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310 Stobbe, Weyden u. Kayserling: Geschichte der Juden.

geschmälert sahen. Die Wuth des Volkes wurde durch die Predig-
ten der Flagellanten und einige unter der Folter erpressten Ge-
ständnisse immer mehr gesteigert, und eine Judengemeinde nach
der andern wurde hingeschlachtet oder gab sich selbst den Tod,
zuletzt auch die von Strassburg und Cöln, welche der Rath längere
Zeit gegen den raub- und mordlustigen Pöbel geschützt hatte. Au
Bestrafung der Schuldigen dachte man kaum. Fast überall wurden
von dem Kaiser und den Landesherrn Amnestien ertheilt. An man-
chen Orten hatte der Kaiser schon zum voraus für alle Verbrechen
die gegen Juden begangen würden, Straflosigkeit verkündet, oder
hatte er Dispositionen getroffen, wie es mit dem Nachlass und dem
herrenlos gewordenen Gemeindegut der Juden gehalten werden
sollte. Von nun an bis zur Zeit der Reformation dauern die Juden-
verfolgungen in Deutschland fort, wenn auch nicht mehr so allge-
mein und nicht mehr in so caunibalischer Weise. Sie werden bald
hier bald dort des Landes verwiesen und ihrer Güter beraubt. Fast
überall wurde ihnen das Recht der Heimath und Wohnung genom-
men, an vielen Orten durften sie sich gar nicht mehr niederlassen,
an andern wurden sie nur für wenige Jahre gegen hohe Steuern
aufgenommen. Viele wanderten daher nach Polen, Litthauen und
Russland aus, wo sie freilich unter vielen Beschränkungen sesshaft
werden konnten.
Wir sind bisher Stobbe gefolgt und haben nur hie und da
Einzelnbeiten aus Weyden hinzugefügt, nach dem wir nun, da
Stobbe nur die Geschichte des Mittelalters bearbeitet hat, in Kürze
die weitern Zustände der Juden in Deutschland schildern wollen.
Mit der Reformation kam anfänglich eine Zeit der Ruhe, man
war zu sehr mit der neuen Lehre beschäftigt, um sich viel um
das Schicksal der Juden kümmern zu können. Luther selbst trat
im Beginne seiner reformatorischen Thätigkeit für die Juden in
die Schranken und seinem Beispiele folgten andere einzelne christ-
liche Stimmen. Im Jahr 1523 schrieb er: »Es wäre meine Bitte
und mein Rath, dass man säuberlich mit den Juden umginge und
aus der Schrift sie unterrichtete; so möchten mehr etliche herbei-
kommen. Aber nun wir sie mit Gewalt treiben und gehen mit
Lügenentscheidungen um, geben ihnen Schuld, sie müssten Christen-
blut haben, damit sie nicht stinken, und was des Narrenwerks
noch mehr ist, dass man sie gleich den Hunden hält, dass man
ihnen verbeut zu arbeiten und zu hantiren und andere menschliche
Gemeinschaft zu haben, da man sie zu wuchern treibt, was soll
sie da bessern? Will man ihnen helfen, so muss man nicht des
Pabstes, sondern der christlichen Liebe Gesetz an ihnen üben und
sie freundlich annehmen, mit lassen werben und arbeiten, damit
sie Ursache und Raum gewinnen, bei uns und um uns zu sein,
unsere christliche Lehre und Leben zu hören und zu sehen. Ob
etliche halsstarrig sind, was liegt darau ? sind wir doch auch nicht
alle gute Christen.« Später änderte aber der grosse Reformator
 
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