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rend die Stufen nach außen in die Mauer binden, werden sie von innen in wech-
selnder Weise von kleinen Säulchen und Halbkreisbögen gestützt (303). - Ka-
pellenraum und Chor sind neu ausgemalt, doch nach altem Vorbild. Die Fi-
guren am Choreingang sind neu. Die Ausstattungsstü&e wurden erst im 19.
Jahrhundert zusammengestellt, fügen sich aber gut ein. Der schönste Schmuck
des Kapellenraumes ist eine vom Gewölbe herabhängende Madonna auf der Mond-
sichel.
— Die Michaelskapelle ist ein Bau von ungewöhnlicher Schön-
heit. Sie wurde zu Recht ein „Kleinod spätgotischer ArAitektur" genannt. Klar-
heit und Reichtum, Strenge und Vielfalt erscheinen hier nicht als Gegensätze.
Der Bau ist einfach und übersichtlich gegliedert und reich geschmückt; er wirkt
locker gefügt und bleibt dabei klar artikuliert. Sein Zierrat ist preziös, aber nicht
verspielt: Baukörper und Detail steigern einander. Der Schmuck ist nicht Selbst-
zweck, nicht Gepränge, er bezeichnet und zeichnet aus; so wird die Dekoration
keineswegs Ausdruck, sondern bleibt Hinweis. Sie konzentriert siA sinngemäß
an den wiAtigsten Orten: dem Chörlein, der Kanzel, den Figurenbaldachinen
und im Inneren an der Ostwand. Darin zeigt siA nicht nur eine kluge Ökonomie,
sondern wahrhaft: sakrale Baugesinnung. - Die Heiterkeit des Bauwerks verrät
etwas von der mittelrheinisAen Natur. Wer freilich darin nur Stammeseigenart
und LandsAaA verkörpert sieht, bleibt blind. Die Michaelskapelle entstand in
der freudigen, für das Mittelalter selbstverständliAen ZuversiAt, man könne mit
dem Bau eines Heiligtumes ein Stück vom Himmel ansAauliA machen.

Einordnung
Der Begriff Karner bezeiAnet Räume zur Aufbewahrung ausgegrabenen Ge-
beins. Man spricht auA von Beinhaus (304). Meist versteht man unter Karnern
zweigeschossige Bauten mit einem Beinhaus im UntergesAoß und einer Kapelle
darüber. Das ist jedoA eine Sonderform. Man nennt sie besser Kapellenkarner,
die einfache Art des Karners hat nämlich die Form eines SAuppens (305). Der
Kapellenkarner ahmt häufig Grabbauten nach; in manchen Gegenden sah man
in ihm selbstverständlich eine Nachbildung des Grabes Christi (306). Als zwei-
geschossige Anlage ähnelt der Kapellenkarner den Doppelkapellen, die als Pfalz-,
Burg-, Schloß- oder Bischofskapellen eine wichtige Rolle spielten (307). Doppel-
kapellen sind in romanisAer Zeit meist Zentralbauten; später bevorzugte man
rechteckige Grundrißformen mit oder ohne Chorschluß. Die Entwicklung des
Kapellenkarners verläuA parallel. Bei der Wahl der Grundrißform spielten da-
neben landschaAHAe Gegebenheiten eine Rolle. In Bayern und Österreich hielt
sich der Zentralbau bis in die Gotik hinein (308), längsrechte&ige Kapellenkarner
kommen dort nur vereinzelt vor; in den Rheinlanden hingegen sind rechte&ige
Kapellenkarner die Regel. — Im Mittelrheingebiet hat Klingelschmidt 13 erhal-
tene und 15 untergegangene Kapellenkarner naAgewiesen (309). Soweit fest-
 
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