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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 27 - No. 34 (4. April - 28. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43707#0120

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Vort, das er ſpricht, erklärt er mit Rede und Zeichen.
Wenn er z. B. von der Auflöſung der Kammer ſpricht,
reißt er ein Stück Papier in zwei Theile und bläſt dieſe
mit dem Athem auseinander. Wenn ein Deputirter
redet — und beſonders ein Ulema aus Bruſſa, Namens

Buhir Effendi, macht ſich als ein oratoriſches Talent be-

merkbar — ſo hört er mit geſpannter Aufmerkſamkeit
zu, ſagt entweder mit wohlwollendem Kopfſchütteln:
„Ewet, ewet“ (gut, gut) oder, wenn er anderer Meinung
iſt, drückt er ſein Monocle in das linke Auge und wider-
legt den Sprecher mit klaren, verſtändlichen Worten.

Verſchiedenes.

— Ueber eine Wettfahrt deutſcher und engliſcher
Matroſen wird von Auckland auf Neuſeeland der
„Nordd. A. Ztg.“ geſchrieben: Am 29. Januar jeden
Jahres wird in Auckland der Stiftungstag der Kolonie
durch eine Regatta gefeiert. Was dieſen Tag in dieſem
Jahre für die hier wohnhaften Deutſchen ganz beſonders
anziehend und wichtig machte, war ein Wettrudern zwiſchen
einem Kutter der Hertha und einem ſolchen des engliſchen
Kriegsſchiffes Sapphire, in welchem erſterer unter unend-
lichem Jubel unſerer Landsleute einen glänzenden Sieg
davontrug. Die Abfahrt wur auf 4½ Uhr Nachm.
feſtgeſetzt, doch verzögerte ſie ſich ein wenig. Etwa 10
Minuten vor 5 Uhr fiel der Signalſchuß und das eng-
liſche Boot ſchoß ſogleich vor und blieb für einige Zeit
ziemlich bedeutend voraus, doch der ruhige, lange Ruder-
ſchlag der deutſchen Matroſen gab den Kennern die be-
ruhigende Verſicherung, daß das deutſche Boot, wenn

überhaupt, nicht weit hinter dem engliſchen am Ziele an-

kommen werde. Als die beiden Boote hinter dem erſten
der die Bahn bezeichnenden Schiffe hervorkamen, war das
engliſche drei Längen voraus, doch von dem Augenblicke
an verringerte ſich die Entfernung mit jedem Ruder-
ſchlage. Beim nächſten Schiffe, der Sapphira, angelangt,
kamen beide Boote zugleich hervor und hatten nur noch
um die Hertha herumzurudern und dann vor dem Flaggen-
ſchiffe, der Jeſſie Osborne, Halt zu machen. Ein don-
nerndes Hurrah von der Hertha, deren Wanten und
Raaen mit der Mannſchaft dicht beſetzt waren, zeigte den
am Flaggenſchiffe Anweſenden an, daß das deutſche Boot
vorgeſchoſſen ſei, und unmittelbar darauf erſchien auch die
kleine ſchwarz⸗weiß⸗rolhe Flagge, während das Sankt-
Georgskreuz erſt ſpäter ſichtbar wurde. Die Diſtanz ver-

größerte ſich nun mehr und mehr und der deutſche Kutter

paſſirte den Bug des Flaggenſchiffs als Sieger bei mehr
als 5 Längen unter dem Hurrahrufen der Deutſchen und
den Klängen der Wacht am Rhein, geſpielt von einer
engliſchen Kapelle, welche ſich nicht eingebildet hatte, daß
ſie dieſe Melodie für die von Rule Britania zu ſub-
ſtituiren haben würde.

