Ende meiner Zeit eine Prämie von fünfhundert
Pfund."
„Weiter, Mister Brockers, nur weiter und kürzer.
So kurz wie möglich."
„Gnt. Jedes Jahr im Oktober oder November
legte die „Viktoria" in Spanisch-Creek an. Hier ver-
ließ ich jedesmal die „Viktoria" für zwei bis drei
Monate und machte einem eingeborenen Lotsen, einem
gewissen Jerez, Platz, mit dem die „Viktoria" die
Inselgruppen im Norden des Großen Ozeans, die
Marianen, die Karolinen, die Philippinen und andere
abfuhr. Jerez war ein Halunke, ein spanischer Misch-
ling, der aber recht gut Englisch sprach und das
Fahrwasser genau kannte. Hier wurden denn auch
die besten Geschäfte der „Viktoria" gemacht, und
immer, wenn ich sie in Spanisch-Creek wieder über-
nahm, war sie voll teurer Waren, Tee, Opium,
Kopra, Kaffee, Zucker, in allen möglichen Ballen nnd
Säcken und Bündeln, von denen ich oft selbst nicht
wußte, was sie enthielten. Dann ging es wieder
nach Sydney zurück, wo die Waren versilbert, nach
Europa verfrachtet oder auch in Australien kon-
sumiert wurden, und wir uns auf eine neue Ausreise
vorbereiteten."
„Also kommen Sie endlich auf Scheppers, zum
Henker. Was geht uns alles das an?"
„Sie werdeu's gleich sehen. Scheppers hatte einen
Kompagnon, einen gewissen Elverdaal, einen albernen
Menschen, der den Kopf voller Schnaken und Schnurren
hatte und fast immer betrunken war. Als ich auf
meiner letzten Fahrt mit der „Viktoria" das Schiff
in Spanisch-Creek wieder übernahm, sagte mir Jerez:
„Diesmal hat der Kapitän — das war also Schep-
pers — sein bestes Geschäft gemacht." Ich fragte
wieso? und er erzählte: „Sein Kompagnon ist fertig.
Drunten in der Kabine liegt er, nm nicht wieder
anszustehen." Ich fragte wieder, wie das gekommen
sei, und Jerez sagte wörtlich: „Wie kommt so etwas?
Ein Betrunkener auf der einen Seite, ein kluger, be-
rechnender Mensch ans der anderen — da ist ein
Wortwechsel, ein Streit rasch fertig, nnd ehe man
sich's versieht, ist auch ein Messerstich da." Mehr
konnte ich aus Jerez nicht herauskriegen. Ich fragte
also während der Fahrt nach Sydney den Kapitän,
was es gegeben, und ob Jerez mit seinen Worten
auf ihn gezielt habe. Scheppers sagte: „Was geht
das dich an? Du bekommst deinen Lohn, nnd wenn
du vernünftig bist, wirst dn sehen, daß ich nicht
knausere." Nun, Mister Perkins, was sollte ich tun?
Wenn ein Verbrechen geschehen war, war ich der
Mann, es ungeschehen zu machen oder auch nur es
zu bestrafen? Hätte ich damals freilich gewußt, was
ich heute weiß, so hätte ich allerdings den Vorfall
angezeigt, wie ich das jetzt hier tue. So aber nahm
ich, in Sydney augekommen, mein Geld und meinen
Schein für die Prämie nnd sah ruhig zu, wie man
Elverdaal in Sydney auslnd nnd ins Spital brachte.
Man sagte, er sei schon tot hiugebracht worden. Ich
iveiß es nicht. Jedenfalls hat er es nicht wieder
verlassen. Zwei Tage später wurde er begraben."
„Hm," sagte Perkins nachdenklich, „das ist ja
eine sehr verwickelte Geschichte. Nun aber kommen
Sic auf den Schein, Mister Brockers. Weshalb
präsentierten Sie den Schein nicht? Warum damit
mehr als zehn Jahre warten?"
„Ich fand Scheppers nicht eher wieder. Sie
wissen ja weshalb. Als er von Sydney sich nach
Europa einschiffte, sagte er zu mir, er gehe nach
London und dort werde er den Schein bezahlen. Er
kam aber nicht nach London."
„Und Sie fanden ihn schließlich doch?"
„Ja. Viele Jahre später — ich war natürlich
inzwischen wieder auf die Reise gegangen — traf
ich in Burulula zufällig mit Jerez wieder zusammen.
