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Seite 4

„Der Heidelberger Studenl^

Z.-S. 1SS3/34. Rr. 1

bs»SF» e//s F?ss/r//os

Katechismus der Reaktion

Zu Oswald Spengler's „Jahrc der iLntscheidung".

Sechs Wochen nach Erscheinen hat Spenglers
neuestes Werk eine Anflage von 80000 erreicht, eine
Sensation bei einem Buch, das nnr sür die kleine
Schicht der geistig Geschulten voll verständlich ist.

Es wird nicht lange danern, da
werden die Behauptungen und Argu>
mcnte dieses Bnches anftauchen,
ttberall dort, wo man an der Unter-
höhlung des nenen Staates arbeitct.
Es bietet jeglicher Berwirrungsaktion vielfaches
Matcrial, aber cine wahre Jnndglnbe ist es für
den Reaktionär jeder Prägung. Er verschlingt
es, dankbar die Kraststellcn hcrausziehend, heute
noch vcrschttchtert nnd verängstigt in seiner Hinter-
stube — bald wcrden seine Exzerpte von Hand zn
Hand gehen und die Hauptstücke dieses Katechismus
vonMund zu Mnnde.

Es ist ein kluges Bnch. Wie in seinen andcrn
Schriften breitet Spcnglcr reiches historisches Mate-
rial vor uns aus, — vcrdienstvoll und zngleich prak-
tisch, dcnn dnrch rassinierte historischc Bcrglciche
lassen sich in jcdem Abschnitt
Nadelstiche gegen den nationalsozialistijchenLtaat
unterbringen, ohnc den Mut aufwenden zn müssen,
die Sache offcn beim Namen zu ncnnen. Gcmein-
gefährlich wird die Schrift aber erst dadnrch, daß ihre
dürre Reaktion getarnt
ist durch schcinbar echt konservativcs Gedankengnt.
Es will sich nirgends zusammcnfügen, aber es wird
manchen in die Falle locken, und er wird dann auch
die andcrn „Weisheiten" schlucken.

Ans den 165 Seitcn schallt ein Grundton:
dic ganze Richtung patzt mir nicht!

„Der moderne Nationalismns ersetzt das Volk durch
die Masse. Er ist revolntionär nnd städtisch durch nnd
durch."(!) (26.) Tarnm hat der nationalsozialistische
Staat wohl auch so viel wie keiner vor ihm für ge-
sundes Bauerntum gctan!

„LinksistlärmendeAgitation" (133).
Jmmerhin: sie hatHerrn Spengler das
Leben gercttet und ihm die Mvglich-
keit gegeben, heute noch geistes-
reiche Bücher zu schrcibcn übcr
Deutschland, so wie man es ans der
Höhe eines beruhigenden Bankkontos
ansieht.

Daß solchc Agitationen wirkliches „Jn Form scin"
des Staates uno wahre Volkwerdnng vorbcreiten
kann und soll, sicht Spengler schon deshalb nicht,
wcil

der von ihm geforderte starke Staat ledig-
ltch auf Bajonette gegründet wird.

Den Massen allein „pavoin st eirevnsvs", aber „dcr
Cäsarismus dcr Zukunft wird nicht überreden, son-
dern mit der Waffe siegen". (133.) Eigentlich hätte
man aus dem Jahre 1932 anderes lerncn können!

„Die Gesellschast bernht auf der Ungleichheit der
Menschen, das ist eine natnrhafte Tatsache." (66.)
Sichtbar wird diese Ungleichheit für Spengler be-
sonders im Besih, er ist eine „Begabung" nnd dnrch
„starke Rassencigenschaften crworben". (70.) Auch
dies ist — wie das mciste vcrsteckt — gegen den Nati-
onalsozialismus gesagt. Welche Bewegung hat im
letzten Jahrhundert die natürliche Ungleichheit jeg-
licher Art so wic er nicht nur betont, sondcrn zur
Wirkung kommen lassen: im Beamtengesetz, in der
ständischen Gliedcrnng, in der strengen Über- nnd
Unterordnung! Aber die vorgefundene Ungleich-
heit entsprach keineswcgs einem naturhaften Sinn.
Es gibt vicle rassisch wertvolle Menschen, die dnrch
Jntelligcnz nnd Energie zu Besitz gekvmmen sind,
aber ost genng war wirtschaftliche Begabnng nicht
gerade Ausflnß rassischer Hochwertigkeit, und das
Maß des Besitzes gibt in unserer Wirtschaftsstruktur
kein Recht zu demsclbcn Maß an Hcrrschaft.

