Spielhagen: Faust und Nathan. 158
zu einem Nathan zu gestalten. »Vom Himmel durch die Welt zur
Hölle« ist das Losungszeichen der Sage. So spricht auch der
Theaterdirektor im Vorspiel zum ersten Theil des Göthe’sehen Faust:
»Vorwärts mit bedächt’ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle!«
Die Entwickelung Faust’s als des Repräsentanten der Menschen-
natur in ihrem Hoffen, Ahnen, Streben und Irren, Zweifeln und
Verzweifeln, in ihrem Falle und ihrer Läuterung darf aber nicht
nach der Idee einer starren befangenen Dogmatik oder der dogma-
tischen Faustfabel mit der Höllenfahrt schliessen. Das Losungs-
zeichen der Menschheit ist: Aus der Nacht zum Licht, aus der
Hölle durch die Welt zum Himmel. Auf diesem Wege aber wird
aus Faust ein Nathan. Wir müssen der »aufsteigenden Linie«
folgen. Sie ist »in Wirklichkeit zwar der unendlich schwierigere
mühevollere, für die rückschauende Betrachtung aber bei Weitem
übersichtlichere Theil des Weges« (S. 21). Auch das »Judenthum«
wird zum Berührungspunkt gemacht, wie wohl Faust von einem
Juden so wenig an sich hat, als Nathan, wenn gleich letzterer
wenigstens dem Namen oder der äussern Schablone nach als Jude
gilt. Faust kann nämlich »nicht leben, weil er es seinem Hoch-
muth nicht abringen kann, nur ein Mensch unter Menschen zu
sein.« Das führt den Herrn Verf. auf Ahasver, den ewigen
Juden, der »nicht sterben kann, weil er des Menschen Sohn von
seiner Thüre gestossen und mit des Menschen Sohn die Liebe, die
nicht hoffährtig ist und Alles duldet.« »Ihre (Fausts und Ahasvers) hof-
fährtige, unduldsame, hochmüthige Lieblosigkeit, heisst es S. 22 weiter,
das ist eben ihre Unseligkeit. Nur die Liebe kann sie retten. Das
»Ewig-Weibliche«, das heisst, die Liebe ziehet den Faust hinan,
hinauf in den Himmel. Nur die Liebe kann den Ahasver erlösen;
Nathan ist der erlöste Ahasver, der sich selbst erlöst hat.« Das
ist’s ja eben. Ahasver ist nicht mehr Ahasver, sobald er Nathan
ist, so wenig als Nathan jemals Ahasver sein kann. Man kann
den Ahasver nicht als den Embryo des Nathan bezeichnen; denn
aus einem Ahasver kann kein Nathan werden; darum ist auch
jener nach der Sage »der ewige Jude.« Aus Ahasver kann so
wenig Nathan werden, als aus dem thalmudistischen Judenthum
eine reine Philosophie; denn letztere ist erst dann da, wenn erste-
res, so wie jedes auf blinden Auctoritätsglauben gestützte Kirchen-
system, vollständig negirt ist. Gerade so verhält es sich mit Faust.
Wenn Faust Nathan ist, ist er eben nicht mehr Faust. Der kranke
Weltschmerz des letzteren gebiert die heitere Lebensanschauung des
ersten nicht. Der Herr Verf. denkt sich dabei immer nur Faust,
wie er in seinem Streben in bestimmten Scenen des ersten Theiles
dargestellt wird. Man muss sich aber, wenn es sich um die Faust-
dichtung zum Gebrauche einer Parallele handelt, nicht eine Seite
Faust’s, sondern den ganzen Faust, wie er im ersten und zweiten
zu einem Nathan zu gestalten. »Vom Himmel durch die Welt zur
Hölle« ist das Losungszeichen der Sage. So spricht auch der
Theaterdirektor im Vorspiel zum ersten Theil des Göthe’sehen Faust:
»Vorwärts mit bedächt’ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle!«
Die Entwickelung Faust’s als des Repräsentanten der Menschen-
natur in ihrem Hoffen, Ahnen, Streben und Irren, Zweifeln und
Verzweifeln, in ihrem Falle und ihrer Läuterung darf aber nicht
nach der Idee einer starren befangenen Dogmatik oder der dogma-
tischen Faustfabel mit der Höllenfahrt schliessen. Das Losungs-
zeichen der Menschheit ist: Aus der Nacht zum Licht, aus der
Hölle durch die Welt zum Himmel. Auf diesem Wege aber wird
aus Faust ein Nathan. Wir müssen der »aufsteigenden Linie«
folgen. Sie ist »in Wirklichkeit zwar der unendlich schwierigere
mühevollere, für die rückschauende Betrachtung aber bei Weitem
übersichtlichere Theil des Weges« (S. 21). Auch das »Judenthum«
wird zum Berührungspunkt gemacht, wie wohl Faust von einem
Juden so wenig an sich hat, als Nathan, wenn gleich letzterer
wenigstens dem Namen oder der äussern Schablone nach als Jude
gilt. Faust kann nämlich »nicht leben, weil er es seinem Hoch-
muth nicht abringen kann, nur ein Mensch unter Menschen zu
sein.« Das führt den Herrn Verf. auf Ahasver, den ewigen
Juden, der »nicht sterben kann, weil er des Menschen Sohn von
seiner Thüre gestossen und mit des Menschen Sohn die Liebe, die
nicht hoffährtig ist und Alles duldet.« »Ihre (Fausts und Ahasvers) hof-
fährtige, unduldsame, hochmüthige Lieblosigkeit, heisst es S. 22 weiter,
das ist eben ihre Unseligkeit. Nur die Liebe kann sie retten. Das
»Ewig-Weibliche«, das heisst, die Liebe ziehet den Faust hinan,
hinauf in den Himmel. Nur die Liebe kann den Ahasver erlösen;
Nathan ist der erlöste Ahasver, der sich selbst erlöst hat.« Das
ist’s ja eben. Ahasver ist nicht mehr Ahasver, sobald er Nathan
ist, so wenig als Nathan jemals Ahasver sein kann. Man kann
den Ahasver nicht als den Embryo des Nathan bezeichnen; denn
aus einem Ahasver kann kein Nathan werden; darum ist auch
jener nach der Sage »der ewige Jude.« Aus Ahasver kann so
wenig Nathan werden, als aus dem thalmudistischen Judenthum
eine reine Philosophie; denn letztere ist erst dann da, wenn erste-
res, so wie jedes auf blinden Auctoritätsglauben gestützte Kirchen-
system, vollständig negirt ist. Gerade so verhält es sich mit Faust.
Wenn Faust Nathan ist, ist er eben nicht mehr Faust. Der kranke
Weltschmerz des letzteren gebiert die heitere Lebensanschauung des
ersten nicht. Der Herr Verf. denkt sich dabei immer nur Faust,
wie er in seinem Streben in bestimmten Scenen des ersten Theiles
dargestellt wird. Man muss sich aber, wenn es sich um die Faust-
dichtung zum Gebrauche einer Parallele handelt, nicht eine Seite
Faust’s, sondern den ganzen Faust, wie er im ersten und zweiten