Er erzählte mir, daß Scheppers in Paris unter dem
Namen Marquis dÄigre lebe. Ich natürlich mit
dem ersten Schiff nach Europa zurück, uach Paris,
um meinen Schein zu präsentieren."
„Nun? Und Scheppers? Sie trafen ihn doch
noch an?"
„Ja. Ich kannte ihn sofort wieder, er mich auch,
obwohl wir uns beide sehr verändert hatten. Er
war ein alter Hypochonder, krank, scheu und ängst-
lich geworden, als ob er Gewissensbisse gefühlt. Wie
fuhr er zusammen, als er mich sah!"
„Warum bezahlte er denn aber den Schein nicht?
Es konnte ihm doch nicht auf fünfhundert Pfund
ankommen?"
„Das sollte man meinen, aber er hatte Angst vor
mir. Er dachte vielleicht, ich könnte die Geschichten
von Sydney zur Sprache dringen, wie ich ihm aller-
dings auch gedroht, um zu meinem Gelde zu kommen.
Er fürchtete vielleicht, daß ich Erpressungen ohne
Ende gegen ihn ins Werk setzen könnte — kurz, am
Tage vor der festgesetzten Bezahlung meines Scheines
war er — tot."
„Aber warum haben Sie sich denn nicht an seine
Erben gewandt, nm zu Ihrem Gelde zu kommen?"
„Habe ich ja getan! Ich ging sofort zum Rechts-
anwalt Linning, nachdem ich erfahren hatte, wie
alles stand."
„Nun? Was sagte mein ehrenwerter Freund
nnd Kollege?"
„Er lachte mich aus und sagte, da könne jeder
kommen. Das Ding da wäre gefälscht."
„Gefälscht? Ha, ha! Sie haben meinen Freund
wahrscheinlich nach Tisch gesprochen, und da sieht er
immer doppelt."
„Ja. Es war allerdings nach Tisch, aber —"
„Gut. Nun sagen Sie endlich, wie Sie auf die
tolle Idee gekommen sind, daß Scheppers noch lebe?
Denn daß das eine tolle Idee ist, das müssen Sie
doch selbst zugeben. Ein Mann, der in seiner Familie
stirbt, über dessen Tod ein Totenschein ausgestellt
wird und der auf dem Pöre-Lachaisefriedhof in
Paris begraben wird, muß doch auch tot sein!"
„Wenn Sie mir ruhig zuhören, Sir, werden Sie
gleich wissen, wie ich hinter den Schwindel kam."
„Den Schwindel?"
„Nur ruhig. Ich sagte Ihnen schon, daß ich
Scheppers als einen alten Hypochonder, krank, von
Gewissensbissen gepeinigt wiederfand. Ich mußte
ihm also wie ein Gespenst erscheinen. Gott weiß,
was er sich alles gedacht hat, als er mich plötzlich
wieder anftauchen sah, fordernd, drohend nut Ent-
hüllungen, die ihn ruinieren mußten. Der Gedanke,
zu verschwinden, wie er es ja schon einmal gemacht,
als er als Samuel Scheppers verschwand, nm als
Marqnis d'Aigre wieder aufzntanchen, lag ihm also
nahe. Als ich nun nach London kam, lernte ich in
einer kleinen Kneipe in der Binsbnry-Street, wo der
Erbe des Marquis d'Aigre früher wohnte, einen
Mann kennen, der früher Kammerdiener beim Mar-
quis d'Aigre gewesen war, Thomas Green hieß er.
I Wir wurden bald vertraut und erzählten uns gegen-
seitig Misere Erlebnisse, und da erfuhr ich, daß an
Stelle des Marqnis d'Aigre ans dem Pöre-Lachaise
zwei Sandsäcke begraben worden sind, daß der Toten-
schein ohne Unterschrift oder doch ohne leserliche
Unterschrift ist, und daß Green sogar den alten
Samuel Scheppers vor ganz kurzer Zeit hier in
London gesehen haben will."
„Aber das wäre denn doch —"
„Wie weit Thomas Green bei der Geschichte selber
mitgeholfen hat, das hat er mir selbstverständlich
nicht auf die Nase gebunden. So dumm ist er nicht.
