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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43707#0094

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„Und dennoch, dennoch wollten Sie mich retten?“
ſagte er mit gepreßter Stimme. „O, Ima, was Sie
mir gethan an bitterſtem Weh — dieſer Edelmuth iſt
faſt zu groß. War es Mitleid, welches Ihr gutes Herz
erfüllte für den — — Verlornen, den ſie haßten?“
Ima ſchwieg — was ſollte ſie auch erwidern?
Von den nahen und fernen Thürmen klangen jetzt

die Schläge der Mitternachtsſtunde in vollen Tönen über

die ſtille Stadt.
Zeit vergeſſen.

Ima erſchrack — ſie hatte Ort und

„Ima, noch ein Wort, bevor wir ſcheiden,“ ſagte

Oswald, der ihre Gedanken errieth. „Ich habe Ihre
Nähe geſucht, lange vergeblich — endlich in Lugano war
mir das Glück günſtig. Ich hatte ein Gelübde zu er-
füllen, hatte reuige Worte zu überbringen, verzeihende
zu erflehen. Ich fand Ihre Eltern in Unwiſſenheit über
die Lage der Sache und wagte nicht, die alten Wunden
neu und vielleicht ſchmerzender wieder aufzureißen. Ich
ſah Sie, Ima. Ich erkannte die Kraft und die ſtille
Willensſtärke Ihres Charakters — ein inniger Wunſch,
Sie zum Vertrauten meiner Aufgabe zu machen, zog mich
gleich anfangs mächtig zu Ihnen. Ihre Kälte und eine
innere Scheu ſchreckten mich immer wieder zurück. Was
weiter geſchah — Sie wiſſen es. Sie ſchenkten mir
Ihre Freundſchaft — mehr zu erringen, mehr zu erbitten
— das, Ima, durfte ich nicht wagen — — ich, ſein
Bruder.“
„Sein Bruder!“ rief Ima frohlockend aus. „O,
ſein Bruder! — So iſt das furchtbare Räthſel gelöſt.
O, mein Gott! es konnte ja auch nicht ſein!“ —
Er nahm ſanft ihre Hand, die ſie an die naſſen
Augen gedrückt hatte. ö
„Und Sie haſſen ihn nicht, den Bruder deſſen, der
Ihnen ſo ſchweres Leid zugefügt hat?“
Sie ſchwieg. *
Konnte ſie dem Bruder grollen — ſie, die nicht
einmal im Stande geweſen, den Mörder zu haſſen ? Was
war aus ihr geworden? Sie zog die Hand aus der
ſeinen und weinte bitterlich.
„Ima,“ ſagte er, „meinen armen Bruder hat daſſelbe
Geſchick erreicht, welches den Ihren dahinraffte. Auch er
fiel im Zweikampfe, er mochte nicht mehr leben ſeit jenem
Tage. Die Schuld, vor der Welt verheimlicht — in
ſeinem Innern unaufhörlich brennend — und die un-
glückliche Liebe zu Emma, die er nicht zu überwinden

vermochte, machten ihm das Leben zur Laſt. Dieſe Liebe,

Ima, die glühender und ſtärker war, als Andere ahnten
— dazu ſein jähzorniges Temperament, müſſen jenes
unſelige Duell, wenn nicht verzeihlich, doch erklärlicher
machen.“ ö ö ö
„Was hatte aber Hermann mit Ihres Bruders Liebe
zu ſchaffen?“ fragte Ima erſtaunt.
„Sie wiſſen nicht, daß Beide daſſelbe Mädchen
liebten — daß mein Bruder ältere Anrechte zu haben
glaubte- — daß dies der Grund?“
„Hermann liebte ?“ — Eine Fluth von Gedanken
und Empfindungen ſtürmte bei dieſen Worten auf das
junge Mͤdchen ein, welches ſich treulos geglaubt, weil
ein zweites Bild neben dem ſeinen in ihrem Herzen Platz
gewonnen hatte.
Er aber hatte Jahre vorher ſein Herz von ſeiner
kleinen Schweſter gewandt und es einer Fremden gege-
ben. Für ſie hatte er gelebt — für ſie war er geſtorben.
Ein Gefühl von Bitterkeit wollte in ihr aufſteigen —
da trat plötzlich ihr eigenes Fühlen, Denken und Kämpfen
in ungeſchminkter Klarheit vor ihre Seele. Wer hatte
es weniger verſtanden, die Liebe zu bekämpfen als ſie?
Sie hätte auf die Knie ſinken mögen und dem gnädigen,
erbarmenden Gott aus vollem Herzen danken. Er allein

hatte es a verhütet, daß ihr

v Herz des fur tbarſten
Frevels ſchuldig wurde. Eine weiche Stmmung, wie ſie
ſie nie gekannt, erfüllte ihre Seele. ö

(Schluß folgt.)

