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Hoppe, Stephan
Die funktionale und räumliche Struktur des frühen Schloßbaus in Mitteldeutschland: untersucht an Beispielen landesherrlicher Bauten der Zeit zwischen 1470 und 1570 — Köln: Abteilung Architekturgeschichte des Kunsthistorischen Instituts der Universität zu Köln, 1996

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.69717#0430
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420 Funktionale Raumtypen - Die Tafelstube

3. Das Aufkommen separater Tafelstuben
Tafelstuben637 dienten den herrschaftlichen Mahlzeiten und sind so gewis-
sermaßen Derivate der zur allgemeinen Tafel verwendeten Hofstuben. An-
ders als diese sind die Tafelstuben des 16. Jahrhunderts oft von der For-
schung übergangen worden.638 Als mittelgroße, ofenbeheizte Räume, die oft
im Obergeschoß in der Nähe der herrschaftlichen Wohnbereiche lagen, sind
sie aber in vielen deutschen Schlössern des 16. Jahrhunderts nachweisbar.
Von den Stuben der Wohnappartements unterschieden sie sich als eigener
Raumtyp grundsätzlich durch das Fehlen einer nachgeordneten Schlafkam-
mer.
Die Anlage und Ausstattung von Tafelstuben für die herrschaftliche Mahlzeit
setzte eine Entwicklung der räumlichen Differenzierung und der Absonde-
rung der herrschaftlichen Schloßbewohner voraus, die nach Maßgabe der be-
reits oben angeführten schriftlichen Quellen, besonders aber auch nach der
hier schlaglichtartig erhellten Bausubstanz zumindest im mitteldeutschen

Der in der vorliegenden Darstellung durchgängig verwendete Terminus „Tafelstube“
wird auch teilweise in den Quellen benutzt, scheint aber erst gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts Verbreitung gefunden zu haben (Inv. Augustusburg 1576, Inv. Bemburg
1606). Daneben kommen aber auch die Bezeichnungen „Eßsaal", Eßstube“ oder einfach
„Domse“ vor, vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Diese abweichen-
den Bezeichnungen lassen sich aber durch ihren baulichen und funktionalen Kontext
jeweils als Ort der herrschaftlichen Mahlzeiten identifizieren.
So hat Uta Löwenstein - allerdings im Zusammenhang eines Überblicks über das ba-
rocke Tafelzeremoniell - den Eindruck gewonnen: „Vom Mittelalter bis zur Renais-
sance und oft genug noch bis in das 18. Jahrhundert hinein gab es in den deutschen
Schlössern weder nur zu diesem Gebrauch bestimmte Speisezimmer noch allein der
festlichen Hoftafel vorbehaltene Räume. [...] Eine beim Umbau des Antiquariums in
der Münchener Residenz um 1600 errichtete steinerne Estrade, die Platz für die kur-
fürstliche Tafel bot, gilt als früheste Form eines fest installierten Speiseraums in einer
deutschen Residenz.“ (Löwenstein, Uta: Vom Tafelzeremoniell. In: Klaus Bußmann,
Florian Matzner, Ulrich Schulze (Hrsg.): Johann Conrad Schlaun 1695 - 1775. Archi-
tektur des Spätbarock in Europa. Stuttgart 1995, S. 552 - 557, hier S. 553).
Ulrike Wirtler hat - wohl in Unkenntnis der möglichen Raumfunktion - explizit auf die
Untersuchung der entsprechenden Räume verzichtet: „Nicht weiter berücksichtigt wird
der zuletzt genannte Raumtyp [d.i. der „kleine Repräsentationsraum"], da er durch die
ungewöhnliche Häufigkeit seines Vorkommens in Palas-, Saalbauten und Wohntürmen
und wegen der Vielseitigkeit seiner Funktionen, Gestaltungs- und Ausstattungsformen
einer gesonderten Untersuchung bedarf.“ (Wirtler 1987, hier S. 101). So muß vorerst
offenbleiben, ob nicht vielleicht im Westen des deutschen Kulturgebietes bereits vor
1500 separate Tafelstuben eingerichtet worden sind.
 
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