Aber möglich bleibt immerhin, daß er mehr weiß,
als er mir gesagt hat. — So, Herr Rechtsanwalt,"
schloß der alte Sam seinen Bericht, „nun wissen Sie
alles und nun verhelfen Sie mir zu meinen ehrlich
erworbenen fünfhundert Pfund, von denen ich Ihnen
gern einen Teil als Honorar für Ihre Bemühungen
überlassen werde, denn — Vorschuß kann ich Ihnen
nicht geben. Ich bin ein armer Teufel, das sehen
Sie wohl selbst."
Keinen Vorschuß! Mister Perkins schob seine
Perücke wieder nach rechts und dachte nach. Er
war von Prozessen ohne Vorschuß gar kein Freund.
Der Vorschuß war für alle Prozesse sozusagen die
Weihe, das Öl für die Maschine der Gerechtigkeit.
Aber in der Sache lag mehr, als der alte Steuer-
mann vielleicht selbst ahnte. Wenn der alte Scheppers
nicht tot war — das mußte sich doch durch ent-
sprechende Nachforschungen in Paris feststellen lassen
— so gab es auch kein Erbe. Wenn es kein Erbe
gab, so war sein ehrenwerter Freund und Kollege
Linning geleimt, wenn Linning geleimt war, so be-
kam Perkins eine große Sache in die Hand. Es
war also auch ohne Vorschuß viel Verlockendes für
Mister Perkins in dieser Sache, denn Linning war
für ihn ein böser Konkurrent. Vielleicht war Mister
Perkins auch nur neugierig, wie sich denn schließlich
diese abenteuerliche Sache abwickeln werde — kürz,
er sagte nach einer längeren Pause ziemlich salbungs-
voll: „Gnt, Blister Brockers. Ich werde die Sache
in die Hand nehmen, aus Christenpflicht. Glauben
Sie nicht, daß wir Advokaten kein Herz im Leibe
hätten und daß wir nicht gern auch ohne Vorschuß
aus reiner Liebe zur gerechten Sache einmal uns des
Unterdrückten annähmen. Sie verschreiben mir zwanzig
Prozent der Forderung und damit Punktum. Zu-
frieden?"
„Natürlich, Sir, natürlich!"
„Sie können mir doch wohl Ihren Freund, den
Blister Thomas Green, einmal hierherbringen, da-
mit ich selbst mit ihm sprechen kann?"
„Ja, Herr Rechtsanwalt," erwiderte Sam ver-
legen, „ich habe ihn schon seit einigen Tagen ge-
sucht und gefucht, in Winchester-Road und in der
Binsbnry-Street und überall, aber ich habe ihn nicht
gefunden. Ich wollte ihn nämlich gleich mit hierher
bringen, weil dann die Sache gewiß einfacher ge-
wesen wäre, aber er ist seit einigen Tagen wie ver-
schwunden, als ob ihn die Erde verschluckt hätte."
„Aber der Alaun muß her, Mister Brockers. Er
ist ja vorläufig unser einziger und wichtigster Zeuge.
Wenn er sich nicht einstellt, müssen wir ihn suchen
lassen, und das kostet Geld."
„Hm, wollen Sic denn nicht einmal die Frau
Marquise d'Aigre nach ihm fragen, Herr Rechts-
anwalt?"
„Die Marquise d'Aigre?" fragte Perkins rasch
und lebhaft, „ist denn die in London?"
Brockers nickte. „Wohnt im Boardinghouse „Zu
den drei Königen" in der Upperthames-Street," sagte
er dann. „Green hat mir von ihr erzählt. Ich füllte
meinen, die Fran Marquise müßte auch manches von
diesen Sachen wissen, wenn man sie recht fragt."
Es war wie ein Stein, der ins Rollen kommt und
nun immer rascher und verhängnisvoller den Berg
herabpoltert. Mister Perkins schrieb sich die Adresse
auf, heftete dann den Zettel mit der Adresse und
den Schuldschein des alten Sam in einen Aktendeckel,
auf den er groß und deutlich schrieb: Brockers kontra
Scheppers. Wie viele Zettel, Dokumente, Urkunden,
Rechnungen, Urteile, Gutachten, Berichte und anderes
hatten in dem Aktendeckel noch Platz! Jetzt war ja
das Aktenfaszikel Brockers kontra Scheppers noch
dünn und leicht, aber Perkins wußte, daß solche
düune leichte Dinger manchmal riesenhaft anschwellen,
daß sie Nachfolger unter dem Titel Brockers kontra
Scheppers II, III, IV und so fort erhalten oder auch
andere Titel nnnehmen, wie etwa d'Aigre kontra
Elverdaal, oder Green kontra L A, oder Staats-
anwaltschaft kontra Green, kurz eine ganze große
Familie daraus wurde, in der sich auch der stärkste
Mensch dieser Welt nicht mehr zurecht fand.