Bie erſte bekannte deutſcht Beitung.
Von J. O. Opel in Halle.

(Schluß)

So iſt alſo die älteſte bekannte deutſche Zeitung von
Straßburg ausgegangen, wo ſich die alten und ab-
ſterbenden Richtungen der deutſchen Literatur mit den
neuen Beſtrebungen damals ſo vielfach berührten, von

der Vaterſtadt Sebaſtian Brant's und der Heimath

Fiſchart's. Ja, es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß der große
Satiriker, der unermüdliche Spötter über das alte
Kalender⸗ und Praktikerunweſen und der Begründer und
Herausgeber der erſten ſtraßburger Zeitung einander auch
perſönlich nicht unbekannt waren. Noch im Jahre 1578
hatte Fiſchart unter dem Namen ſeines Schwagers Bern-
hard Jobin in Straßburg die Vorrede des Ehezucht-
büchleins verfaßt, und ſchon ein Jahr vorher ſind beide
Buchhändler Jobin und Carolus unter ein und derſelben
Schrift als Verleger bezeichnet.
Da nun aber Carolus ausdrücklich verſichert, daß
er die Zeitung ſchon einige Jahre herausgebe, ſo werden
wir ihre Gründung in die erſten Jahre des 17. Jahr-
hunderts heraufzurücken haben. Der erfinderiſche und
betriebſame Buchhändler wußte bei Zeiten von der gün-
ſtigen Lage der blühenden Stadt, deren Verkehrsbedürf-
niſſe ſchon im 15. Jahrhundert etwa 50 Perſonen im
Poſt⸗ und Botendienſt beſchäftigten, in ganz neuer Weiſe
Vortheil zu ziehen. ö ö
Daß nun aber dieſe ſtraßburger Zeitung überhaupt
die erſte Zeitung in Deutſchland ſei, wagen wir trotzdem
nicht zu behaupien.
Wir werfen zum Schluß noch einen Blick auf die
auch heut' zu Tage noch im hohen Grade lehrreichen und
unterrichtenden italieniſchen Nachrichten unſeres Blattes.
Sehr in's Einzelne gehende Mittheilungen finden ſich be-

ſonders über römiſche, venetianiſche und toskaniſche Ver-

hältniſſe und Vorkommniſſe jeder Art, bis zu Ordens-
verleihungen herab. Allein dieſe römiſchen und venetianiſchen
Correſpondenzen geben auch von Vorgängen in Neapel,
der Türkei, dem Mittelmeer, ja ſelbſt Spanien und Afrika
Kunde. Beſonders auffallig erſcheinen in dieſen italieniſchen
Berichten die Mittheilungen über die Vermögensverhält-
niſſe der einzelnen Fürſten und Herren. Dieſelben können
nur aus ſehr unterrichteten Kreiſen in das Publikum
gebracht worden ſein. ö
Die auffallendſte Nachricht betrifft jedoch den großen
Phyſiker Galilei und ſeine Entdeckung des Fernrohrs.
Dieſelbe wurde den damaligen Deutſchen in der 37.
Nummer unter dem 4. September als eine von Venedig
ausgegangene Kunde mit folgenden charakteriſchen Worten
gemeldet: „Hieſige Herrſchaft hat dem Signor
Gallileo von Florentz, Professoren in der
Mathematica zu Padua ein faattliche Ver-
ehrung gethan, auch ſeine Provision vmb
100 Cronen jährlich gebeſſert, weil er durch
ſein embſigs studiren ein Regel vnd Augen-
maß erfunden, durch welche man einerſeits
auff 30 meil entlegene ortt ſehen kan, als
were ſolches in der nehe, anderſeits aber
erſcheinen die anweſende noch ſo viel gröſſer,
 
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