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Nr. 30. HEIDELBERGER 1867.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Friedrich von Gentz: ein Beitrag zur Geschichte Oesterreichs
im neunzehnten Jahrhundert mit Benutzung handschriftlichen
Materials von Dr. K ar l M endelssohn-B artholdy. Leip-
zig, Verlag von 8. Hirzel 1867. VIII und 126 8. in gr. 8.
Die vorstehende Schrift ist wohl geeignet, die ungetheilte Auf-
merksamkeit Aller derer in Anspruch zu nehmen, welche an der
Geschichte unseres Vaterlandes in der ersten Hälfte dieses Jahr-
hunderts ein Interesse nehmen. Denn unter den in die Geschicke
dieser Periode eingreifenden Persönlichkeiten gibt es kaum eine,
über welche das Urtbeil so sehr schwankt, wie über den Staats-
mann , der den Gegenstand dieser monographischen Darstellung
bildet. Wenn ein Gervinus in Gentz nur eine »feile Bedienten-
seele« zu sehen glaubte, so urtheilte Stein noch härter: ihm war
Gentz ein Mensch mit verfaultem Herzen und verbranntem Ge-
hirn ; W. v. Humboldt fand in Gentz einen Windbeutel, der Jeder-
mann die Cour mache; endlich Rüge und die Halle’schen Jahr-
bücher sahen in Gentz das inkarnirte Princip der Genusssucht, den
fleischgewordenen Geist der Lucinde. Auf der andern Seite musste
es auffallen, dass ein sonst so strenger Kritiker, wie Varnhagen
über Gentz ein so überaus mildes Urtbeil fällte, dass Prokesch von
Osten sogar einen Charakter von antiker Erhabenheit aus ihm
machte, und noch neuerdings die Treue, die Einheit der Gesinnung,
welche überall durchschimmere, so wie die Umwandelbarkeit an
Gentz’ Grundsätzen anpreist. Eben so bemerkenswerth erscheint
es, dass alle die, welche persönlich mit Gentz in Berührung kamen,
von ihm bezaubert wurden, und überhaupt das Andenken an seine
liebenswürdigen Eigenschaften unter all’ seinen zahlreichen Freun-
den fortlebte. Einen solchen, Mann, der- unleugbar auf die Ent-
wicklung der deutschen Geschicke fördernd wie hemmend einge-
wirkt hat, näher zu kennen lernen, ein sicheres Urtheil über ihn
zu gewinnen, lohnt sich wohl der Mühe. Der Verf. dieser Schrift
hat nach den im Druck vorliegenden Quellen, so wie nach andern
ungedruckten Quellen, welche ihm die mit aller Liberalität geöffne-
ten Archive des österreichischen Kaiserstaates boten, es unternom-
men diese Aufgabe zu lösen, und in strengem Anhalt an die Quellen
und richtiger Würdigung der Verhältnisse, ein Charakterbild zu
entwerfen, das mitten unter diesen so entgegengesetzten Urtheilen
den richtigen Weg zu finden, hier die wahre Mitte einzuhalten
weiss, und dadurch den Leser zu einer richtigen Auffassung des
Charakters, und damit auch zu einem richtigen Urtheil über den Mann
LIX. Jahrg. 6. Heft. 3Q
 
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