Noch lange, nachdem der alte Sam den Rechts-
anwalt wieder verlassen hatte, lief dieser nachdenklich
in seinem Bureau auf nnd nieder, zog sich an der
Nafe und warf von Zeit zn Zeit einen Blick auf den
Aktendeckel Brockers kontra Scheppers, als ob ihn
diese Aufschrift zn immer findigeren Einfällen und
Ratschlägen verhelfe.
letinte; llupitel.
„Nein! Ich wünsche das nicht," sagte Herr van
Elverdaal in seiner großartigen Weise und mit seiner
lauten Stimme zu seiner Tochter Anna, „ich wünsche
vielmehr, daß du in allen Stücken dich nach den Ur-
teilen und Erfahrungen der Missis BadSley richtest.
Missis Badsley ist eine Dame von feinem Geschmack
und tiefer Bildung, und ich wünsche, daß du sie dir
in jeder Hinsicht zum Vorbilde nimmst. Missis van
Elverdaal, deine Mutter, mag eine ganz gute Frau
sein. Ich sage durchaus nichts dagegen. Durchaus
nichts. Aber sie ist eine Frau ans dem Volke, von
engem Gesichtskreis, ohne feinere Bildung und Schliss.
Sie hat es — ebensowenig wie dein armer bedauerns-
werter Bruder John — nicht verstanden, der neuen
Stellung, und ich kann wohl fagen der höheren Würde
unserer Familie gerecht zu werden. Das macht mir
großen Kummer nnd viel Sorge. Anny, mein liebes
Kind, höre wohl auf deinen Vater; vermehre nicht
meine Sorgen und meinen Kummer und richte dich
in allen Stücken nach der ehrenwerten Missis Bads-
ley, die mein volles Vertrauen nnd meine Hoch-
achtung Hal."
Diese väterlichen Ermahnungen mußte Miß Anny
über sich ergehen lassen, weil sic darauf bestanden
hatte, im Regentpark spazieren zu fahren, und Missis
Badsley — in Erinnerung an den Bries Wills —
das durchaus nicht zugeben wollte. Das kleine
Manöver, das die beiden unter sich verabredet, war
durchschaut, und es war ganz vergeblich, ans dem
Vorhaben zu bestehen. Manchmal fuhr fogar Mar-
quis Gaston in ihrer Begleitung, nnd es war dann
Miß Anny natürlich völlig gleichgültig, wohin man
fuhr. Sie wäre unter diesen Umständen lieber zu
Hause geblieben, denn es war ihr nichts gräßlicher
als Französisch sprechen zu müssen und vor sich das
blasse, kalte Gesicht und die etwas dürftige Figur
des Marquis Gaston zn haben, der immer aussah,
als wolle er sich über sie mokieren. Er war gewiß
immer höflich und „korrekt", manchmal versuchte er
sogar, ihr gegenüber den liebenswürdigen Spaßmacher
zu spielen, aber Miß Anny hatte immer den Eindruck
des Unaufrichtigen, des Falschen von ihm, der es in
seiner Vornehmheit nicht für nötig hielt, sich ihret-
wegen besonders zu erhitzen, nnd anzunehmen schien,
daß sie schließlich doch so mußte, wie er wünschte.
Das aber empörte sie bis aufs Blut. Es war gar
nicht nötig, daß dann neben ihm die Gestalt Wills
erschien mit den treuen hübschen Augen, die so warm
und zutraulich zu ihr zu sprechen verstanden, selbst
wenn sein Mund nichts sagte.
Unter diesen Umständen hatte Anny einen schweren
Stand, und es gab Stunden, wo sie die Würde und
die Hochachtung, die neue Stellung ihrer Familie
und die ganze Erbschaft von Herzen verwünschte und
die Zeit wieder zurücksehntc, wo sie ihrem natürlichen
Impuls folgen und lieben durfte, was ihr gefiel und
zu ihrem Herzen sprach, und abweisen konnte, was
Pfund."