Mit unbändigem Hatz aber verfolgt
Lpengler alle Bestrebungen, die den Befitz
hindern könntcn, hemmnngslos feine Macht
zu gebrauchen.

Allc Maßnahmen, die gecignet sind, in das freic
Bcrtragsvcrhältnis zwischcn Unternchmcr nnd Ar-
beiter regelnd cinzugreifen: Arbciterparteien, Ge-
werkschaften, ja jegliche arbeüersrenndliche Strö-
mung und jcdcr,

auch der nationale Iozialismus find „Bolfche-
wismus".

„Wer gemein ist, gemein denkt, gemcin fühlt nnd
handelt, wird nicht anders dadurch, daß er nationale
Fahnen schwenkt. Wer irgendwo jn der Wclt hcnte
Gewerkschastcn vdcr Arbciterparteien gründct oder
sührt, nnterliegt beinahe mit Notmendigkcit sehr
bald der marxistischen Jdeologie" (96). „Tcr weiße
Arbeiter, um die Wette umschmeichelt und ver-
wöhnt, wird ein Lnxustier" (115). Sclbst die christ-
lichen Kirchen haben sich schändlicherwcise mit sozi-
alen Fragcn bcschästigt. Dicse sind endlich von dje-
sem Höllenweg abznbringen: „Die christliche Moral
ist wie jede Mvral Entsagung, und nichts anderes.
Wer das nicht empsindet ist Materialist!" (94.)

Befouderen Kummer macht Lpengler die
antikapitalistifche Aront der Jugend.

„Worin besteht denn der „Sozialismns" dieser Hel-
den, die gegcn die Freiheit der Persönlichkeit zn
Fclde ziehen?" Es ist nichts als: „Asiatischer Kollek-
tivismns! Die Romantik der Belauglosen! Tie
Apotheose des Herdengefühls! Das letztc Mittel,
die eigene Furcht vor der Berantwortung zn ideali-
sieren!" (143.)

Jn 80000 Exmcplareu lanfen

diefe Beleidigungen der Bewegung,

die anf dem Wege ist, das Bolk zum erstenmal zu
einen, dnrch die Schicht dcr Intellektncllen, und ihr
Führcr, der Führer des ganzcn Bolkes ist, wird mit
bcsonderen Worten einbezogen. Wann werden cs
100000 sein, und durch wieviel Hände geht jedcs
Bnch?

Wiire es nicht ganz gut, wenn Oswald
Lpengler einmal Gelegenheit gegeben
würde, das wirkliche Tafein des „Lurus-
tiers" deutfcher Arbeiter einmal näher
kennen zu lernen?

Hält man cinen svlchen Wnnsch eincm anßerordcnt-
lich klngen Mann gegeuüber für ehrfnrchtslos? Jch
halte es für fördcrnd, wenn ciner, der über Dentsch-
lands schicksalsvolle Jahrc schreibt, ctwas mehr
Kenntnis von den Wirklichkeiten diescs Dentschland
erhält!

Die alten sogen. Arbeiterparteien nnd die Ge-
werkschaften haben uncndlichc Schuld auf sich ge-
laden. Aber die sozialistische Bewcgnng ist nicht
allein dnrch „Bcrnfsagitation" cntstanden, svndern
dnrch dic Tatsache, daß die indnstrielle Revolntion

des 19. Jahrhunderts den überwiegenden Teil des
Bolkes dcsitzlos gemacht hat. Die Gewerkschasten
haben nicht nur zerstört, sondern anch geformt, dis-
zipliniert, Haltlose gebunden. (Man lese einmal
Winnig „Der weite Weg", oder denke an die ans-
gezeichnete Arbeit dcs DHB.!)

Die antitapitalistifche Front der Jugend ist
nicht die Front der „geringen Talente"
(100), sondcrn zu ihr gehören Alle gesnnden Geistes
und gesnnder Jnstinkte, die dem Zustand ein Ende
setzen ivollen, daß lediglich wirtschaftliche Begabnng
oft genügte, politische Macht zu crringen. Sie will
nicht den Besitz an sich diffamieren, sondern Möglich-
keiten schafsen, daß jeder Anständige und Fleißige,
wenn anch zu bcscheidcnem Besitz gelangen kann.
Erst dann kann man wie Spenglcr die Arbeitszeit
des Jiidustricarbciters und die des Kleinbauern
gegeneinanderstellen!

