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Die ältestenBauten mitHochchor und 7/10-SAluß liegen im norddeutsAenKo-
lonialgebiet. Die Sonderform erscheint zu Beginn des 14. Jahrhunderts am Chor
der Franziskanerkirche in Berlin (Fig. 27) (853). Ihr folgten um die Mitte des
14. Jahrhunderts der Chor der Franziskanerltirche in Stettin (854) und zu Beginn
des 15. Jahrhunderts der Chor der Franziskanerkirche in Brandenburg (855), fer-
ner die Chöre der Augustinerkirche in Wien (856), der Stiftskirche St. Ludgeri in
Münster (857), der Schloßkirche in Meisenheim und der WallfahrtskirAe in Bö-
dingen (858). - Wie es zu dieser Sonderform kam, läßt sich nicht ermitteln. Im-
Fig. 27. Berlin, Franziskanerkirche, Grundriß
merhin kann man folgende Erwägungen anstellen: Die drei ältesten Chöre der
beschriebenen Art gehören Klosterkirchen und liegen im Einflußbereich der Kunst
des deutschen Ritterordens. Die Wände des Berliner Oktogons werden von einer
Sitzbank umzogen und sind durch Blendbögen in Sitznischen gegliedert (859).
Der Zentralraum ähnelt damit einem polygonalen Kapitelsaal. Polygonale Ka-
pitelsäle waren seit dem 13. Jahrhundert in England sehr beliebt. Sie wurden
meist achteckig, manchmal aber auch, wie in Lincoln, zehneckig gebildet (860).
Die Übernahme von halbprofanen Bauelementen ist für die Kirchenbaukunst
der Bettelorden charakteristisch. Gerade die Architektur der Kapitelsäle hat da-
bei von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt. Das norddeutsche Kolonialgebiet
war seit dem 13. Jahrhundert ein wichtiges Einflußgebiet der englischen Baukunst
auf dem Kontinent (861). Die polygonalen Kapellenbauten der MarienkirAen in
Stargard und Pasewalk sind meines EraAtens mit ziemlicher Sicherheit auf eng-
lische Kapitelsäle zurückzuführen (862). Es wäre somit denkbar, die besondere
Form des Berliner FranziskanerAores sei durch eine Kombination des Hochchores
mit dem Kapitelsaal entstanden. - Die Übernahme der Berliner Sonderform in
Stettin und Brandenburg hängt sicher mit Ordensbeziehungen zusammen. Die