„Weiter, Mister Brockers, nur weiter und kürzer.
So kurz wie möglich."
„Gnt. Jedes Jahr im Oktober oder November
legte die „Viktoria" in Spanisch-Creek an. Hier ver-
ließ ich jedesmal die „Viktoria" für zwei bis drei
Monate und machte einem eingeborenen Lotsen, einem
gewissen Jerez, Platz, mit dem die „Viktoria" die
Inselgruppen im Norden des Großen Ozeans, die
Marianen, die Karolinen, die Philippinen und andere
abfuhr. Jerez war ein Halunke, ein spanischer Misch-
ling, der aber recht gut Englisch sprach und das
Fahrwasser genau kannte. Hier wurden denn auch
die besten Geschäfte der „Viktoria" gemacht, und
immer, wenn ich sie in Spanisch-Creek wieder über-
nahm, war sie voll teurer Waren, Tee, Opium,
Kopra, Kaffee, Zucker, in allen möglichen Ballen nnd
Säcken und Bündeln, von denen ich oft selbst nicht
wußte, was sie enthielten. Dann ging es wieder
nach Sydney zurück, wo die Waren versilbert, nach
Europa verfrachtet oder auch in Australien kon-
sumiert wurden, und wir uns auf eine neue Ausreise
vorbereiteten."
„Also kommen Sie endlich auf Scheppers, zum
Henker. Was geht uns alles das an?"
„Sie werdeu's gleich sehen. Scheppers hatte einen
Kompagnon, einen gewissen Elverdaal, einen albernen
Menschen, der den Kopf voller Schnaken und Schnurren
hatte und fast immer betrunken war. Als ich auf
meiner letzten Fahrt mit der „Viktoria" das Schiff
in Spanisch-Creek wieder übernahm, sagte mir Jerez:
„Diesmal hat der Kapitän — das war also Schep-
pers — sein bestes Geschäft gemacht." Ich fragte
wieso? und er erzählte: „Sein Kompagnon ist fertig.
Drunten in der Kabine liegt er, nm nicht wieder
anszustehen." Ich fragte wieder, wie das gekommen
sei, und Jerez sagte wörtlich: „Wie kommt so etwas?
Ein Betrunkener auf der einen Seite, ein kluger, be-
rechnender Mensch ans der anderen — da ist ein
Wortwechsel, ein Streit rasch fertig, nnd ehe man
sich's versieht, ist auch ein Messerstich da." Mehr
konnte ich aus Jerez nicht herauskriegen. Ich fragte
also während der Fahrt nach Sydney den Kapitän,
was es gegeben, und ob Jerez mit seinen Worten
auf ihn gezielt habe. Scheppers sagte: „Was geht
das dich an? Du bekommst deinen Lohn, nnd wenn
du vernünftig bist, wirst dn sehen, daß ich nicht
knausere." Nun, Mister Perkins, was sollte ich tun?
Wenn ein Verbrechen geschehen war, war ich der
Mann, es ungeschehen zu machen oder auch nur es
zu bestrafen? Hätte ich damals freilich gewußt, was
ich heute weiß, so hätte ich allerdings den Vorfall
angezeigt, wie ich das jetzt hier tue. So aber nahm
ich, in Sydney augekommen, mein Geld und meinen
Schein für die Prämie nnd sah ruhig zu, wie man
Elverdaal in Sydney auslnd nnd ins Spital brachte.
Man sagte, er sei schon tot hiugebracht worden. Ich
iveiß es nicht. Jedenfalls hat er es nicht wieder
verlassen. Zwei Tage später wurde er begraben."
„Hm," sagte Perkins nachdenklich, „das ist ja
eine sehr verwickelte Geschichte. Nun aber kommen
Sic auf den Schein, Mister Brockers. Weshalb
präsentierten Sie den Schein nicht? Warum damit
mehr als zehn Jahre warten?"
„Ich fand Scheppers nicht eher wieder. Sie
wissen ja weshalb. Als er von Sydney sich nach
Europa einschiffte, sagte er zu mir, er gehe nach
London und dort werde er den Schein bezahlen. Er
kam aber nicht nach London."
„Und Sie fanden ihn schließlich doch?"
„Ja. Viele Jahre später — ich war natürlich
inzwischen wieder auf die Reise gegangen — traf
ich in Burulula zufällig mit Jerez wieder zusammen.