Haß macht blind. Ter abgrnndtiese Haß Speng-
lers gegen alles, was Arbeiter heißt, treibt zu selt-
samen, wenn nicht lächcrlichen Konseqnenzen: „Die
Weltwirtschaftskrise ist nicht die vorübergehendc
Folge von Krieg, Revolutivn, Inslation und Schul-
denzahlniig. Sic ist gewollt worden. Sie ist in allen
wesentlichen Zügen das Ergebnis einer zielbewnßten
Arbeit der Führcr des Proletariats." (105/06.) Die-
sem Haß mnß hier Tribut gezollt werden, selbst für
den Preis, dic überall ancrkannten verheerendcn
Wirknngen politischcr Schnldenzahlungen abziileug-
ncn. (Anch nnscre private Auslandsvcrschuldung
ist znm großen Teil politisch bedingt!) Nebcnbei
werden dadurch die „Wirtschaftssührer", die Speng-
ler nicht gcnug rühmen kann, von jeder Schuld rein
gewaschen.

„Die Wirtfchaftssührer liegen aus den
Trümmer» der Weltwirtfchaft als Opser
diefer (Arbeiter-Mktatur"

(107). Jn unseren Zeiten ist „die Wirtschaft" ein
außerordentlich kompliziertes Gebilde, aber jedem
müsscn bei dem Studinm der Wirtschaftsgeschichte
der letzten 15 Jahrc die Jührcrqualitätcn sehr vieler
Wirtschaftsführer etwas zweiselhaft gewordcn sein.
Wielangcwirdesdauern,bisauseiner
Wirtschaftstagung (etwa des Lang-
namenvereins) diese ausgezeichnete
Spcnglersche These, mehr odcr we-
niger vcrschämt, übernommen wird,
mit all den oben angesührten Aussprüchen? Wie
dürste man anch so viel Geist unbenntzt in Büchern
liegen lasscn? Praxis! Praxis! Nur nicht soviel
Theorie! Praxis ist, was sich rentiert. Und spenglern
rcntiert sehr! (Allerdings würde die von Spcngler
gcsorderte Anglcichung nnserer Löhne an die dcr
farbigen Arbeiter nicht nnr deutsche Volkwerdung
uninöglich machen, sondern auch die dentsche Wirt-
schaft zerstören, die trotz aller notwendigen Ansfuhr
vor allcm auf dcn Binncnmarkt angewiesen ist!)

„Solange eine Diktatur sozialen Ehrgeiz hat,
solange ist sie Zwischcnform" (137). „Der Nationa-
lismns der Gegenwart ist eine Vorsinse des koinmcn-
den Cäsarismus" (140). „Ter cchte Cäsarismus aller
endenden Külturen stützt sich auf kleine starkc Minder-
heitcn" (133). Spenglers Jdeal ist dcr Staat, der
sich lcdiglich anf Bajonctte stützt, der der Wirtschaft
in ihrem Bereich, sowvhl gegcnttbcr dcm Arbeiter
als auch in ihren Außcnhaiidelsbeziehnngen voll-
kommcnc Frciheit läßt.

Sein Jdeal ist trotz aller „konfervativrn"
Berkleidung eine fpäte Blüte recht müden
LibcralismuS!

Es isk nicht „feiger Optismus", dcr uns ver-
anlaßt, nns nicht zu den „endenden Kultnrcn" zu
rcchnen, sondern das Wisscn, daß deutscheS Bolk und
dentsches Reich crst im Werden sind, nachdcm die
Sehusucht vicler Jahrhunderte dahin ging. Und die
Anschanung, daß seit einem Jahrzehnt Dentsch-
land das Land ist, in dem die znkunftsträchtigcn
Jdecn gcdacht und nene Wirklichkciten gestaltet
werden. Paul Hövel.

Jugend und Reaktion.

