Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1879

DOI chapter:
No. 26 - No. 34 (2. April - 30. April)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43709#0125

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heidelberger Lar

ulienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

NO. 30.

Mittwoch, den 16. April

1879.

Mutter und Tochter.

Novelle von L. Haidheim.

(Fortſetzung.)

„Höre, Kind, du ſiehſt das von deinem Standpunkte
allein an, ſür dich ſelbſt würdeſt du nie bitten, ich kenne
das! Aber bedenke, ob du nicht Anderen Dank ſchuldig
biſt? — du liebſt deine Pflegeeltern und weißt, was ſie
trotz ihrer vielen Kinder für dich gethan haben, wie könn-
teſt du ihnen helfen, wie vieles könnteſt du thun für deine
Pflegegeſchwiſter, wenn du auf einem Platze ſtändeſt, wie
er dir zukommt! Bedenke auch, was könnteſt du für
üft!“ — Bedürftige thun, du, die ſo gern gibt und
hilft!“ —
„Aber niemals, Tante Antonie, könnte ich doch mich
meiner Mutter aufdrängen, o, nie, nie!“ verſicherte das
junge Mädchen und weinte ganz faſſungslos.
Frau Pleiderer ſuchte auf alle Weiſe dies thörichte
Zartgefühl zu beſeitigen, und als ihr das durchaus nicht
gelingen wollte, da ſchien ſie zu einem letzten Mittel zu
greifen. Sie ſchilderte Liſa dieſe unbekannte herzloſe
Mutter als ein ſo böſes gefühlloſes Weib, daß es die
Pflicht jedes guten Menſchen war, ihr entgegen zu treten.
Nach Frau Pleiderers Bericht war dieſer Frau, nach-
dem ſie Liſas Vater in das Verderben ſtieß, ihr Kind
eine läſtige Bürde, welche ſte, um in der großen Welt
eine Rolle zu ſpielen, von ſich gab, ohne ſich je mit dem
leiſeſten Zeichen von Mutterliebe um daſſelbe zu kümmern.
Sie lebte in Glanz und Wohlleben, ſie war reich, und
dies Geld kam von Liſas Vater, — ſie ſchwelgte und
hatte ihr Kind darben laſſen, wenn nicht Frau Pleiderer
von Liſas Geburt an, die bei der Mutter derſelben er-
folgte, eine leidenſchaftliche Liebe für das kleine, unglück-
liche Kind gefaßt und es nachher immer im Auge behal-
ten hätte.
Nur Frau Pleiderer hatte Liſa, nach dem Bericht
derſelben, zu danken, daß ſie nachher in die Reſidenz
kam. Frau Pleiderer hatte gehofft, die Mutter Liſas
werde das Kind adoptiren.

„So lebt ſie hier 2“ fragte Liſa ſehr blaß und er-

ſchüttert von allem, was ſie hoͤrte.
„Nicht jetzt!“ entſchlüpfte Tante Antonie der Fragerin,
— ſie war viel zu vorſichtig, Liſa etwas zu ſagen, was
ihr nachher unangenehm werden konnte, denn bei des
Mädcheus (xaltirtem Weſen ſtand ihr Niemand dafür,
daß ſie nicht irgend ein Unheil anrichtete, was den Plänen
Frau Pleiderers ſchadete.
Unnd ſie weigerte ſich, ſie wollte nichts wiſſen von
Laſt un3„ der Hurves, oerden von je eine druͤckende
war agte das junge Mädche
Bitterten ſag jung uochen dann mit großer
„Das that ſie, aber wir werden ſie zwingen, daß ſie
dir dein Recht gibt!“ meinte die Friſeuſe lebhaft 0
„Nein, Tante Antonie, das wollen wir nicht! Gott
behüte mich, daß ich meiner Mutter Verdruß und Aerger
bereitete, nachdem ich ihr nie Liebe geben durfte. Ich

