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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 27 - No. 34 (4. April - 28. April)
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ein hübſcher junger Mann von kräftiger ariſtokratiſcher
Erſcheinung, wäre das einzige der vier Kinder, welches

der Mutter beſchränkten Verſtand geerbt zu haben ſchiene.
Er ſei mit Leib und Seele Landwirth und Jäger und
habe ſich entſchieden geweigert, Kaufmann zu werden oder
gar in das Geſchäft des Vaters einzutreten, was für die
Firma vermuthlich ein Glück, für den Vater aber doch
eingroßer Schmerz geweſen war. — Von Miß Alice
wußte Peters nur, daß ſie eine anmuthige Erſcheinung ſei.
Den nächſten Morgen nach ihrer Ankunft wurde
Editha beim Frühſtück der ganzen Familie mit Ausnahme
Alicens, welche ein leichtes Unwohlſein ferne hielt, vor-
geſtellt. Der älteſte Sohn wandte kein Auge von Editha,
deren ernſte Schönheit ihn völlig zu bezaubern ſchien,
und war, ganz gegen ſeine Gewohnheit, lebhaft und ge-
ſprächig.
Editha hatte ſich in einem ſehr behaglichen Stübchen
mit ihren wenigen Sachen eingerichtet und wollte eben
die Staffelei aufſtellen, als ſie zu Mrs. Bright entboten
ward, die ſie in ihrem prächtigen Wohnzimmer empfing.
„Sie haben mich, getäuſcht,“ redete ſie Editha an,
als dieſe ſich ihr bis auf die nöthige Diſtanz genähert
hatte. „Sie ſind viel jünger als ich dachte.“
Editha ſtutzte einen Moment; auf eine ſolche Anrede
war ſie nicht gefaßt.
„Wollen Sie lieber deutſch mit mir ſprechen,“ fuhr
Mris. Bright fort, „ich verſtehe es.“
„Ich habe Ihnen geſchrieben, daß ich zwanzig Jahre
alt bin,“ entgegnete Editha im beſten Engliſch.

„Aber Ihre Photographie ſieht viel älter und un-

günſtiger aus, als Sie ſelbſt.“
„Das iſt bei Photographien öfter der Fall.“
„Vielleicht in Deutſchland, bei uns hier ſind die
Photographien wahr. Hätte ich Sie geſehen, ſo würde
ich Sie nicht in mein Haus genommen haben. Es wird
jetzt ganz allein von Ihrem Benehmen abhängen, ob Sie
bei mir bleiben können oder nicht. Unter den jungen
Männern unſeres Kreiſes iſt keiner, der daran denken
würde, eine arme deutſche Lehrerin zu heirathen, oder der
auch nur annehmen möchte, daß irgend Jemand ihm dieſe
Abſicht zutrauen könnte; um ſo lieber, um ſo ungenirter
aber werden ſie einem ſolchen Mädchen, wenn es hübſch
und jung iſt wie Sie, den Hof machen. — Ich liebe in-
deß keine derartigen Courmachereien in meinem Hauſe;
Ihr Verbleiben bei mir, ich wiederhole es, wird alſo ganz
davon abhängen, ob Sie ſolche Verhältniſſe zu vermeiden
verſtehen.“ ö ö
Im allerbeſcheidenſten Tone, der Editha zu Gebote
war, erwiderte ſie:
„Ueber mein geſelliges Benehmen, Mrs. Bright, ſteht
hier Niemanden ein Urtheil zu. Wenn ich meinen über-
nommenen Pflichten im Unterricht Ihrer Kinder genüge,
ſo habe ich meine Schuldigkeit Ihnen gegenüber gethan.
Sollten Sie dennoch den Wunſch hegen, mich aus Ihrem
Hauſe zu entfernen, ſo bin ich jeden Augenblick bereit,
zu gehen, natürlich vorausgeſetzt, daß Sie mir die abge-
machten tauſend Dollars und die Ueberfahrtskoſten ent-
richten.“
„Auf Geſchäftsfragen laſſe ich wich nicht ein, die
erledegt Mr. Bright. — Doch davon iſt ja auch keine
Rede. Ich wollte Ihnen nur eine Warnung geben.“
„So ſind wir denn wohl für heute fertig?“ fragte
Editha und empfahl ſich in demſelben Augenblick, als
der Diener mit einer Viſitenkarte herein trat. In einem
der Vorzimmer begegnete ihr Herbert, der ſie anreden
wollte, doch ſie ſchritt eilig grüßend an ihm vorüber,
durch die langen Corridore die Treppe hinauf in ihr
Zimmer. ö ö