NSStK. Unter Reaktivn versieheu wir die Kreise,
die vor dem Kriege die große Rvlle spielten, die aber
noch immer in diesen Anschauungeii leben, die das Neue
nicht sehcn ivollen. Uns Jungen, die wir aus dem Bür-
gertum zum Nativnalsozialismus gingeii — und das
sind in der Mehrzahl die Studenten — ivcrfeu sie Ver-
hetzung, Verführuug, Vcrständiiislossigkeit vor. Sie
können es immer noch uicht begreifen, daß der höhere
Schüler niit dem Vvlksschüler verkehrt, daß der Student
mit dem Arbeiter zusammeugeht. Sie glauben das
nicht init dem Begriff des Bürgertnms vereinbaren zu
können. Sie sind die Ewiggestrigeu, die Vergreisten.
Sie verstehen uus uicht. Sie sageu, lvir siud doch auch
uational nnd sozial, wir siud doch die Gebildeten. Einst
sagten sie: Wie kanu eiuer vou uus solchem ungebildeteu
Hitler, eiuem einfachen Elefreiteu des Weltkrieges nach-
rennen. Jetzt heuchelu sie Bewunderuug uud Begeiste-
rung. Sie leben noch in der guten alten Zeit, wo die
Jugend Lebensraum und Arbeit fand, wv der Staat
mächtig war, ein Heer Schutz bot, Ivo Nuhe und Orduung
herrschte». Mit diesen Begriffen kommen sie immer
wieder. Sie siud uur für Ruhe uud Orduung, sie sind
inimer fiir die Statik, wir aber für die Dynamik. Jhren
Patriotismus kenuc» ivir, der besleht aus Singeu vou
patriotischen Liedern uud patrivtischcm Denken und ist
an die Belange ihres Geldsacks geknüpft. Jhr angeb-
licher Sozialismus ist nur gedacht, er ist eiu nvtwendiges
stbel und nur Mittei. Sis habeu selber Schuld am Klas-
senhaß. sie haben dazu beigetragen, daß der Volksge-
nosse dem andern Volksgenossen entfremdet wurde.
Sie wollteu uns das Wahlrecht nehmen, sie wvllten uns
von den politischen Geschehnissen ausschalten.

Wenn sich die Neaktwn je bemühte — vor dem
30. Januar in sehr starkem Maße — dis Jugend zu ge-
winnen, so geschah das nicht um der Jugend willen,
sondern um daniit ihren eigenen verkrampften Zieleu
und Machenschasten zu dienen. Jedwedes Beginnen
ist von vornhereiu zum Scheitern verurleilt, denn wenu
man die Jugend gewinnen will, muß man selber Jugeud
sein oder zumindest das Weseu der Jugend erkaunt
habe» uud eine Zukunft iu sich tragen.

Die Begriffe Jugend und Reaktivn bedeuten die
schroffstcn, überhaupt denkbaren Gruudsätze. Hier das

Neue, das Werdende, das Frische, das Vorwärtsstür-
meude, das elvig Knmpferische und Reaktivnäre. Und
dort das Alte, Verbrauchte, Veraltete, das Schwache,
Unkämpferische, das Reaktionäre.

Bei der Beurteilung sehen wir auf die Leistungen.
1018 haben sie in den Mauselöchern gejessen und keinen
Finger gerührt. Tann haben sie fast jeden ihrer Grund-
sätze aufgegebeu. Sie haben ailes willig geschehen lassen
und uur papierne Proteste angefertigt. Sie haben in
politischer Hinstzht restlos versagt.

Sie verlachten uns und mißbilligteu unserradikales
Verhalten, betrachteten uus als Straßenjungens. Als
wir uns gegen den roten Terror zur Wehr setzten,
waren sie nie zu sehen. Aber in ihren Zeitungen war
dann immer von neuen Taten, ihren Erfolgen und ihrem
Mut zu lesen. Jetzt, wo die iiationalsozialistische Revo-
lution ausgebrochen ist, wollen sie die ersten sein, die
Radikalsten. Sie glaubten, daß sich eine Revolution
stets nur im Bruderkrieg, in Chaos und Zerstörung
äußere. Noch uie ist aber in der Oieschichte eine Revo-
lution so dsszipliniert und dabei doch so tiefgreifend und
umwälzend vollzogen worden. Diese Revolution ist
keine nationale, sondern eine nationalsozialistische. Das
hören die Leute ungern. Wir jungen Kämpfer des
Nationalsozialismus aber sind der Äarant dafür, daß
diese Revolution auch iu sozialistischer Beziehung ihre
Ersüllung findet. Die Bürgerlichen glauben immer,
es genüge nur eine äußere Umgestaltung. Das Entschei-
dende ist aber die innere Uniwandlung. Sie glauben,
es genüge das Parteiabzeichen, um Nattonalsozialist
zu sein. Es komnit aber im wesentlichen auf die innere
Haltung, auf das Herz und die Gesinnung an. Für diese
Tatsache haben wir jungen Menschen ein feines Gesühl,
wir wissen sehr wohl äußerliche Umrahmung vou iune-
rem Wert zu uuterscheide».