— (Ein erfrorenes Dorf.) Aus der Moldau
wird berichtet, daß in der erſten Hälfte des März ſo
furchtbare Schneeſtürme wütheten, daß ganze Gegenden
von jedem Verkehre abgeſchnitten waren. Die aus nied-

rigen Hütten beſtehenden Dörfer waren beinahe ganz in
Schnee begraben und in einigen ſah man nur die Kirch-

thürme herausragen. Den Schneeſtürmen folgte ſechs-
tägiger Froſt, der in der Moldau und in der Bukowina
Opfer an Menſchen und Thieren forderte. Die Hälfte
der Bewohner eines kleinen moldauiſchen Dorfes fand
man, als die Kälte ein wenig nachließ, erfroren. Die

Oächer hatte der Sturm fortgetragen und die Unglück-

lichen fielen dem Hunger und Froſte zum Opfer. Man
kann ſich denken, welche Qualen die Uebriggebliebenen
ausſtanden, bis ihnen Seitens der Behörde Hülfe zu
Theil wurde. ö

— In der „Karlsr. Ztg.“ leſen wir über das Auf-
treten der Frl. Anna Kah von Heidelberg in einigen
Concerten zu Leipzig folgende anerkennende Beur-
theilung: Dieſelbe hat in dem von dem Riedel'ſchen Ver-
ein in der Nicolaikirche aufgeführten Palmſonntags-
Concert mitgewirkt und darin die Sopranarien „Er-
weidet ſeine Herde“ von Händel und das „Bußlied“ von
Beethoven mit ungetheiltem Beifall vorgetragen. Dr.
Stade im „Tagblatt“ und die Zeitſchrift „Europa“
ſprachen ſich ſowohl bezüglich ihrer reichen Stimmmittel
als ihrer trefflich ausgebildeten Schule ſehr anerkennend
aus. Auch die „Illuſtrirte Zeitung“ hat in gleicher
Weiſe Notiz davon genommen. Am folgenden Tage trug
Frl. Kah in dem im Blüthner'ſchen Saale vor dem Verein
deutſcher Muſiker veranſtalteten Concert Lieder von
Brahms, Liszt und Ritter mit demſelben Erfolg vor.

— (Barum nicht vor dem Tunnel ) „Gaulois“

erzählt folgendes amuſante Geſchichtchen, welches ſich vor

wenigen Tagen auf der Eiſenbahnlinie nach Haͤvre zuge-
tragen haben ſoll. In Nantes ſtiegen zwei Damen,
Mutter und Tochter, in einen Waggon, in dem ſich be-
reits ein Herr befand. Auf dem Wege wird Bekannt-
ſchaft angeknüpft. Monſieur zeigt ſich ſehr dienſtfertig
und galant, Mademoiſelle ſieht ihn mit zärtlichen Blicken
an. Mama drückt dabei nachſichtig das Auge zu. Es
kommt der Tunnel von Rolleboiſe ... Wie es wieder
Licht wird, wird das Geſpräch neuerdings aufgenommen.
Man tauſcht die Adreſſen. Die Damen laden ihren Ge-
ſellſchafter ein, ſie in X. zu beſuchen. „Ich werde gewiß
kommen, um Ihnen meine Frau vorzuſtellen“, erwiderte
der Reiſende. — „Ihre Frau? Sind Sie denn ver-
heirathet?“ — „Seit drei Jahren.“ — „Verheirathet!“
ruft die Mutter mit Indignation. „Das iſt ja ſchreck-
lich. Konnten Sie uns denn das nicht wenigſtens vor
dem Tunnel ſagen?“ —

— (Uuch ein Feſtgedicht.) Zur Regierungszeit des
Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen hatte der
Wandertruppendirector Obſtfelder in einem kleinen Orte
der Provinz Sachſen den Tempel Thaliens aufgeſchlagen
und als nun der Königsgeburtstag nahte, eine Feſt-
vorſtellung angekündigt, eingeleitet durch einen „Prolog,
geſprochen vom Director“. Am Abend erſchien er, ver-
beugte ſich und begann: ö
Zu Dionys, dem Tyrannen ſchlich
Möros, den Dolch im Gewande.
Man kann ſich die verwunderten Geſichter der Zu-
ſchauer denken, als ihnen zur Feier des Tages die ganze
„Bürgſchaft“ declamirt wurde. Aber ihre überangeſtrengte

Geduld ſollte am Schluſſe gebührend belohnt werden.

Der Feſt⸗Declamator ſchloß nämlich ſo:
Und die Treue, ſie iſt doch kein leerer Wahn,
So nehmt auch mich zum Genoſſen an,
Ich ſei, gewährt mir die Bitte: ö
Hoch lebe Friedrich Wilhelm der Dritte!

Druck und Verlag von Adolph Emmerling in Heidelberg.

Für die Redaction verantwortlich Ad. Emmerling.
 
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