„Wieder jeder Zoll eine Prinzeſſin * murrte Her-
bert vor ſich hin.
ö Mit um ſo entgegenkommenderer Höflichkeit empfing
ihn Mrs. Bright. Als eben die üblichen Phraſen ge-

wechſelt waren, öffnete ſich eine dunkle Portiere Herbert

gegenüber und Miß Alice, gehüllt in weißem Mull und
Spitzen, mit langen goldigen Locken, ſchwebte herein.
Sie hob die blauen Augen zu ihm auf und reichte ihm
freundlich die Hand. ö
Boöllig bezaubert verließ der junge Feld nach einer
kurzen Unterhaltung mit den Damen die Villa Bright.
Indeß verſchloß Editha die Thüre ihres Stübchens
hinter ſich, warf ſich mit einem tiefen Seufzer in die
Sophaecke und hielt beide Hände vor's Geſicht, um ſich
vor äußeren Eindrücken zu ſchützen.
Die Scene mit Mis. Bright, ſo tapfer ſie ſich ge-
wehrt, war faſt zu viel für ſie. Und dann das plötz-
liche Begegnen mit Herbert, der ſeiner glücklichen Braut
entgegeneilte, der Gedanke an die Conflikte, die ihr ſicher
täglich hier bevorſtanden, das Alles bewegte ein Chaos
von ſchmerzlichen und widerwärtigen Empfindungen in
ihrem ſonſt ſo ruhig ſchlagenden Herzen. Aber ſie fühlte,
es galt hier ſich mit energiſchem Willen vor allem in
ſich ſelber zu klären, auch mußte heute noch ein Brief
an die Schweſter abgehen, der ihre innere und aͤußere
Lage ſchilderte, — und ſie hoffte, darin wahr ſein zu
können, ohne die leicht geweckte Beſorgniß der Schweſter
rege zu machen. — —

CFortſetzung folgt.)

Ein theurer Schlaf.

Von dem letzten Subſcriptionsballe in Berlin wird
folgende Epiſode erzählt: Herr L. in Treuenbrietzen lebte
mit ſeiner beſſeren Hälfte in den Flitterwochen. Die
junge Frau kam vor einigen Tagen auf den Gedanken,
den Opernball in Berlin zu beſuchen. — „Ich bin zwar
geſchäftlich ſehr in Anſpruch genommen,“ bemerkie der
Gatte, „will aber Deinem Wunſche nachkommen, zumal
Du auch einer Hochzeitsreiſe verluſtig gegangen biſt.“

Sprach's und ſchrieb an ſeinen Freund H. K. in Berlin,

damit dieſer ihm ooute que coute zwei Billets beſchaffe.
Bald gelangte die Antwort des Berliner Freundes an:
„Die einliegenden Billets koſten 45 M., es ſei ihm bei
dem großen Andrange nicht geglückt, dieſelben billiger
zu bekommen.“ — Herr L. zieht ein ſauerſüßes Geſicht
und übergibt ſeiner freudeſtrahlenden Gattin mit den
Worten: „Morgen reiſen wir“, die Billets. Tags darauf
ſetzten ſich unſere Kleinſtädter in aller Frühe in Bewegung
und trafen am Nachmittage von der langweiligen Fahrt
ermüdet in Berlin ein, wo ſie im Kaiſerhofe abſtiegen.
Der Abend kommt, man geht an die Toilette und um
halb 8 Uhr ſitzen unſere Treuenbrietzener in einer
Droſchke zweiter Claſſe. Als ſie bei Kanzlers Ecke an-
kamen, hatten ſich die Wagen — wie alljährlich — bis
zur großen Friedrichsſtraße aufgeſtaut und mußte die
Droſchke, um in Reih und Glied zu bleiben, ſich rück-
wärts anſchließen. Waren es nun die Strapazen der
Reiſe oder das einförmige Vorrücken der Wagen, kurz
und gut, unſer Pärchen ſchlief ein, ſo daß es nach Ver-
lauf einer halben Stunde beim Opernhauſe nicht merkte,
daß der Wagenſchlag geöffnet wurde. Wer Gelegenheit
hatte, bei einem Subſeriptionsball am Abend vor dem
Opernhauſe Poſto zu faſſen, wird wiſſen, daß der Portier
am Theater 1—4 Wagen hintereinander öffnet, um die
 
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