— 72 —
drungen. Voltaire meinte zwar, die Etymologie ſei eine
Wiſſenſchaft, welche den Vokalen gar keine und den Con-
ſonanten nur eine geringe Bedeutung beilege, allein eine
Gewißheit hat dieſe uns doch verſchafft, nämlich jene, daß
ſich alle Völker mit Lehnwörtern behelfen.
Dr. Stephan theilt die Fremdwörter in zwei Klaſſen
ein, in die überflüſſigen und die ſchwer zu ent-
behrenden. Die Fremdlinge der zweiten Klaſſe haben
ſich vorzugsweiſe innerhalb der Grenzen des Kunſtgebiets
und der Technik eingeniſtet. ö
Was die Eindringlinge der erſten Klaſſe betrifft, ſo
ſchlichen dieſe ſich ſchon zur Zeit der Gothen von Spanien
aus in unſere Sprache ein. Doch hat Spanien auch von
unſerem Sprachſchatz manches klingende Wort empfangen.
Die Kirche und Juſtiz tragen dann viel zur Einbürgerung
fremder Worte bei. Im Allgemeinen zeigt ſich die Er-
ſcheinung in der vaterländiſchen Geſchichte, daß die Fremd-
länderei in der Sprache bekämpft wurde in den Zeiten
politiſcher Erhebung; ſo im Zeitalter der Reformation
durch Luther, Hutten u. a. m., daß ſie aber am üppigſten
wucherte in den Tagen politiſcher Entkräftung.
An den deutſchen Univerſttäten fand die Fremd-
länderei zuerſt an Thomaſius in Halle einen Gegner.
Dieſer deutſche Profeſſor hielt die erſte Vorleſung in
deutſcher Sprache zum großen Erſtaunen ſeiner Berufs-
genoſſen. Die Etiquette der damaligen Zeit gab die
ſeltſame Vorſchrift für hohe Perſonen ſeien deutſche An-
reden, bei Niederen dagegen fremde zu empfehlen.
Redner gibt ſeinen Zuhörern einen Begriff von dem
Briefſtyl des vorigen Jahrhunderts durch Verleſung eines
Liebesbriefes, der mit Fremdworten geſpickt iſt, wie der
Haſe in der Bratpfanne mit Speck. Da wir den Wort-
laut des langen Schreibens nicht wiederzugeben vermögen,
ſo wollen wir als Erſatz eine kurze Stelle aus einem
Geſchichtswerk des vorigen Jahrhunderts anführen, die
da lautet: „Cäſar arrivirte in Rom und ſpoliirte den
Treſor.“ ö ‚
Ferner erinnert Redner an die Lächerlichkeit, deutſche
Namen in römiſche zu verwandeln, die ſchon von dem
ſatiriſchen Rabener mit Recht gegeißelt wurde.
Friedrich dem Großen machte einſt ein Offizier die
Meldung, der Feind ſei in's Lager gedrungen. Als der
Offizier weitere Aufſchlüſſe nicht zu geben vermochte,
meinte der König: Laß er uns vor Allem ſehen, daß wir
ihn wieder hinausbringen. Ebenſo ergeht es uns mit den
Fremdworten, die der Redner als Feinde unſerer Sprache
betrachtet. Dr. Stephan bezeichnet es als eine bedeut-
ſame Erſcheinung in der vaterländiſchen Geſchichte, daß
„Minna von Barnhelm“ gleichſam auf dem Schlachtfelde
von Roßbach geboren wurde.
Wie in Deutſchland, ſo fange man auch in Rußland
an, ſich vom ſprachlichen Einfluß fremder Nationen zu
befreien. So ſeien jetzt in Petersburg ſtatt der franzö-
ſiſchen Inſchriften faſt nur ruſſiſche zu finden, und damit
werde auch die Aufmerkſamkeit der Gebildeten fremder
Völker auf das Ruſſiſche gelenkt, eine ebenſo reiche als
für die Forſchung wichtige Sprache. Redner fühlte ſich
am Rhein ſtets unangenehm berührt, wenn ſein Blick auf
die Uebertragung deutſcher Anzeigen in das Engliſche
oder Franzöſiſche fiel. Wahrhaft lächerlich aber muß es
erſcheinen, wenn ein Gaſtgeber ſeinen Gäſten eine deutſche
Speiſekarte vorlegt, auf welcher ſich die Weiſung findet:
die Gäſte, welche der deutſchen Sprache nicht mächtig
ſind — in dieſem Falle waren es lauter Berliner —
finden das Menu in's Franzöſiſche übertragen auf der
Rückſeite. Der Vortragende redet der Einführung
deutſcher Speiſekarten das Wort, verhehlt ſich aber dabei
keineswegs, daß das Wort Sauee recht ſchwer zu erſetzen
ſei, denn „die Tunke“ dürfe kaum auf eine beifällige
Aufnahme in den Kreiſen der Feinſchmecker zählen. Den
eifrigen Forſchungen des Generalpoſtmeiſters iſt es in
jüngſter Zeit gelungen, in älteren deutſchen Kochbüchern
das Wort „Würzſaft“ als vollgültigen Sauce⸗Erſatz aus-
findig zu machen.
