Marianne, Gräfin von der Leyen
111
wackerer Bauer aber widersetzte sieb, beschwor mich, zu ihm zurück-
zukehren, bis uns der Himmel einen anderen Gedanken eingäbe, und
ich trat auch diesen neuen Gang an. Wir kamen zu seiner Frau, die
mich mit Vergnügen aufnahm und mir neuerdings alle Sorgfalt, alle
Hilfe erwies, die nur in ihrer Macht stand, die mir aber auch nicht
verhehlte, dass man die Vorsicht der Geheimhaltung verdoppeln müsse,
denn meine Lage war durch die Verfolgung der Priester kritischer ge-
worden, weil sich mehrere in eben dies Dorf geflüchtet hatten. So
musste man wieder daran denken, aufzubrechen.
Aber ich fürchtete, von neuem in die Falle zu geraten, wenn ich
ein neues Asyl wählte. Die gute Frau vertraute, von meiner ungeheuren
Bedrängnis gerührt, mir an, ein Müller aus ihrer Nachbarschaft komme
täglich zu ihnen, um über mein Ergehen Nachrichten zu erfahren, am
Tage zuvor sei er zweimal gekommen und habe ihnen gesagt, er und
sein Weib würden ihr Leben hin geben, um mich zu retten,
er würde den Vorzug, mich wenn auch nur eine Nacht zu beherbergen,
mit viel Geld bezahlen. Diese rührende Erzählung ergänzte die Frau
damit, die Leute hätten keine Kinder und nicht viel Dienstleute auf
ihrer Mühle, die vor dem Dorfe Gersheim ’) liege; auf all das entschied
ich mich, hinzugehen. Um acht Uhr Abends setzten meine Gastgeber
und ich, immer noch als Bäuerin verkleidet, uns in Bewegung und nach
Verlauf von zwei Reisestunden trafen wir bei der berühmten Mühle ein,
die am Ufer der Blies liegt. Nachdem die neuen Wirte mich mit über-
strömendem Interesse und lauterster Anhänglichkeit empfangen hatten,
führten sie mich in eine leere Kammer hinter der ihrigen, von wo man
den Eingang zum Hause im Auge hatte; man wollte mich zu gleicher
Zeit mit dem tröstlichen Gedanken beruhigen, dass im Falle einer nächt-
lichen Überraschung der Müller mich durch eine Geheimthüre auf eine
kleine Insel in der Blies schaffen könnte, mit der man die Verbindung
verhindern würde. War dies auch in meinen Augen keine absolute
Sicherheit, so gab es doch einen Schatten von Ruhe für meine so un-
ruhevolle Seele und liess sie wenigstens einen Ausweg erhoffen, mich im
Falle eines Angriffs und Überfalls zu verbergen.
Derart habe ich einen Tag und zwei Nächte hindurch etwas Ruhe
gekostet; am zweiten Tage aber meldete mir die gute Frau des Müllers
einen jungen Mann an, der mich zu sprechen verlangte. Ich war dar-
über natürlich sehr erschreckt und fürchtete, mein Asyl sei entdeckt;
1) Drei und eine Viertelstunde südlich von Blieskastel.
111
wackerer Bauer aber widersetzte sieb, beschwor mich, zu ihm zurück-
zukehren, bis uns der Himmel einen anderen Gedanken eingäbe, und
ich trat auch diesen neuen Gang an. Wir kamen zu seiner Frau, die
mich mit Vergnügen aufnahm und mir neuerdings alle Sorgfalt, alle
Hilfe erwies, die nur in ihrer Macht stand, die mir aber auch nicht
verhehlte, dass man die Vorsicht der Geheimhaltung verdoppeln müsse,
denn meine Lage war durch die Verfolgung der Priester kritischer ge-
worden, weil sich mehrere in eben dies Dorf geflüchtet hatten. So
musste man wieder daran denken, aufzubrechen.
Aber ich fürchtete, von neuem in die Falle zu geraten, wenn ich
ein neues Asyl wählte. Die gute Frau vertraute, von meiner ungeheuren
Bedrängnis gerührt, mir an, ein Müller aus ihrer Nachbarschaft komme
täglich zu ihnen, um über mein Ergehen Nachrichten zu erfahren, am
Tage zuvor sei er zweimal gekommen und habe ihnen gesagt, er und
sein Weib würden ihr Leben hin geben, um mich zu retten,
er würde den Vorzug, mich wenn auch nur eine Nacht zu beherbergen,
mit viel Geld bezahlen. Diese rührende Erzählung ergänzte die Frau
damit, die Leute hätten keine Kinder und nicht viel Dienstleute auf
ihrer Mühle, die vor dem Dorfe Gersheim ’) liege; auf all das entschied
ich mich, hinzugehen. Um acht Uhr Abends setzten meine Gastgeber
und ich, immer noch als Bäuerin verkleidet, uns in Bewegung und nach
Verlauf von zwei Reisestunden trafen wir bei der berühmten Mühle ein,
die am Ufer der Blies liegt. Nachdem die neuen Wirte mich mit über-
strömendem Interesse und lauterster Anhänglichkeit empfangen hatten,
führten sie mich in eine leere Kammer hinter der ihrigen, von wo man
den Eingang zum Hause im Auge hatte; man wollte mich zu gleicher
Zeit mit dem tröstlichen Gedanken beruhigen, dass im Falle einer nächt-
lichen Überraschung der Müller mich durch eine Geheimthüre auf eine
kleine Insel in der Blies schaffen könnte, mit der man die Verbindung
verhindern würde. War dies auch in meinen Augen keine absolute
Sicherheit, so gab es doch einen Schatten von Ruhe für meine so un-
ruhevolle Seele und liess sie wenigstens einen Ausweg erhoffen, mich im
Falle eines Angriffs und Überfalls zu verbergen.
Derart habe ich einen Tag und zwei Nächte hindurch etwas Ruhe
gekostet; am zweiten Tage aber meldete mir die gute Frau des Müllers
einen jungen Mann an, der mich zu sprechen verlangte. Ich war dar-
über natürlich sehr erschreckt und fürchtete, mein Asyl sei entdeckt;
1) Drei und eine Viertelstunde südlich von Blieskastel.