Marianne, Gräfin von der Leyen
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Rendezvous vereinigte sich diese Familie mit dem übrigen Zirkel zum
Rate. Nach weislicher Rede und Gegenrede willigte man mit Einstimmig-
keit in die Entschliessung; der neuen Reise ging die Anfertigung einer
Toilette durch die wackeren Frauen für mich voran, dieselbe musste dem
Passe entsprechen, den sich der junge Mann aus Vorsicht verschafft hatte
und in dem ich als seine Mutter stand, die mit ihm nach Zweibrücken
gehe, um Leder zu kaufen.
Noch habe ich nicht gesagt, dass ich auf meiner ganzen Wanderung
keinen Sou bar in der Tasche hatte, etwas, was nicht wenig zur Ver-
legenheit und Peinlichkeit meiner Lage beitrug, was aber auch gleich-
zeitig Zeugnis für die Seelengüte und die Uneigennützigkeit Derjenigen
ablegt, die mir ebenso wichtige, wie für sie selbst gefährliche Dienste
erwiesen haben. Auch hier wollte der Müller Fürsorge treffen; er hot
mir Geld an, er zwang es mir auf, weil ich auf dem Wege Bedürfnisse
haben könnte; nicht wenig schreckte mich die Beschwerde, sechs tötliche
Stunden wandern zu müssen, aber es musste sein und obendrein auf weiten
Umwegen, um den französischen Vorposten zu entgehen. Ich verliess nun
um drei Uhr morgens diese gute Mühle, überschüttet von Segenswünschen
meiner Wirte, die mich dem Führer in rührendster Weise empfahlen.
Der Müller sagte ihm, gelänge die Reise, so würde er ihn
frühe oder spät gut belohnen, im gegenteiligen Falle
aber und wenn bei der mindesten Gefahr er mich nicht
zu ihm zurückbrächte, würde er sich an seiner Person zu
rächen wissen. Soviel Generosität und Tugend in diesem Stande
machte das Mass meiner Bewunderung und Dankbarkeit voll und erhob
meine Seele zu verjüngtem Mute; ebenso wuchs wieder mein Vertrauen
in die Vorsehung, die mich bisher in so bedenklicher Lage so sicht-
barlich geleitet hat, und ich betrachtete schon mit einer gewissen Zu-
versicht meinen neuen Führer als vom Himmel dazu ausersehen, meine
Leiden zu beenden. Meine Erwartung wurde nicht getäuscht. Er hat
mich schliesslich nach Zweibrücken gebracht, wo ich morgens bei be-
freundeten Damen anlangte. Dort habe ich seit lange zum ersten Male
wieder frei geatmet, wenn auch erschöpft von Müdigkeit von einem so
mühseligen Wege; was war das für ein gewagtes und ein beschwerliches
Unternehmen von zehn Abenteuertagen, einer gefährlicher als der andere!
Die Damen von Böhmer begleiteten mich auf den Karlsberg1). Der
1) Lustschloss des Herzogs von Zweibrücken bei Homburg, 1794 von den Fran-
zosen total zerstört.
NEUE HEIDELB. JAHRBUECHER IV.
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Rendezvous vereinigte sich diese Familie mit dem übrigen Zirkel zum
Rate. Nach weislicher Rede und Gegenrede willigte man mit Einstimmig-
keit in die Entschliessung; der neuen Reise ging die Anfertigung einer
Toilette durch die wackeren Frauen für mich voran, dieselbe musste dem
Passe entsprechen, den sich der junge Mann aus Vorsicht verschafft hatte
und in dem ich als seine Mutter stand, die mit ihm nach Zweibrücken
gehe, um Leder zu kaufen.
Noch habe ich nicht gesagt, dass ich auf meiner ganzen Wanderung
keinen Sou bar in der Tasche hatte, etwas, was nicht wenig zur Ver-
legenheit und Peinlichkeit meiner Lage beitrug, was aber auch gleich-
zeitig Zeugnis für die Seelengüte und die Uneigennützigkeit Derjenigen
ablegt, die mir ebenso wichtige, wie für sie selbst gefährliche Dienste
erwiesen haben. Auch hier wollte der Müller Fürsorge treffen; er hot
mir Geld an, er zwang es mir auf, weil ich auf dem Wege Bedürfnisse
haben könnte; nicht wenig schreckte mich die Beschwerde, sechs tötliche
Stunden wandern zu müssen, aber es musste sein und obendrein auf weiten
Umwegen, um den französischen Vorposten zu entgehen. Ich verliess nun
um drei Uhr morgens diese gute Mühle, überschüttet von Segenswünschen
meiner Wirte, die mich dem Führer in rührendster Weise empfahlen.
Der Müller sagte ihm, gelänge die Reise, so würde er ihn
frühe oder spät gut belohnen, im gegenteiligen Falle
aber und wenn bei der mindesten Gefahr er mich nicht
zu ihm zurückbrächte, würde er sich an seiner Person zu
rächen wissen. Soviel Generosität und Tugend in diesem Stande
machte das Mass meiner Bewunderung und Dankbarkeit voll und erhob
meine Seele zu verjüngtem Mute; ebenso wuchs wieder mein Vertrauen
in die Vorsehung, die mich bisher in so bedenklicher Lage so sicht-
barlich geleitet hat, und ich betrachtete schon mit einer gewissen Zu-
versicht meinen neuen Führer als vom Himmel dazu ausersehen, meine
Leiden zu beenden. Meine Erwartung wurde nicht getäuscht. Er hat
mich schliesslich nach Zweibrücken gebracht, wo ich morgens bei be-
freundeten Damen anlangte. Dort habe ich seit lange zum ersten Male
wieder frei geatmet, wenn auch erschöpft von Müdigkeit von einem so
mühseligen Wege; was war das für ein gewagtes und ein beschwerliches
Unternehmen von zehn Abenteuertagen, einer gefährlicher als der andere!
Die Damen von Böhmer begleiteten mich auf den Karlsberg1). Der
1) Lustschloss des Herzogs von Zweibrücken bei Homburg, 1794 von den Fran-
zosen total zerstört.
NEUE HEIDELB. JAHRBUECHER IV.