Von den Sprachreinigungsvereinen verſpricht ſich
Dr. Stephan gar nichts, die Sprache gehöre dem ganzen
Volke und nur die Geſammtheit könne hier fördernd.
wirken. Anregung zu dieſer Reform ſei durch die Schule,
die Preſſe, die Verwaltung des Landes und das Heer
zu geben.
Vom deutſchen Heerweſen ſeien vordem ſo viele Be-
zeichnungen in andere Sprachen übergegangen, während
man heute das, was urſprünglich deutſch war, in fran-
zöſiſcher Umgeſtaltung wieder angenommen habe. Sehr
erfreulich ſei es, daß auch auf dieſem Gebiete der Haupt-
mann, Zahlmeiſter und andere deutſche Benennungen wie-
der in Aufnahme kämen und es bleibe nur noch zu.
wünſchen übrig, daß der „Rottmeiſter“ wieder an Stelle
des Sergeanten träte. Auch auf dem Rechtsgebiete habe-
man nicht mehr zu befürchten, daß ein Landrath den.
Bauern ſage: Es iſt alles legal, und dieſe meinten, ihm
ſei alles egal. An die Stelle des „Advokaten“ ſei der
„Sachwalter“ getreten, der Schöffe komme wieder zu
ſeinem Recht und ſo fort. Zu Luthers Zeiten ſei der
Kanzleiſtyl ziemlich rein und frei von Fremdwörtern ge-
weſen, heute habe man ſeine liebe Noth, ihn aus den
Feſſeln des Lateiniſchen zu befreien. Dem Vortragenden
liegt eine amtliche Verordnung über die Maul- und
Klauenſeuche vor, welche dermaßen mit Fremdwörten
überlaͤden iſt, daß man glaubt, die Maul⸗ und Klauen-
ſeuche ſei in die Sprache gefahren.
(Schluß folgt.)
+ Der Perlenfiſcher.
Ein Fiſcher ſuchte am einſamen Strand
Die ſchönſte der Perlen zu finden;
Er müh'te ſich ab und er ſuchte im Sand
Und er ſpäh'te in Meeresgründen.
Die Perle, ſie wär' ihm ein heiliger Schatz;
Wie glücklich wollt' er ſich preiſen;
Er wüßte der Perle den herrlichſten Platz
Auf der ganzen Erde zu weiſen.
Ung als er — endlich — das Kleinod fand,
Beſchaut' er's mit ſeligen Blicken,
Und träumend hielt er's in ſeiner Hand,
Verſunken in Lieb' und Entzücken.
Da brauſte auf einmal der Sturmwind daher
Und auf den wildſchäumenden Wellen
Fuhr zürnend und tobend der Meersgott umher
Und entriß die Perl' dem Geſellen.
„Mein iſt ſie,“ ſo donnert's von ferne und nah'
Und in Herzeleid und in Beben.
Der Fiſcher ſein Kleinod verloren ſah;
Hätt' lieber das Leben gegeben.
Nun ſaß er ſo traurig am einſamen Strand
Und Thräne um Thräne wollt' fallen;
Auf's liebende Herze, da preßt er die Hand
Und im Sturme wollt' es verhallen:
„Erinnerung, o köſtliche Perle für mich,
Im Herzen werd' ich Dich tragen;
Hier hab' ich auf ewig, Geliebte, Dich;
Die Liebe lebt fort im Entſagen.“
London, 1877. G. S
Druck und Verlag von Adolph Emmerling in Heidelberg.