Er erzählte mir, daß Scheppers in Paris unter dem
Namen Marquis dÄigre lebe. Ich natürlich mit
dem ersten Schiff nach Europa zurück, uach Paris,
um meinen Schein zu präsentieren."
„Nun? Und Scheppers? Sie trafen ihn doch
noch an?"
„Ja. Ich kannte ihn sofort wieder, er mich auch,
obwohl wir uns beide sehr verändert hatten. Er
war ein alter Hypochonder, krank, scheu und ängst-
lich geworden, als ob er Gewissensbisse gefühlt. Wie
fuhr er zusammen, als er mich sah!"
„Warum bezahlte er denn aber den Schein nicht?
Es konnte ihm doch nicht auf fünfhundert Pfund
ankommen?"
„Das sollte man meinen, aber er hatte Angst vor
mir. Er dachte vielleicht, ich könnte die Geschichten
von Sydney zur Sprache dringen, wie ich ihm aller-
dings auch gedroht, um zu meinem Gelde zu kommen.
Er fürchtete vielleicht, daß ich Erpressungen ohne
Ende gegen ihn ins Werk setzen könnte — kurz, am
Tage vor der festgesetzten Bezahlung meines Scheines
war er — tot."
„Aber warum haben Sie sich denn nicht an seine
Erben gewandt, nm zu Ihrem Gelde zu kommen?"
„Habe ich ja getan! Ich ging sofort zum Rechts-
anwalt Linning, nachdem ich erfahren hatte, wie
alles stand."
„Nun? Was sagte mein ehrenwerter Freund
nnd Kollege?"
„Er lachte mich aus und sagte, da könne jeder
kommen. Das Ding da wäre gefälscht."
„Gefälscht? Ha, ha! Sie haben meinen Freund
wahrscheinlich nach Tisch gesprochen, und da sieht er
immer doppelt."
„Ja. Es war allerdings nach Tisch, aber —"
„Gut. Nun sagen Sie endlich, wie Sie auf die
tolle Idee gekommen sind, daß Scheppers noch lebe?
Denn daß das eine tolle Idee ist, das müssen Sie
doch selbst zugeben. Ein Mann, der in seiner Familie
stirbt, über dessen Tod ein Totenschein ausgestellt
wird und der auf dem Pöre-Lachaisefriedhof in
Paris begraben wird, muß doch auch tot sein!"
„Wenn Sie mir ruhig zuhören, Sir, werden Sie
gleich wissen, wie ich hinter den Schwindel kam."
„Den Schwindel?"
„Nur ruhig. Ich sagte Ihnen schon, daß ich
Scheppers als einen alten Hypochonder, krank, von
Gewissensbissen gepeinigt wiederfand. Ich mußte
ihm also wie ein Gespenst erscheinen. Gott weiß,
was er sich alles gedacht hat, als er mich plötzlich
wieder anftauchen sah, fordernd, drohend nut Ent-
hüllungen, die ihn ruinieren mußten. Der Gedanke,
zu verschwinden, wie er es ja schon einmal gemacht,
als er als Samuel Scheppers verschwand, nm als
Marqnis d'Aigre wieder aufzntanchen, lag ihm also
nahe. Als ich nun nach London kam, lernte ich in
einer kleinen Kneipe in der Binsbnry-Street, wo der
Erbe des Marquis d'Aigre früher wohnte, einen
Mann kennen, der früher Kammerdiener beim Mar-
quis d'Aigre gewesen war, Thomas Green hieß er.
I Wir wurden bald vertraut und erzählten uns gegen-
seitig Misere Erlebnisse, und da erfuhr ich, daß an
Stelle des Marqnis d'Aigre ans dem Pöre-Lachaise
zwei Sandsäcke begraben worden sind, daß der Toten-
schein ohne Unterschrift oder doch ohne leserliche
Unterschrift ist, und daß Green sogar den alten
Samuel Scheppers vor ganz kurzer Zeit hier in
London gesehen haben will."
„Aber das wäre denn doch —"
„Wie weit Thomas Green bei der Geschichte selber
mitgeholfen hat, das hat er mir selbstverständlich
nicht auf die Nase gebunden. So dumm ist er nicht.