Die Zeit der reaktionären Umtriebe ist endgültig
vorbei. Die deutsche Jugend ist wachsam und wird
jeden Versuch im Keime ersticken. Die Studenten wer-
den die deutsche Hochschule in den Händen behalten
und sie nie wieder liberalistischen Schwächlingen aus-
liefern. Wir sind bereitü!

Horst Beuster.

Prüderie oder Anständigkeit?

NSStK. Durch den kürzlich beröffentlichten Aufruf
des Stabschefs Röhm gegen das Muckertum wird eine
Frage vou maßgebender Seite angeschnitteii, die bis
jetzt in der Fiille der zu bewältigenden Probleme zu-
rückstehen mußte, die aber bcreits heute wichtig ge-
worden ist uud ini Laufe der Zeit noch größere Bedeutimg
erlangen ivird.

Man gebe fich keiner Täuschung darübcr hin, als
sei der vom Stabschef gerügte Ubelstand nur eiue miß-
vergnügte Auslassung nicht eriistziiiiehmeiider Besser-
wisser; uein, gerade in Kreisen alter und bewährter
Parteigenossen findet man nur zu ost Ansichten, die
dieser Geisteshaltung entsprechen, und man kann sis
auch nicht ohne weiteres ablehnen. Denn es ist ja nur zu
begreiflich, wenu nach der Schmutzwelle, die in den
letzten Jahrzehnten über Deutschland niedergegangen
ist, nun eine Reaktion einfetzt, und wir dürfen nicht ein-
fach diese Reaküon grimdsätzlich verdammen, sondern
müssen sie nach besten Kräften anf ein gesundesMaß brin-
gen und verhindern, daß durch Ubereifer Schaden an-
gerichtet wird.

Um nur einige der bekanntesten Gebiete heranszu-
nehmen: Da ist zuuächft einmal der kategvrische impe-
rativ: „Die deutsche Frau raucht nicht!" Wer in der
vergaiigenen Zeit stündlich beobachten imißte, wie
„Damen" recht zweiselhaften Anssehens qualmend auf
den Straßen umherspazietten, der wird in gewissem
Sinne jeneni Rufe zuftimmen. Aber es sind zwei Fehl-
schlüsse dabei: Erstens ist es eine Frage des gutan Ge-

schmacks, wo eine Frau raucheu ivird und wo incht —
es kommt uur darauf an, iver in Fragen des Geschmacks.
deu Ton angibt: Bisher waren es gerade die unsauber-
ften Elemente, nicht nur bei uns, sondern in der ganzen
zivilisierten Welt. Und der richtige Weg ist der, daß wir
der übrigen Welt zeigen, wie es sich bei uns gebesscrt
hat; dadurch erlangen wir ganz von selbst bei konsequen-
ter Durchführung eine Vormachtslellung, die wir gerade
auf dem Gebiete der Geschmacksliteratur bisher nicht
gehabt haben. Aber mit Schlagworten erreichen Ivir
das nicht, sondern machen uns imr bei wirklich geschmack-
vollen Menschen des Jn- und Auslandes lächerlich. Eine
andere Frage ist es, ob das Rauchen an sich notwendig
ist — aber hier handelt es sich um Männer ebenso wie
um Frauen. Also soll cs nicht heißen: „Die deutsche
Frau raucht nicht", souderii so: „Die deutsche Frau
bestimmt, wo sie rauchen darf, nicht, wie bisher, die
deutschsprechende Dirne!"

Ein Shnliches Gebiet: Der „mvderne" Tanz. Hier
liegt dis Sache aber etwas anders: Neben der Ge-
schmacksfrage, über die ja schon gesprochen wurde,
kommt ein Zweites hinzu, nämlich das Grnndsätzliche.
Es ist erwiesen, daß anch heute noch fast 80 Prozent aller
Tanzmusik jüdischer Herkunft ist; und ebenso wenig,
wie wir in jüdischen Geschäften kausen würden, ebenso
sollen wir auch bie jüdischen Tanzschlager ablehnen;
nicht, weil sie „modern" sind, sondern weil man imö
bisher ausschließlich das Jiidische als „modern" aufge
schwatzt hat. Hier sieht man deutlich, datz jahrzehnte

