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Mendelssohn-Bartholdy: Friedrich von Gentz.
Politik in der orientalischen Frage an der Hand authentischer Ur-
kunden beleuchtet, weshalb wir insbesondere auch darauf aufmerk-
sam machen. Der Verf. zeigt nämlich, wie in Wien der Gedanke
der Legitimität allerdings überwog, wie Metternich vor Allem in
dem Sultan den legitimen Herrscher erkannte, und das auf Erobe-
rung beruhende, durch Verträge besiegelte Recht der Türken ver-
theidigte: in so weit stimmt der Verf. im Ganzen wohl mit den
Resultaten überein, zu welchen der neueste Geschichtschreibei' die-
ser Ereignisse mittelst Benutzung der Akten des preussischen
Staatsarchives gelangt ist; allein gestützt auf die in den Wiener
Archiven befindlichen, bisher noch nicht benutzten Akten ist der
Verf. in der Lage noch etwas weiter zu gehen; er hebt hier auch
die verständige Seite der Metternich’schen Politik hervor, indem
er nachweist, dass die von allen liberalen Blättern damals so hef-
tig angegriffenen österreichischen Staatsmänner, Metternich und
Gentz, doch wieder die Ersten gewesen sind, welche rein und voll
die Unabhängigkeit Griechenlands verlangten: es ist diess ein Punkt,
der bisher noch nie so klar und bestimmt hervorgetreten ist.
Metternich sprach sich schon Tatitschew gegenüber 1821 und später
1825 entschieden in diesem Sinn aus, freilich fasste er diese Un-
abhängigkeit Griechenlands nur als ein nothwendiges Uebel auf;
jeder andere Ausweg wäre ihm lieber gewesen, ja er hätte es am
liebsten • gesehen, wenn sich unter den Griechen eine monarchische
Partei gegründet hätte, die sich für Restauration, für Rückkehr
unter das Scepter des Sultans ausgesprochen (S. 89): da diess nun
nicht geschah, so erschien ihm die Unabhängigkeit unter andern
Uebeln noch als das Erträglichste. Der Verf. findet das Irrige die-
ser Politik »in der hartnäckigen Anwendung abstrakter Principien
auf eine gegebene Thatsache des öffentlichen Lebens«, er findet,
dass Gentz und Metternich allzusehr eine Politik der Principien,
aber allzuwenig eine Politik der Interessen verfolgt haben, und in
diesem Sinne schreibt er S. 103 ff.
»Gewiss durfte man auch in den orientalischen Dingen den
Widerstreit der Principien entdecken, der seit 1789 die europäische
Geschichte bewegt und bestimmt hat. Statt sich aber der Furcht
hinzugeben, dass die demokratischen Elemente neue Nahrung aus
jenem Konflikt ziehen und danach streben würden, Europa in all-
gemeinen Brand zu setzen, hätte man andere positive Kombinatio-
nen ins Auge fassen können. Statt die orientalische Frage ein-
seitig aus dem starren Gesichtspunkt des Erhaltungsprincips zu
betrachten, hätte man versuchen müssen, sie mit Rücksicht auf die
lebendigen österreichischen Interessen zu lösen. Alles hing davon
ab, ob die österreichischen Staatslenker ihre Aufgabe höher fass-
ten, als dass sie blosse Legitimität, Erhaltung des Bestehenden und
Abwehr des Fortschritts auf ihre Fahne schrieben. Tradition und
natürliche geographische Verhältnisse weisen dem Kaiserstaat die
Rolle des Völkerführers an der östlichen Donau, sie weisen ihm
Mendelssohn-Bartholdy: Friedrich von Gentz.
Politik in der orientalischen Frage an der Hand authentischer Ur-
kunden beleuchtet, weshalb wir insbesondere auch darauf aufmerk-
sam machen. Der Verf. zeigt nämlich, wie in Wien der Gedanke
der Legitimität allerdings überwog, wie Metternich vor Allem in
dem Sultan den legitimen Herrscher erkannte, und das auf Erobe-
rung beruhende, durch Verträge besiegelte Recht der Türken ver-
theidigte: in so weit stimmt der Verf. im Ganzen wohl mit den
Resultaten überein, zu welchen der neueste Geschichtschreibei' die-
ser Ereignisse mittelst Benutzung der Akten des preussischen
Staatsarchives gelangt ist; allein gestützt auf die in den Wiener
Archiven befindlichen, bisher noch nicht benutzten Akten ist der
Verf. in der Lage noch etwas weiter zu gehen; er hebt hier auch
die verständige Seite der Metternich’schen Politik hervor, indem
er nachweist, dass die von allen liberalen Blättern damals so hef-
tig angegriffenen österreichischen Staatsmänner, Metternich und
Gentz, doch wieder die Ersten gewesen sind, welche rein und voll
die Unabhängigkeit Griechenlands verlangten: es ist diess ein Punkt,
der bisher noch nie so klar und bestimmt hervorgetreten ist.
Metternich sprach sich schon Tatitschew gegenüber 1821 und später
1825 entschieden in diesem Sinn aus, freilich fasste er diese Un-
abhängigkeit Griechenlands nur als ein nothwendiges Uebel auf;
jeder andere Ausweg wäre ihm lieber gewesen, ja er hätte es am
liebsten • gesehen, wenn sich unter den Griechen eine monarchische
Partei gegründet hätte, die sich für Restauration, für Rückkehr
unter das Scepter des Sultans ausgesprochen (S. 89): da diess nun
nicht geschah, so erschien ihm die Unabhängigkeit unter andern
Uebeln noch als das Erträglichste. Der Verf. findet das Irrige die-
ser Politik »in der hartnäckigen Anwendung abstrakter Principien
auf eine gegebene Thatsache des öffentlichen Lebens«, er findet,
dass Gentz und Metternich allzusehr eine Politik der Principien,
aber allzuwenig eine Politik der Interessen verfolgt haben, und in
diesem Sinne schreibt er S. 103 ff.
»Gewiss durfte man auch in den orientalischen Dingen den
Widerstreit der Principien entdecken, der seit 1789 die europäische
Geschichte bewegt und bestimmt hat. Statt sich aber der Furcht
hinzugeben, dass die demokratischen Elemente neue Nahrung aus
jenem Konflikt ziehen und danach streben würden, Europa in all-
gemeinen Brand zu setzen, hätte man andere positive Kombinatio-
nen ins Auge fassen können. Statt die orientalische Frage ein-
seitig aus dem starren Gesichtspunkt des Erhaltungsprincips zu
betrachten, hätte man versuchen müssen, sie mit Rücksicht auf die
lebendigen österreichischen Interessen zu lösen. Alles hing davon
ab, ob die österreichischen Staatslenker ihre Aufgabe höher fass-
ten, als dass sie blosse Legitimität, Erhaltung des Bestehenden und
Abwehr des Fortschritts auf ihre Fahne schrieben. Tradition und
natürliche geographische Verhältnisse weisen dem Kaiserstaat die
Rolle des Völkerführers an der östlichen Donau, sie weisen ihm