Aber möglich bleibt immerhin, daß er mehr weiß,
als er mir gesagt hat. — So, Herr Rechtsanwalt,"
schloß der alte Sam seinen Bericht, „nun wissen Sie
alles und nun verhelfen Sie mir zu meinen ehrlich
erworbenen fünfhundert Pfund, von denen ich Ihnen
gern einen Teil als Honorar für Ihre Bemühungen
überlassen werde, denn — Vorschuß kann ich Ihnen
nicht geben. Ich bin ein armer Teufel, das sehen
Sie wohl selbst."
Keinen Vorschuß! Mister Perkins schob seine
Perücke wieder nach rechts und dachte nach. Er
war von Prozessen ohne Vorschuß gar kein Freund.
Der Vorschuß war für alle Prozesse sozusagen die
Weihe, das Öl für die Maschine der Gerechtigkeit.
Aber in der Sache lag mehr, als der alte Steuer-
mann vielleicht selbst ahnte. Wenn der alte Scheppers
nicht tot war — das mußte sich doch durch ent-
sprechende Nachforschungen in Paris feststellen lassen
— so gab es auch kein Erbe. Wenn es kein Erbe
gab, so war sein ehrenwerter Freund und Kollege
Linning geleimt, wenn Linning geleimt war, so be-
kam Perkins eine große Sache in die Hand. Es
war also auch ohne Vorschuß viel Verlockendes für
Mister Perkins in dieser Sache, denn Linning war
für ihn ein böser Konkurrent. Vielleicht war Mister
Perkins auch nur neugierig, wie sich denn schließlich
diese abenteuerliche Sache abwickeln werde — kürz,
er sagte nach einer längeren Pause ziemlich salbungs-
voll: „Gnt, Blister Brockers. Ich werde die Sache
in die Hand nehmen, aus Christenpflicht. Glauben
Sie nicht, daß wir Advokaten kein Herz im Leibe
hätten und daß wir nicht gern auch ohne Vorschuß
aus reiner Liebe zur gerechten Sache einmal uns des
Unterdrückten annähmen. Sie verschreiben mir zwanzig
Prozent der Forderung und damit Punktum. Zu-
frieden?"
„Natürlich, Sir, natürlich!"
„Sie können mir doch wohl Ihren Freund, den
Blister Thomas Green, einmal hierherbringen, da-
mit ich selbst mit ihm sprechen kann?"
„Ja, Herr Rechtsanwalt," erwiderte Sam ver-
legen, „ich habe ihn schon seit einigen Tagen ge-
sucht und gefucht, in Winchester-Road und in der
Binsbnry-Street und überall, aber ich habe ihn nicht
gefunden. Ich wollte ihn nämlich gleich mit hierher
bringen, weil dann die Sache gewiß einfacher ge-
wesen wäre, aber er ist seit einigen Tagen wie ver-
schwunden, als ob ihn die Erde verschluckt hätte."
„Aber der Alaun muß her, Mister Brockers. Er
ist ja vorläufig unser einziger und wichtigster Zeuge.
Wenn er sich nicht einstellt, müssen wir ihn suchen
lassen, und das kostet Geld."
„Hm, wollen Sic denn nicht einmal die Frau
Marquise d'Aigre nach ihm fragen, Herr Rechts-
anwalt?"
„Die Marquise d'Aigre?" fragte Perkins rasch
und lebhaft, „ist denn die in London?"
Brockers nickte. „Wohnt im Boardinghouse „Zu
den drei Königen" in der Upperthames-Street," sagte
er dann. „Green hat mir von ihr erzählt. Ich füllte
meinen, die Fran Marquise müßte auch manches von
diesen Sachen wissen, wenn man sie recht fragt."
Es war wie ein Stein, der ins Rollen kommt und
nun immer rascher und verhängnisvoller den Berg
herabpoltert. Mister Perkins schrieb sich die Adresse
auf, heftete dann den Zettel mit der Adresse und
den Schuldschein des alten Sam in einen Aktendeckel,
auf den er groß und deutlich schrieb: Brockers kontra
Scheppers. Wie viele Zettel, Dokumente, Urkunden,
Rechnungen, Urteile, Gutachten, Berichte und anderes
hatten in dem Aktendeckel noch Platz! Jetzt war ja
das Aktenfaszikel Brockers kontra Scheppers noch
dünn und leicht, aber Perkins wußte, daß solche
düune leichte Dinger manchmal riesenhaft anschwellen,
daß sie Nachfolger unter dem Titel Brockers kontra
Scheppers II, III, IV und so fort erhalten oder auch
andere Titel nnnehmen, wie etwa d'Aigre kontra
Elverdaal, oder Green kontra L A, oder Staats-
anwaltschaft kontra Green, kurz eine ganze große
Familie daraus wurde, in der sich auch der stärkste
Mensch dieser Welt nicht mehr zurecht fand.