lange Schäden nicht anf einen Schlag zu bescitigen sind.
Es wird imd niuß Sache unserer deutschen Fachleute
sein, hier besseren Ersatz zu schafsen. Aber mit solche»
„gleichgeschalteten" Gewalttätigkeiten, wie der kürzlich
dekretierte „Reichswalzer" schafst man wieder bloß
Kitsch; eine wirklich gute Reform muß organisch wachsen.
Dasselbe gilt von der Modesrage überhaupt. Hier ist
ja durch die Schaffung eines deutschen Modeamtes schon
ein A nfang g>.macht worden, aber es bestehen zweiGe-
sahreumomeiite: Das eine, darin liegend, daß sich diese
deutsche Mode gegen die bisherige Bormachtstellung
der internatioiial-jüdischen Modediktatur nicht durchzu-
setzen vermag; hier bedarf es gründlicher propagandi-
stischer Vorbereitung und taktvoller Beseitigung etwa
bestehender Bedenken. Tann aber muß im Zusaniinen-
hang damit auch die andere Gefahr beseitigt werden:
nämlich, daß diese Bestrebungen in die Hände von Eife-
rern gecaten, die am liebsten alle in Sack und Asche
gehen lassen müöchten, die jeden Schmuck als „undeutsch"
ablehnen, weil sie in Wirklichkeit vom Wesen des Deutsch-
tums nur sehr oberflächliche Vorstellmigen haben. Aus-
wüchse werden und müssen beseitigt werden; abcr dazu
ist wieder nur der berechtigt, der etwas dabon versteht.
Auch hier muß das Leistuuqsprinzip gelten; Psuscher
'ollen die Hände davon lassen.

Man könnte die Reihe der Beispiele ins Endlose
fortsetzen; hier seien nnr noch zwei angesührt.

Da handelt es sich eimnal um jene Menschen, die
im samosen Zwickelerlaß einer vcrslossenen Negierung
die Höhe der Weisheit sahen und die sich einbilden, die
Negierung der deutschen Revolution müsse unbedingt
in diesem Fahrwasser weitersegeln. Die Auslösung der
„Freikürperkulturvereine" war notwendig, denn diese
waren Brutstätten des Marxismus und der sittlichen
Verwahrlosung. Aber wer nun daraus die Berechtigung
ableitet, das gauze heutige Luft- und Wasserbadeweseu
einfach mit dem Baimfluch belegen zu kömien, der
inacht sich wieder nur lächerlich — wenn er sich nicht
überhaupt dem Vedacht der unsaubern Gesinnung aus-
setzt. Durch Prüderie wird das Ubel nur schlimmer, und
wer an gesunder Zerstreuung, die /etztlich dem Volks-
iörper an sich zugute kommt, ein Ärgernis nimmt, der
bleibe lieber hinter dem Ofen und halte den Mmid.

Und das gilt von der Frage des Zusammenlcbens
von Mann und Weib überhaupt. Wir sind die letzten,
die einem Geschlechterchaos das Wort reden würden;
aber schließlich kommt die Berwahrlosmig der bergange-
nen Zeit zum großen Teil — neben der bewußten Ver-
fiihrnng gerade auch von der verbrecherischen Verständ-
nislosigkeit, ja Büswilligkeit jener Lkreise, die jetzt wieder
Unkenrufe gegen jede gesunde Negung ertönen lassen.
Gebt den jungen Menschen Arbeit, gebt ihnen gute
geistige Nahrung, lehrt sie Achtung vor Körper und
Seele des andern Geschlechtes, dann werden sie auch
nicht auf schlechte Gedanken kommen. Wenn aber alles,
was dieses Gebiet betrisft, als unrein verschrien wird,
dann ist die zwangsläufige Fvlge, daß solche Dinge aus
dem reinen Licht der vernünftigen Betrachtmig in die
Niederung der Zote imd der Unaufrichtigkeit verdrängt
werden. Und wenn das „erreicht" ist, dann ist der Boden
für eine neue Schmutzwelle bereitet. Wollen unsere
Sittlichkeitsfanatiker vielleicht diese Entwicklung?

Stabsches Röhm und andre unserer F-ührer haben
endlich den F-inger auf diese Wunde an unserem Kultur-
leben gclegt; es ist Pflicht jedes Kämpfers, auch hier
aufklärend und helfend zu wirken. Nichts ist zu gering-
sügig, als daß es nicht in den Lichtkreis revolutionärer
Betrachtuug gezogeu werden müßte. Nicht Muckertum
ist imser Ziel, sondern Erziehmig zu iniiern Anständigkeit.

. Gerhgrd Langer.

Am it2. November:

Gegen dte Reattion!
Für daS Recht der Zugend auf
Shre, Gleichberechtigung, Arbeit!


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