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Müller: Reise der Novara; linguistischer Theil.
scheinlichkeit hat die Ansicht von Max Müller, der die malayischen
Sprachen für Verwandte seines allumfassenden turanischen Sprach-
stammes, und insonderheit der Tai-Sprachen ausgibt. Nach einigen
kurzen Bemerkungen über den allgemeinen Charakter der malayo-
polynesischen Sprachen und die Art ihres Zusammenhanges unter
einander, und nach einem Ueberblick über ihre geographische Ver-
breitung nebst Angabe der bemerkbarsten Literaturwerke in den
ausgebildetsten derselben, gibt der Verfasser eine Classification,
in welcher er drei grosse Abtheilungen macht, nämlich malayische,
polynesische und melanesische, welche wiederum in mehrere Gruppen
zerfallen. Seine Uebersicht ist folgende: I. Malayische Sprachen.
A. Tagalische Gruppe. 1. Tagala, Bisaya, Pampanga, Ilaca,
Bicol, Vbanag, lengua Zebuana (auf den Philippinen). 2. Formosa.
з. Marianen. 4. Madagaskar. B. Malayo-j avanische Gruppe.
Malayisch, Javanisch, Sundaisch, Battak, Mankasarisch, Bugis,
Dajak. II. Polynesische Sprachen. Samoa, Tonga, Maori (Neusee-
land), Rarotonga, Tahiti, Haw’ai-(Sandwich-)Inseln, Marquesas-Inseln
и. s. w. III. Melanesische Sprachen. Fidschi, Annatom, Erromango,
Tana, Mallikolo, Mare, Lifu, Baladea, Bauro, Guadalcanar (Neue
Hebriden, Neu Caledonien) u. s. w. Die Classification stellt eine
Stufenleiter dar, auf deren oberster Stufe sich die formenreichsten,
auf deren unterster sich die einfachsten Sprachen befinden. Wollte
man, meint der Verfasser, die auf andern Sprachgebieten gewon-
nenen Ueberzeugungen hieher übertragen, so müsste man, wie z. B.
unter den indoeuropäischen Sprachen das Sanskrit oder unter den
semitischen das Arabische den ursprünglichen Sprachzustand dieser
Familien am reinsten bewahrt hat und die andern durch Zertrüm-
merung der Formen nach und nach von diesem Zustand abgekom-
men sind, hier zu der Ansicht verleitet werden, dass die tagalische
Gruppe den ursprünglichen Sprachzustand am getreuesten reprä-
sentire, die malayo-javanischen und die polynesisch-melanesischen
Sprachen dagegen successive eine Degeneration des alten Sprach-
typus darstellen. Gegen diese Ansicht verweist der Verfasser auf
eine Erscheinung bei den ural-altaischen Sprachen, bei welchen,
entgegengesetzt der absteigenden Entwicklung bei Indoeuropäern
und Semiten, nach den Ansichten der bedeutendsten Forscher ein
aufsteigender Entwicklungsgang stattgefunden hat. So stellen die
polynesischen Sprachen mit ihrem einfachen Baue den ursprüng-
licheren Zustand der malayo-polynesischen Sprachclasse dar, wäh-
rend die malayo-javanischen und Tagala - Sprachen dagegen als
Weiterentwicklungen erscheinen, eine Ansicht, die auch W. v. Hum-
boldt theilt; und zwar scheinen die beiden letzteren ursprünglich
einen gemeinsamen Entwicklungsgang durchgemacht und sich zu
der in den Tagala-Sprachen hervortretenden Fülle erhoben zu haben;
von dieser Fülle büssten die malayo-javanischen nach und nach
vieles wieder ein, während die tagalischen dieselbe ungeschmälert
beibehielten. Die Zeit, in welcher die Malayo-Polynesier in die
Müller: Reise der Novara; linguistischer Theil.
scheinlichkeit hat die Ansicht von Max Müller, der die malayischen
Sprachen für Verwandte seines allumfassenden turanischen Sprach-
stammes, und insonderheit der Tai-Sprachen ausgibt. Nach einigen
kurzen Bemerkungen über den allgemeinen Charakter der malayo-
polynesischen Sprachen und die Art ihres Zusammenhanges unter
einander, und nach einem Ueberblick über ihre geographische Ver-
breitung nebst Angabe der bemerkbarsten Literaturwerke in den
ausgebildetsten derselben, gibt der Verfasser eine Classification,
in welcher er drei grosse Abtheilungen macht, nämlich malayische,
polynesische und melanesische, welche wiederum in mehrere Gruppen
zerfallen. Seine Uebersicht ist folgende: I. Malayische Sprachen.
A. Tagalische Gruppe. 1. Tagala, Bisaya, Pampanga, Ilaca,
Bicol, Vbanag, lengua Zebuana (auf den Philippinen). 2. Formosa.
з. Marianen. 4. Madagaskar. B. Malayo-j avanische Gruppe.
Malayisch, Javanisch, Sundaisch, Battak, Mankasarisch, Bugis,
Dajak. II. Polynesische Sprachen. Samoa, Tonga, Maori (Neusee-
land), Rarotonga, Tahiti, Haw’ai-(Sandwich-)Inseln, Marquesas-Inseln
и. s. w. III. Melanesische Sprachen. Fidschi, Annatom, Erromango,
Tana, Mallikolo, Mare, Lifu, Baladea, Bauro, Guadalcanar (Neue
Hebriden, Neu Caledonien) u. s. w. Die Classification stellt eine
Stufenleiter dar, auf deren oberster Stufe sich die formenreichsten,
auf deren unterster sich die einfachsten Sprachen befinden. Wollte
man, meint der Verfasser, die auf andern Sprachgebieten gewon-
nenen Ueberzeugungen hieher übertragen, so müsste man, wie z. B.
unter den indoeuropäischen Sprachen das Sanskrit oder unter den
semitischen das Arabische den ursprünglichen Sprachzustand dieser
Familien am reinsten bewahrt hat und die andern durch Zertrüm-
merung der Formen nach und nach von diesem Zustand abgekom-
men sind, hier zu der Ansicht verleitet werden, dass die tagalische
Gruppe den ursprünglichen Sprachzustand am getreuesten reprä-
sentire, die malayo-javanischen und die polynesisch-melanesischen
Sprachen dagegen successive eine Degeneration des alten Sprach-
typus darstellen. Gegen diese Ansicht verweist der Verfasser auf
eine Erscheinung bei den ural-altaischen Sprachen, bei welchen,
entgegengesetzt der absteigenden Entwicklung bei Indoeuropäern
und Semiten, nach den Ansichten der bedeutendsten Forscher ein
aufsteigender Entwicklungsgang stattgefunden hat. So stellen die
polynesischen Sprachen mit ihrem einfachen Baue den ursprüng-
licheren Zustand der malayo-polynesischen Sprachclasse dar, wäh-
rend die malayo-javanischen und Tagala - Sprachen dagegen als
Weiterentwicklungen erscheinen, eine Ansicht, die auch W. v. Hum-
boldt theilt; und zwar scheinen die beiden letzteren ursprünglich
einen gemeinsamen Entwicklungsgang durchgemacht und sich zu
der in den Tagala-Sprachen hervortretenden Fülle erhoben zu haben;
von dieser Fülle büssten die malayo-javanischen nach und nach
vieles wieder ein, während die tagalischen dieselbe ungeschmälert
beibehielten. Die Zeit, in welcher die Malayo-Polynesier in die