangener Gemüthszustand unmöglich als ein charakteristischer
Uebereinstimmungspunkt anzunehmen. Auch andere Dichtungen der
Griechen und Römer, in neuerer Zeit Shakespeares, und selbst Dich-
tungen Schiller’s und Göthe’s (wir nennen Wallenstein, Teil, Tasso,
und von Shakespeare vor Allem Hamlet) rufen in uns ähnliche
Stimmungen hervor, ja, was die Ursprünglichkeit der dichterischen
Schöpfungskraft betrifft, übertreffen viele dramatische Dichtungen
Shakespeares die höchsten Leistungen der neueren Klassiker. Der
Herr Verf. gesteht selbst zu, dass er »im ganzen Umfange der
Poäsie« keine zwei Gestalten finden kann, »welche in Allem, in
jedem Gedanken, der durch ihre Seele zieht, in jedem Ge-
fühl, das ihr Herz erfüllt, in jedem Wort, das aus ihrem
Munde geht, in jeder Miene, in jedem Blick, in Haltung
und Bewegung so verschieden wären.« Treffend wird
S. 16 diese Verschiedenheit nachgewiesen. Welches ist aber das
kennzeichnende Uebereinstimmungsmoment dieser beiden in Allem,
in jedem Gedanken, Gefühl und Wort, in jeder Miene, Haltung und
Bewegung, in jedem Blick verschiedenen Helden ? In der »straffsten
Spannung der Gegensätze«, sagt der Herr Verf. S. 16, »liegt ge-
nau der Berührungs- und Vereinigungspunkt.« Die Dramen »schei-
nen durch eine Weltweite getrennt« , sie gehören aber »in ihrem
tiefsten Grunde zusammen, wie der Schmetterling zur Cchrysalide.
In Faust wird »das Räthsel aufgegeben, in Nathan gelöst.« Faust
kann — das ist der Gedanke des Herrn Verf. — keinen andern
Weg in der Vollkraft seiner Entwickelung nehmen, als den, sich
 
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