Für die Redaction verantwortlich Ad. Emm erling.
drungen. Voltaire meinte zwar, die Etymologie ſei eine
Wiſſenſchaft, welche den Vokalen gar keine und den Con-
ſonanten nur eine geringe Bedeutung beilege, allein eine
Gewißheit hat dieſe uns doch verſchafft, nämlich jene, daß
ſich alle Völker mit Lehnwörtern behelfen.
Dr. Stephan theilt die Fremdwörter in zwei Klaſſen
ein, in die überflüſſigen und die ſchwer zu ent-
behrenden. Die Fremdlinge der zweiten Klaſſe haben
ſich vorzugsweiſe innerhalb der Grenzen des Kunſtgebiets
und der Technik eingeniſtet. ö
Was die Eindringlinge der erſten Klaſſe betrifft, ſo
ſchlichen dieſe ſich ſchon zur Zeit der Gothen von Spanien
aus in unſere Sprache ein. Doch hat Spanien auch von
unſerem Sprachſchatz manches klingende Wort empfangen.
Die Kirche und Juſtiz tragen dann viel zur Einbürgerung
fremder Worte bei. Im Allgemeinen zeigt ſich die Er-
ſcheinung in der vaterländiſchen Geſchichte, daß die Fremd-
länderei in der Sprache bekämpft wurde in den Zeiten
politiſcher Erhebung; ſo im Zeitalter der Reformation
durch Luther, Hutten u. a. m., daß ſie aber am üppigſten
wucherte in den Tagen politiſcher Entkräftung.
An den deutſchen Univerſttäten fand die Fremd-
länderei zuerſt an Thomaſius in Halle einen Gegner.
Dieſer deutſche Profeſſor hielt die erſte Vorleſung in
deutſcher Sprache zum großen Erſtaunen ſeiner Berufs-
genoſſen. Die Etiquette der damaligen Zeit gab die
ſeltſame Vorſchrift für hohe Perſonen ſeien deutſche An-
reden, bei Niederen dagegen fremde zu empfehlen.
Redner gibt ſeinen Zuhörern einen Begriff von dem
Briefſtyl des vorigen Jahrhunderts durch Verleſung eines
Liebesbriefes, der mit Fremdworten geſpickt iſt, wie der
Haſe in der Bratpfanne mit Speck. Da wir den Wort-
laut des langen Schreibens nicht wiederzugeben vermögen,
ſo wollen wir als Erſatz eine kurze Stelle aus einem
Geſchichtswerk des vorigen Jahrhunderts anführen, die
da lautet: „Cäſar arrivirte in Rom und ſpoliirte den
Treſor.“ ö ‚
Ferner erinnert Redner an die Lächerlichkeit, deutſche
Namen in römiſche zu verwandeln, die ſchon von dem
ſatiriſchen Rabener mit Recht gegeißelt wurde.
Friedrich dem Großen machte einſt ein Offizier die
Meldung, der Feind ſei in's Lager gedrungen. Als der
Offizier weitere Aufſchlüſſe nicht zu geben vermochte,
meinte der König: Laß er uns vor Allem ſehen, daß wir
ihn wieder hinausbringen. Ebenſo ergeht es uns mit den
Fremdworten, die der Redner als Feinde unſerer Sprache
betrachtet. Dr. Stephan bezeichnet es als eine bedeut-
ſame Erſcheinung in der vaterländiſchen Geſchichte, daß
„Minna von Barnhelm“ gleichſam auf dem Schlachtfelde
von Roßbach geboren wurde.
Wie in Deutſchland, ſo fange man auch in Rußland
an, ſich vom ſprachlichen Einfluß fremder Nationen zu
befreien. So ſeien jetzt in Petersburg ſtatt der franzö-
ſiſchen Inſchriften faſt nur ruſſiſche zu finden, und damit
werde auch die Aufmerkſamkeit der Gebildeten fremder
Völker auf das Ruſſiſche gelenkt, eine ebenſo reiche als
für die Forſchung wichtige Sprache. Redner fühlte ſich
am Rhein ſtets unangenehm berührt, wenn ſein Blick auf
die Uebertragung deutſcher Anzeigen in das Engliſche
oder Franzöſiſche fiel. Wahrhaft lächerlich aber muß es
erſcheinen, wenn ein Gaſtgeber ſeinen Gäſten eine deutſche
Speiſekarte vorlegt, auf welcher ſich die Weiſung findet:
die Gäſte, welche der deutſchen Sprache nicht mächtig
ſind — in dieſem Falle waren es lauter Berliner —
finden das Menu in's Franzöſiſche übertragen auf der
Rückſeite. Der Vortragende redet der Einführung
deutſcher Speiſekarten das Wort, verhehlt ſich aber dabei
keineswegs, daß das Wort Sauee recht ſchwer zu erſetzen
ſei, denn „die Tunke“ dürfe kaum auf eine beifällige
Aufnahme in den Kreiſen der Feinſchmecker zählen. Den
eifrigen Forſchungen des Generalpoſtmeiſters iſt es in
jüngſter Zeit gelungen, in älteren deutſchen Kochbüchern
das Wort „Würzſaft“ als vollgültigen Sauce⸗Erſatz aus-
findig zu machen.
