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P. Janet: Le cerveau et la pens6e. 267
man mit Etwas denken kann, was nicht wir selbst sind? Das
Denkende, sagt man, und das, womit es denkt, muss Ein und
Dasselbe sein. Entweder kann das Hirn nicht zum Denken dienen,
oder es ist selbst ein Denkendes. Man kann ein Instrument einer
Thätigkeit, aber nicht ein Instrument des Gedankens begreifen.
Aber, wenn dieses so wäre, wie könnte dieser reine Gedanke von
einem Wellenschläge des Blutes oder von einem Falle abhängen?
Immerhin muss man, selbst, wenn man angeborene Ideen annähme
oder mit Kant ursprüngliche subjective Stammformen des Denkens,
zugeben, dass ein grosser Theil unserei' Ideen durch eine äussere
Einwirkung entsteht. Die äussere Welt muss auf die Seele wirken,
damit sie denke (S. 176). Eine Vermittlung zwischen der äussern
Welt und der Seele ist nothwendig. Diese Vermittlung ist das
Nervensystem, und da alle Empfindungen. die uns auf verschiede-
nen Wegen zukommen, sich zur Ermöglichung des Gedankens ver-
einigen müssen, so ist ein Mittelpunkt des Nervensystems, das
Gehirn, nothwendig. Es ist der Mittelpunkt für die Wirkungen
der äussern Dinge auf die Seele und dieser auf jene. Die Gesetze
der empirischen und sensualistischen Schule bleiben im Allgemei-
nen wahr, dass die Seele nicht ohne Bilder oder Zeichen denkt.
Die Bilder oder Zeichen sind die Bedingungen für die wirkliche
Seelentbätigkeit. Die Wirkungen der äussern Dinge auf das Ge-
hirn müssen in diesem auf irgend eine Weise aufbewahrt werden,
um in der Seele empfindbare Bilder zu erwecken, ohne welche der
Gedanke unmöglich ist. Daraus folgt, dass das Hirn das Organ
der Einbildungskraft und des Gedächtnisses ist, welche unerläss-
liche Hülfsmittel für die Intelligenz sind. Der Mensch kann darum
in dem wirklichen Zustande, in welchem er sich befindet, nicht
ohne Hirn denken. Der Gedanke geht hervor aus dem Zusammen-
treffen der Kräfte des Gehirnes, welche die äussern Einwirkungen
festhalten, und der innern oder Denkkraft, dem Einheitsprincip,
dem einzig möglichen Mittelpunkt des Einzelbewusstseins. In die-
sem Sinne kann man den Gedanken eine Resultante nennen; denn
er existirt nur unter der Bedingung, dass sich das Gehirnsystem
in einem gewissen Zustande des Gleichgewichts und der Harmonie
befindet. Da wirft sich von selbst die Frage auf (S. 177), was
einst aus der Seele wird, »wenn der Tod nicht nur die Organe
des vegetativen Lebens, sondern auch die der Beziehung zu andern
Dingen, der Empfindungsfähigkeit, des Willens, Gedächtnisses, jene
für jedes Bewusstsein und jeden Gedanken unerlässlichen Bedin-
gungen, auflöst.« »Ohne Zweifel, sagt der Herr Verf. S. 178, damit
ist die Seele selbst noch nicht zerstört, sie behält immer noch die
Kraft oder das Vermögen zu denken; aber was wird aus dem Ein-
zelgedanken, aus dem von Bewusstsein und Erinnerung begleiteten
Gedanken, aus dem Gedanken des Ichs, der allein die menschliche
Persönlichkeit ausmacht, an welchem unser Egoismus haftet, als
wäre das Ich das einzige ‘ Wesen, an dessen Unsterblichkeit uns
 
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