Noch lange, nachdem der alte Sam den Rechts-
anwalt wieder verlassen hatte, lief dieser nachdenklich
in seinem Bureau auf nnd nieder, zog sich an der
Nafe und warf von Zeit zn Zeit einen Blick auf den
Aktendeckel Brockers kontra Scheppers, als ob ihn
diese Aufschrift zn immer findigeren Einfällen und
Ratschlägen verhelfe.
letinte; llupitel.
„Nein! Ich wünsche das nicht," sagte Herr van
Elverdaal in seiner großartigen Weise und mit seiner
lauten Stimme zu seiner Tochter Anna, „ich wünsche
vielmehr, daß du in allen Stücken dich nach den Ur-
teilen und Erfahrungen der Missis BadSley richtest.
Missis Badsley ist eine Dame von feinem Geschmack
und tiefer Bildung, und ich wünsche, daß du sie dir
in jeder Hinsicht zum Vorbilde nimmst. Missis van
Elverdaal, deine Mutter, mag eine ganz gute Frau
sein. Ich sage durchaus nichts dagegen. Durchaus
nichts. Aber sie ist eine Frau ans dem Volke, von
engem Gesichtskreis, ohne feinere Bildung und Schliss.
Sie hat es — ebensowenig wie dein armer bedauerns-
werter Bruder John — nicht verstanden, der neuen
Stellung, und ich kann wohl fagen der höheren Würde
unserer Familie gerecht zu werden. Das macht mir
großen Kummer nnd viel Sorge. Anny, mein liebes
Kind, höre wohl auf deinen Vater; vermehre nicht
meine Sorgen und meinen Kummer und richte dich
in allen Stücken nach der ehrenwerten Missis Bads-
ley, die mein volles Vertrauen nnd meine Hoch-
achtung Hal."
Diese väterlichen Ermahnungen mußte Miß Anny
über sich ergehen lassen, weil sic darauf bestanden
hatte, im Regentpark spazieren zu fahren, und Missis
Badsley — in Erinnerung an den Bries Wills —
das durchaus nicht zugeben wollte. Das kleine
Manöver, das die beiden unter sich verabredet, war
durchschaut, und es war ganz vergeblich, ans dem
Vorhaben zu bestehen. Manchmal fuhr fogar Mar-
quis Gaston in ihrer Begleitung, nnd es war dann
Miß Anny natürlich völlig gleichgültig, wohin man
fuhr. Sie wäre unter diesen Umständen lieber zu
Hause geblieben, denn es war ihr nichts gräßlicher
als Französisch sprechen zu müssen und vor sich das
blasse, kalte Gesicht und die etwas dürftige Figur
des Marquis Gaston zn haben, der immer aussah,
als wolle er sich über sie mokieren. Er war gewiß
immer höflich und „korrekt", manchmal versuchte er
sogar, ihr gegenüber den liebenswürdigen Spaßmacher
zu spielen, aber Miß Anny hatte immer den Eindruck
des Unaufrichtigen, des Falschen von ihm, der es in
seiner Vornehmheit nicht für nötig hielt, sich ihret-
wegen besonders zu erhitzen, nnd anzunehmen schien,
daß sie schließlich doch so mußte, wie er wünschte.
Das aber empörte sie bis aufs Blut. Es war gar
nicht nötig, daß dann neben ihm die Gestalt Wills
erschien mit den treuen hübschen Augen, die so warm
und zutraulich zu ihr zu sprechen verstanden, selbst
wenn sein Mund nichts sagte.
Unter diesen Umständen hatte Anny einen schweren
Stand, und es gab Stunden, wo sie die Würde und
die Hochachtung, die neue Stellung ihrer Familie
und die ganze Erbschaft von Herzen verwünschte und
die Zeit wieder zurücksehntc, wo sie ihrem natürlichen
Impuls folgen und lieben durfte, was ihr gefiel und
zu ihrem Herzen sprach, und abweisen konnte, was