will nichts von ihr, gar nichts, will ihren Namen nicht
wiſſen; — ſage mir nichts von ihr, Tante! — O, wenn
ſie mich nur ein einziges Mal geküßt hätte und liebes
Kind genannt, wie ſelig hätte mich das gemacht! Ihr
Geld iſt mir ganz gleichgültig, das hätteſt du doch auch
wiſſen können, Tante Antonie!“ ſagte Liſa nach und nach
ruhiger werdend und nun ſehr traurig.
„So!? das iſt alſo mein Dank, ich hätte es beſſer
wiſſen können, daß das hochgeborene Fräulein ſich nichts
aus dem lumpigen Gelde macht! Das iſt der Dank da-
für, daß ich als ein junges, leichtherziges Ding eine
thörichte Liebe faßte für das kleine, verlaſſene Kind, nach
dem ſich kein Mutterauge umſah, das Niemand auf der
Welt hatte, der es liebte und hegte, wie andere Kinder
geliebt und gehegt werden. Damals habe ich an deiner
Wiege den halben Tag verbracht, ich nahm dich Nachts
auf mein Kämmerchen und drohte der ruchloſen Mutter
alles zu verrathen, wenn ſie nicht für dich ſorgte. Es
hat mir ſchon damals mein Mitleid, mit dir nur bittere
Frucht getragen; meine Mutter war außer ſich vor Zorn
über meine Einmiſchung und ſchlug mich braun und
blau, aber meinen Zweck erreichte ich, ſie fürchtete ſich
vor dem Skandal, womit ich drohte. Du aber warſt
mein Liebling, ich vergaß dich nie, und als ich ſpäter
heirathete und kinderlos blieb, da hätte ich dich ſo gern
zu mir genommen; ich forſchte nach dir, und beſſer, als
du es bei mir gehabt haben wurdeſt in meiner damaligen
bedrückten Lage, hatteſt du es bei deinem Pfarrer. Da
erbte ich und mein erſter Gedanke war an dich! — Du
haſt meine Liebe nie empfunden, haſt ſie nie erwidert, und
ich dachte mir zu meinem Troſt: Dereinſt, wenn ich ſie
reich und vornehm gemacht habe, dann lohnt ſie es mir!
aber ich höre nun ja, daß ich auf einen Dank, auf das,
was ich hoffte, auf dankbare Liebe, nie rechnen darf.“
Tante Antonie hatte offenbar ihren Beruf verfehlt.
Sie ſpielte ihre Rolle meiſterhaft. — Liſa fühlte ſich ihr
gegenüber furchtbar gedemüthigt und meinte, Tante Antonie
ſei in der That wie ein guter Engel ſtets ſchützend und
ſorgend ihr nahe geweſen. — Tante Antonie hatte es ſo
gut gemeint! Welch edles Herz hatte ſie! O, wie hatte
Liſa ihre einzige, beſte Freundin verkannt! ö
„Liebe, theure Tante Antonie!“ Liſa hatte niemals
ſo weich und wahrhaft herzlich zu ihr ſprechen können —
und ſelbſt jetzt fühlte ſich das arme Kind namenlos ge-
preßt und unglücklicher als jemals zuvor. — War es
denn nicht furchtbar, daß dieſe edle, engelsgute Tante

„Antonie lebenslang alles für ſie gethan hatte und daß

jetzt Liſas ſchlechtes Herz, trotz der Erkenntniß all dieſer
Härte, mit lautem Hämmern zu ſagen ſchien: „Hätte ſie
es doch nicht gethan! —“
Jenes räthſelhafte inſtinctibe Gefühl von Furcht und
Abneigung, welches Liſa immer gegen Tante Antonie er-
kältet hatte, wollte ſelbſt jetzt nicht weichen; aber Liſa
zwang ſich und bat inſtändig, Tante Antonie ſollte ihr
verzeihen, ſolle ſie nur erſt einmal ſich ſelbſt überlaſſen,
ſie müſſe nachdenken, klar werden in ſich und wolle ja
auch Tante Antonie in allem folgen, was nur nicht gar
zu ſehr gegen ihr Gefühl ginge.
 
Annotationen