Von den Sprachreinigungsvereinen verſpricht ſich
Dr. Stephan gar nichts, die Sprache gehöre dem ganzen
Volke und nur die Geſammtheit könne hier fördernd.
wirken. Anregung zu dieſer Reform ſei durch die Schule,
die Preſſe, die Verwaltung des Landes und das Heer
zu geben.
Vom deutſchen Heerweſen ſeien vordem ſo viele Be-
zeichnungen in andere Sprachen übergegangen, während
man heute das, was urſprünglich deutſch war, in fran-
zöſiſcher Umgeſtaltung wieder angenommen habe. Sehr
erfreulich ſei es, daß auch auf dieſem Gebiete der Haupt-
mann, Zahlmeiſter und andere deutſche Benennungen wie-
der in Aufnahme kämen und es bleibe nur noch zu.
wünſchen übrig, daß der „Rottmeiſter“ wieder an Stelle
des Sergeanten träte. Auch auf dem Rechtsgebiete habe-
man nicht mehr zu befürchten, daß ein Landrath den.
Bauern ſage: Es iſt alles legal, und dieſe meinten, ihm
ſei alles egal. An die Stelle des „Advokaten“ ſei der
„Sachwalter“ getreten, der Schöffe komme wieder zu
ſeinem Recht und ſo fort. Zu Luthers Zeiten ſei der
Kanzleiſtyl ziemlich rein und frei von Fremdwörtern ge-
weſen, heute habe man ſeine liebe Noth, ihn aus den
Feſſeln des Lateiniſchen zu befreien. Dem Vortragenden
liegt eine amtliche Verordnung über die Maul- und
Klauenſeuche vor, welche dermaßen mit Fremdwörten
überlaͤden iſt, daß man glaubt, die Maul⸗ und Klauen-
ſeuche ſei in die Sprache gefahren.
(Schluß folgt.)
+ Der Perlenfiſcher.
Ein Fiſcher ſuchte am einſamen Strand
Die ſchönſte der Perlen zu finden;
Er müh'te ſich ab und er ſuchte im Sand
Und er ſpäh'te in Meeresgründen.
Die Perle, ſie wär' ihm ein heiliger Schatz;
Wie glücklich wollt' er ſich preiſen;
Er wüßte der Perle den herrlichſten Platz
Auf der ganzen Erde zu weiſen.
Ung als er — endlich — das Kleinod fand,
Beſchaut' er's mit ſeligen Blicken,
Und träumend hielt er's in ſeiner Hand,
Verſunken in Lieb' und Entzücken.
Da brauſte auf einmal der Sturmwind daher
Und auf den wildſchäumenden Wellen
Fuhr zürnend und tobend der Meersgott umher
Und entriß die Perl' dem Geſellen.
„Mein iſt ſie,“ ſo donnert's von ferne und nah'
Und in Herzeleid und in Beben.
Der Fiſcher ſein Kleinod verloren ſah;
Hätt' lieber das Leben gegeben.
Nun ſaß er ſo traurig am einſamen Strand
Und Thräne um Thräne wollt' fallen;
Auf's liebende Herze, da preßt er die Hand
Und im Sturme wollt' es verhallen:
„Erinnerung, o köſtliche Perle für mich,
Im Herzen werd' ich Dich tragen;
Hier hab' ich auf ewig, Geliebte, Dich;
Die Liebe lebt fort im Entſagen.“
London, 1877. G. S
Druck und Verlag von Adolph Emmerling in Heidelberg.
Für die Redaction verantwortlich Ad. Emm erling.